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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 28. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Die Näherin.

(Geschichte aus der „guten Gesellschaft“ Englands.)
Von Heinrich Beta.
(Schluß.)

Der Zukünftige sah die Zukünftige wieder sehr scharf an und frug in strengem Tone: „Halten Sie mich für gottlos, weil ich ein paar Damen grade deshalb besonders hochachte, weil sie mit Ehren und Arbeit ihre Armuth tragen und sich durch ehrliches Verdienst vor der Schande der Armuth schützen? Ich frage mich und Sie: Haben wir etwas gethan, um uns vor der Schande unseres Reichthums zu schützen? Ist es nicht eine wahre Schande, so viel Geld zu haben, als wir, ohne daß wir etwas Besseres damit anzufangen wissen, als Essen, Trinken, Kleider und müßige Lakaien zu bezahlen und uns unter unseres Gleichen gegenseitig abzufüttern? Ich fühle diese Schande. Fühlen Sie nicht auch etwas davon?“

Emilie sah ihren Vetter mit sprachlosem Erstaunen an. Er war röther und schöner geworden. Sie merkte endlich, daß sie ihn liebe, und doch klangen seine Worte in ihr Ohr so roh, so republikanisch, so atheistisch. Sie wußte durchaus nicht, was sie sagen sollte. Die Tante blieb aber vornehm und wußte diesen fremdartigen Ton geschickt wieder heimisch zu stimmen.

„Wir haben Beide die Petition zur Abschaffung der Sklaverei in Amerika unterschrieben,“ sagte Madame Powell.

„Und wie viel bezahlen wir jährlich zur Förderung des Christenthums unter den Heiden?“ frug Emilie.

„Es ziemt uns nicht, damit zu prahlen.“

„Gewiß nicht,“ sagte Custis noch ärgerlicher, „zumal, da Mrs. Brandon näher wohnt, als die Patagonier. Wir wollen wenigstens gegen unsere Mitchristen und Nachbarn, wenn auch nicht christlich, so doch menschlich sein. Doch ich gestehe, daß ich heute sehr ungeschickt bin. Ich habe keine Lebensart, ich komme heute unmöglich wieder in den Ton der guten Gesellschaft, deshalb bitte ich um Entschuldigung und nehme mir die Freiheit, mich für heute den geehrten Damen zu empfehlen. Morgen denke ich als Gentleman auftreten zu können. Good bye!“

„Good bye!“ rief Emilie mit erzwungener Laune. „Good bye! Sie selbst in Ihrem republikanischen Zorne, göttlicher Vetter!“

Die Tante gab nun, nachdem sie allein waren, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_297.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)