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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Croupier an, welcher letztere aufgefordert worden war, mir den Weg zu zeigen. Sie führten mich durch einige Gänge eine kurze Treppe hinauf in das Schlafgemach, das ich einnehmen sollte. Der Exbrave schüttelte mir herzlich die Hand, schlug vor, daß wir am nächsten Morgen mit einander frühstücken wollten, und verließ mich dann mit dem Croupier für diese Nacht.

Ich rannte an den Waschtisch, trank etwas von dem dortstehenden Wasser, goß das übrige aus, versenkte mich mit dem Gesichte darein, setzte mich in einen Lehnstuhl und versuchte dann mich wieder einigermaßen zu beruhigen. Es ward mir bald besser zu Muthe. Die Veränderung für meine Lungen aus der dumpfigen Atmosphäre des Spielzimmers in die kühle Luft des Gemachs, wo ich mich jetzt befand, die fast eben so erquickende Veränderung für meine Augen des blendenden Gaslichts des Saales in das matte, ruhige Flimmern einer Nachtlampe, unterstützten wundervoll die Wirkungen des kalten Wassers. Die Betäubung schwand und ich fühlte wieder so etwas wie klare Vernunft. Mein erster Gedanke war der, wie viel ich wagte, die ganze Nacht in einem Spielhause zu schlafen, mein zweiter, wie noch viel gewagter es sei, zu versuchen, von hier fortzugehen, wenn das Haus verschlossen, und bei Nacht allein mit einer großen Geldsumme bei mir durch die Straßen von Paris nach Hause zu wandern. Ich hatte aber an noch schlimmern Orten als diesem hier auf meinen Reisen geschlafen, und so beschloß ich denn, meine Thür zu verschließen, zu verriegeln und zu verbarrikadiren.

Nachdem ich mich so gegen alles Eindringen gesichert, unter das Bett und in die Schränke gesehen, die Fenster untersucht und mich versichert hatte, alle nur möglichen Vorsichtsmaßregeln genommen zu haben, legte ich meine Oberkleider ab, steckte mein dünnes Licht in einen Haufen Asche auf dem Herde und legte mich mit dem Schnupftuche, in welchem sich mein Geld befand, unterm Kopfkissen zu Bette.

Ich wurde bald gewahr nicht blos, daß ich nicht schlafen könne, sondern auch, daß ich nicht einmal die Augen schließen konnte. Ich war völlig wach, aber auch im vollsten Fieber. Jeder Nerv meines Körpers bebte – jeder meiner Sinne schien übernatürlich geschärft. Ich warf mich umher und versuchte jede Art von Lage, suchte mir auch fortdauernd stets die kühlsten Stellen des Bettes aus, aber alles vergebens. Bald steckte ich meine Arme unter die Bettdecke, bald legte ich sie darüber, bald streckte ich meine Gliedmaßen gewaltsam bis an’s Ende des Bettes aus, bald brachte ich sie krampfhaft so nahe an mein Kinn, als es nur möglich, bald schüttelte ich mein zerknittertes Kissen auf, wandte es auf die kühle Seite, strich es glatt und legte mich dann ruhig auf den Rücken, bald schlug ich es zur Hälfte zusammen, stellte es auf das eine Ende, klemmte es an die Bettseite und versuchte nun eine sitzende Stellung, jede Anstrengung war vergebens, und ich mußte mich mit Verdruß überzeugen, daß es hier ohne eine schlaflose Nacht nicht abgehen werde.

Was war zu thun? Ich hatte kein Buch zum Lesen, und doch fühlte ich bestimmt, daß wenn ich keine Methode ausdächte, meinen Geist zu zerstreuen, mir alle nur mögliche Schrecknisse auszumalen, mein Gehirn mit Ahnungen aller nur möglichen oder unmöglichen Gefahren zu ängstigen, kurz, die Nacht mit den Qualen aller ersinnlichen Leiden nervöser Furcht zuzubringen. Ich hob mich auf einen Ellbogen und sah mich im Zimmer um, das von einem freundlichen Mondscheine erleuchtet ward, der voll durch das Fenster hereinfiel, ob es nicht einige Gemälde oder Verzierung enthalte, die ich deutlich erkennen könnte. Als meine Augen so von Wand zu Wand wanderten, fiel mir ein Gedanke an das allerliebste Buch von Le Maistre, Wanderung durch mein Zimmer, ein. Ich beschloß, dem französischen Autor nachzuahmen und darin hinreichende Unterhaltung und Beschäftigung gegen die Langeweile einer schlaflosen Nacht zu finden, daß ich im Geiste ein Inventarium von jedem Artikel der Ausstattung derselben, den ich erblicken könnte, aufnähme und die Menge von Verbindungen, die ein bloßer Tisch, Stuhl oder Waschbecken hervorzurufen im Stande, bis zu ihrer Quelle verfolgte.

Bei dem nervösen und aufgeregten Zustande meines Geistes, fand ich es in diesem Augenblicke für viel leichter, mein mir vorgenommenes Inventar zu machen, als meine mir vorgenommenen Betrachtungen, und gab bald alle Aussicht auf, in Le Maistre’s phantastischer Art zu denken – oder überhaupt zu denken. Ich blickte im Zimmer auf die verschiedenen Geräthschaften umher, that aber weiter nichts. Da war zuerst das Bett, auf dem ich lag – ein vierpfostiges Bett, das ich am wenigsten in Paris erwartet hätte – ja, ein echter plumper Vierpfoster, mit der regelmäßigen Spitze von gestreiftem Zitz – und den regelmäßigen befranzten Umhängen rings herum – nebst den regelmäßigen ungesunden steifen Vorhängen, von denen ich mich erinnerte, daß ich sie beim Eintreten in das Zimmer unwillkürlich zurückgezogen hatte, ohne von dem Bette weiter besondere Notiz zu nehmen. Dann war vorhanden der Waschtisch mit der Marmorplatte, von dem das Wasser, das ich in meiner Hast vergossen hatte, noch langsam und immer langsamer auf den Ziegelboden herabtropfte. Ferner zwei schmale Stühle, mit Rock und Weste und Pantalons von mir daraufgeworfen. Hierauf ein großer Stuhl mit Armlehne mit schmutzigem weißem Cotton überzogen, auf dessen Rückenlehne mein Halstuch und Kragen hing. Alsdann eine Commode, woran zwei bronzene Handhaben fehlten und einem geschmacklosen zerbrochenen Porzellan-Schreibzeuge als Zierrathe darauf. Weiter der Toilettentisch mit einem kleinen Spiegel und einem ungeheuern Nadelkissen versehen. Ebenso ein Fenster – ein ungewöhnlich großes – und zuletzt ein schwarzes altes Gemälde, welches mir das schwache Nachtlicht nur ganz undeutlich sehen ließ. Es war das Portrait eines jungen Mannes mit einem hohen spanischen Hute und einer großen Feder darauf. Ein schwarzbrauner, unheimlich aussehender aufwärtsblickender Kerl, der sich die Hand über die Augen hielt und so stier nach oben schaute, als sähe er nach dem Galgen, an dem er gehängt werden sollte. Wenigstens hatte er ganz das Ansehen, als verdiene er dergleichen.

(Schluß folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_324.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)