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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

hatte noch zwei solche ähnlich lautende anonyme Drohbriefe erhalten und wußte doch in seinem Thun Nichts zu ändern. Er war sich keiner Schuld bewußt und kam endlich auf den Gedanken, daß vielleicht Meta selbst diese Briefe geschrieben, nur um sich durch solche Drohungen zu rächen – an ihre Macht ihn glauben zu lassen. Er konnte doch nicht zu ihr gehen und sie um Verzeihung bitten, daß er der Werbung seines Vaters nicht seine eigne habe folgen lassen!

Indessen war er mehrmals in dem stillen Pfarrhaus gewesen, in dem jetzt immer seine Gedanken weilten und ein süßes Verständniß der Herzen schlang zarte Rosenbande um ihn und Agnes.


IV.

Eines Tages, da Agnes wieder mit zärtlicher Sehnsucht den Geliebten erwartete, brachte der Postbote neue Zeitungen, die sie zerstreut durchblätterte. Da fielen ihre Augen auf die Notiz:

„Diesen Morgen ward der Referendar Ludolf von Buchau verhaftet. Bekanntlich verschwand sein Vater, der Commissionsrath von Buchau vor einigen Monaten mit Hinterlassung eines Kassendefectes. Damals hielt Jedermann den Sohn für unschuldig und frei von jeder Mitwissenschaft. Wie es scheint, sind aber jetzt die Behörden zu einer andern Ansicht gekommen.“

Agnes traute ihren Augen nicht und las die Stelle wieder und wieder. Kein Zweifel an Ludolf kam in ihre Seele. „Er ist unschuldig – nur ein Mißverständniß oder eine mächtige Feindschaft hat diese Verhaftung veranlaßt,“ sagte sie sich; „aber ich muß hin zu ihm, um Alles zu erfahren und um ihm zu sagen, daß ich an ihn glaube.“

Sie theilte dem Vater dies Alles und ihren Entschluß mit. Anfangs bestritt er denselben, obwohl es ihm auch schwer fiel, an Ludolf’s Schuld zu glauben. Aber Agnes blieb so fest und bat so lange, daß er endlich in ihren Entschluß willigte.

Am folgenden Abend war sie am Ziel ihrer Reise. Den Morgen darauf ging sie zuerst zu Ludolf’s Mutter und Schwester. Der Sohn hatte ihnen von ihr erzählt, sie fühlten sich ihr zu Dank verpflichtet und hätten sie zu jeder andern Zeit mit offnen Armen empfangen. Heute war ihr Empfang verlegen und förmlich. Agnes wollte diesen Ton durch die freimüthige Erklärung ändern, daß sie Alles wisse und nur gekommen sei, um ihnen und Ludolf die Versicherung zu bringen, daß sie hier an Nichts glaube – als an ein Mißverständniß.

Die Commissionsräthin umarmte sie gerührt und sagte mit Thränen in den Augen: „Armes Kind – ich glaube es auch nicht von meinem Mann!“

Das war den Fluch der Erfahrung, des getäuschten Vertrauens, daß die Mutter jetzt auch am Sohne zweifelte.

Aber Agnes zweifelte dennoch nicht an dem Geliebten. Sie fragte, wo sie die Erlaubniß erhalten könne, ihn zu sprechen und ging dahin. Dem fremden Mädchen wollte man anfangs sein Gesuch abschlagen – da nannte sie sich seine Braut und erhielt eine Karte, die ihr die Thür seines Gefängnisses öffnete. Ein Aufseher begleitete sie mit hinein.

Ludolf starrte sie an, als blende ihn eine himmlische Erscheinung – er konnte nicht glauben, daß sie es sei, und sie war es doch! Er hatte nicht gewagt, ihr zu schreiben, von seinem Loos ihr Kunde zu geben – aus Rücksichten für sie – der mit entehrendem Verdacht Behaftete wollte nicht mehr wagen ihr zu nahen – und nun kam sie selbst!

Welche Feder soll diese Scene beschreiben? – Sie vergaßen Beide Alles um sich her, denn sie wußten nun, daß nur sie einander Alles waren. Er brauchte ihr seine Unschuld nicht zu betheuern, denn sie hatte ihn ja nie für schuldig gehalten. Er sagte ihr, daß er Fräulein von Zahring für seine falsche Denunziantin halte.

„Meta von Zahring?“ rief Agnes, „dann bist Du gerettet! Mein Vater hat mit ihr Geduld genug gehabt, bis sie wieder eine neue Schandthat begehe – er wollte die Sache dem höchsten Richter anheimstellen, wo auf Erden nichts mehr zu sühnen war, aber nun wäre Schweigen ein Verbrechen.“ Sie wagte nicht mehr zu sagen und hatte auch nur diese Worte leise geflüstert. „In wenig Tagen bist Du frei, denn auf ihr Zeugniß hin wird man Dich nicht mehr für schuldig halten.“

Agnes reiste noch am selbigen Tage ab. Am zweiten Tage nachher erschien der Pfarrer Meinau vor der Justizbehörde und zeigte an, daß eine vor einigen Tagen in seiner Parochie verstorbene Frau nun auf ihrem Todbett gestanden, daß sie Mitwisserin eines Mordes sei. Sie habe vor funfzehn Jahren auf dem Gut des Herrn von Zahring gedient, der zwei Töchter und eine Nichte, Namens Meta, gehabt. Das eine Fräulein sei als Braut plötzlich gestorben und das andere ein Jahr darauf auch sehr krank geworden. Fräulein Meta habe sie gepflegt. Eines Tages, da es mit dem kranken Fräulein wieder besser gegangen, habe Meta in deren Suppe ein weißes Pulver gethan. Sie, die Dienerin, habe das gesehen, es aber für ein Medicament gehalten. Am folgenden Tage war die Kranke gestorben und habe, als sie einmal vorher einen Augenblick mit ihr allein gewesen – Meta sei sonst nie von ihrem Bett gewichen – gesagt: die Suppe habe ihr gleich widerstanden; sie glaube, ihre Cousine habe sie vergiftet. Ich solle aber Nichts sagen, denn vielleicht täusche sie sich, und es könne Nichts helfen, mit ihr sei es nun doch vorbei. Die Dienerin hatte später gegen Meta selbst ihren Verdacht ausgesprochen, diese hatte freilich geläugnet, aber bald nachher die Dienerin entlassen und ihr gesagt: wenn sie noch fortzöge und nie Etwas von dieser Sache sage, wolle sie ihr tausend Thaler geben – und die Dienerin hatte das Geld genommen und geschwiegen. Sie war weit weggezogen und hatte dann sich nach dem Dorfe verheirathet, in dem Meinau Pfarrer war. Auf ihrem Sterbebett suchte sie ihrer geängsteten Seele durch dies Geständniß Ruhe zu verschaffen.

Der Pfarrer war unschlüssig, was er thun sollte. Die Todten standen nicht wieder auf! Er fragte seine Tochter nach Fräulein Zahring, da diese voriges Jahr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_357.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)