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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

wir so), zu erscheinen. Sie wiederholte die Worte dreimal, beugte sich dreimal und sank dann auf die Kniee. Sofort hörten wir ein dunkles, unterirdisches Stöhnen und sahen auf einer dunkeln Fläche Lichter und Schatten spielen, die sich wie auf einen Blitz in die deutlichste, lebensgroße Gestalt von Heinrichs Bruder verwandelten. Die Aehnlichkeit war sprechend und erschreckte uns bis in’s Innerste mitten in unserem Unglauben. Er trug die Uniform seines Regiments, an der man jeden Knopf zählen konnte.

Heinrich zitterte. Die Dame rief in scharfem Tone: „Sprich zu Deinem Bruder im Namen des alten Glaubens!“

Er versuchte zu sprechen, aber er, der Ungläubigste, der sich blos einen Spaß hatte machen wollen, war jetzt von der Gewalt der Gegenwart des Mystischen, Unerklärlichen so erschüttert, daß er keine Worte herausbrachte.

Der Geist in preußischer Offizier-Uniform bewegte sich etwas und rief dann mit einer dünnen, hohlen Stimme, wie aus einer tiefen Höhle, ohne seine Lippen zu bewegen: „Warum beunruhigst Du den Todten? Ist Dir noch nicht bekannt, daß ich vor 3 Tagen im Zweikampf mit dem Capitän M. blieb, nachdem ich ihm seinen letzten Thaler abgewonnen und er mich beleidigte? Geh’ und führe ein besseres Leben als ich.“ Geist und Flamme verschwanden und der Mond schien wieder herein, als wär’ er bei der Sache stark betheiligt gewesen.

Schweigend öffnete die Dame das Zimmer, schweigend gingen wir hinaus, nur von dem viereckigen auf der Flur aufgehalten, das die Herren in der Regel immer nachher bezahlten. Heinrich gab ihr schweigend die 10 Thaler, die der Sage nach das übliche Honorar waren, und ging draußen schweigend neben mir hin. „Wo ist nun Dein Spaß?“ sagte ich. „Wie kannst Du Dich von einem solchen offenbaren, wenn auch gelungenen Schwindel nur einen Augenblick bethören lassen?“

„Wir hatten nicht beachtet,“ antwortete Heinrich, „daß mein Bruder in mehreren Briefen erwähnte, wie gespannt er mit dem Capitän lebe und daß er sich noch mit ihm zu schießen hoffe, da er beim Spiel in der Regel sehr anzüglich werde und Offizier-Ehre keinen Hauch vertragen dürfe. Wir wollen sehen. Ich fürchte: die Geisterwelt ist nicht verschlossen.“

All’ mein Lachen, Spotten und Trösten half nichts. Er nahm von mir schwermüthig Abschied.

Am nächsten Morgen ward ich von Heinrichs Stiefelwichser auf meinem Wege in’s Colleg beinahe umgerannt: so athemlos stürzte er mit einem offenen Briefe auf mich zu.

Da! Richtig. Die officielle Nachricht, daß Heinrichs Bruder im Duell geblieben.

Jetzt war’s auch mit meinem Rationalismus aus, noch mehr, als ich Heinrich im wahnsinnigsten Fieber traf und phantasiren hörte. Das machte Aufsehen, und zwar so viel, daß die beiden Damen (man sagt: auf Geheiß der Polizei) schon am folgenden Tage es für’s Beste hielten, spurlos verschwunden zu sein.

Unter seiner Mutter Pflege erholte sich Heinrich wieder so weit, daß er mit ihr eine Reise durch die Schweiz, Italien und Frankreich machen konnte. Auch ich wurde Reisender und zwar als eine Art Hauslehrer, Dolmetscher und Gesellschafter einer Familie, die sehr bedeutend an Reichthum, Trägheit und Hypochondrie erkrankt war.

Wir reisten durch halb Europa und ich entdeckte in den meisten großen Städten Spuren von der Wirksamkeit der beiden Geisterbeschwörerinnen. In Rom hatten sie Wunder gethan, in Paris gewahrsagt, in Wien Liebes-Elixire und Mittel gegen Gicht, Rheumatismus, kurzes Gedächtniß und chronische Schwerbegreiflichkeit verkauft. In Petersburg waren sie gänzlich verschwunden.

Von Heinrich hörte ich nur, daß er nach Vollendung seiner Reisen angefangen hatte, Astrologie, Nekromantie und allerhand schwarze Künste zu studiren. Für alte, zerfressene Bücher hatte er fast sein ganzes Vermögen hingegeben.

Etwa 15 Jahre später traf ich ihn wieder in Berlin, ohne ihn sogleich zu kennen. Er sah aus wie ein alter, halbverhungerter, vergessener Privat-Docent. Wir berührten unser Abenteuer nicht und er vermied mich sichtlich. – Ich pflegte meine Cigarren in einem kleinen Laden, in welchen ich einmal zufällig gekommen war, immer wieder zu kaufen, denn die alte dicke graue Hexe darin schien mir die genaueste Aehnlichkeit mit der zu haben, die uns das Thor zu unserm Abenteuer geöffnet hatte. Sie bestritt zwar Alles, so viel ich ihr auch bot, denn ich war überzeugt, sie könne mir endlich einen rationellen Schlüssel zu dem Abenteuer verschaffen. Was Geld nicht vermochte, gelang mir durch Erschütterung ihres Gewissens, als ich sie eines Abends spät ziemlich krank fand. Und so bekannte sie denn endlich, um ihre Seele zu reinigen, daß sie durch eine lange Röhre die Worte des Geistes gesprochen und dieser durch Vergrößerung eines Miniaturbildes, welches Petermann meinem Freunde Heinrich vom Zimmer gestohlen, entstanden sei (in der Weise der Nebelbilder), das war auch richtig. Heinrich hatte das Miniatur-Portrait seines Bruders vermißt, als er wieder von seinem Fieber zur Besinnung gekommen. Petermann war einer der Helfershelfer gewesen. Durch einen Polizeibeamten, der mich ärztlich zu Rathe zog, erfuhr ich später, daß die beiden Betrügerinnen hätten arretirt werden sollen, aber durch ihre Spione davon bei Zeiten benachrichtigt, sich vorher aus dem Staube gemacht und ihre Maschinerie im Stiche gelassen: Copiermaschinen, große Massen von copirten Briefen, eine Sammlung von Petschaften und Apparaten zum Abdrücken von Siegeln, kurz ein sehr vollständiges „schwarzes Cabinet.“ Daß mit ihnen fast gleichzeitig ein subalterner Postbeamter das Weite gesucht, brachte jene Nacht voll blauer Flammen und Wolfsschluchtmondschein vollständig an’s Licht und zum Verstande.

Mit diesen Mitteln curirte ich Heinrich vollständig. Er gab seine Versuche, den Schlüssel zum Göthe’schen „Hexeneinmaleins“ zu finden und auch seine astrologisch-nekromatische Bibliothek auf und setzt jetzt in seinen alten Tagen den Kleinkrämergeistern, die wie Holzwürmer in Tischen ihr Wesen treiben und ihn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_365.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)