Seite:Die Gartenlaube (1853) 383.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 36. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Das Begegnen in der Oper.

Novelle von Amely Bölte.
(Schluß.)


Höchst seltsam nehmen sich diese vereinzelten Bestrebungen aus, und traurig und peinlich war der Eindruck, den sie hinterließen! Es war das Bild der großen Weltbühne, der Cultus des Ich in seinem Schmuck als Pantomime. Und der Mond, den man jetzt eben aufzog, die Wolken, die den Horizont nur dunkeln sollten, der Donner, den man eben sanft versuchte, das Alles paßte vollkommen in diese Schöpfung, die der Menschengeist erfunden.

Piat und seine Begleiterin eilten schnell durch diesen Bühnenjahrmarkt, ohne daß Jemand Zeit gefunden hätte, sie auch nur durch einen Blick auf ihrem Wege anzuhalten. Draußen schienen die Sterne hell. Auf diesen nackten Mechanismus der Kunst machte das einfache Walten der Natur, die scheinbare Ruhe bei der unendlichen Bewegung, die sich dem Auge nur durch den Gedanken verräth, einen wohlthätigen Eindruck. Es war eine laue Sommernacht. In den Straßen wurde es schon stille. Der Diener folgte mit einförmigem Tritte. Bald traten sie in den Park von St. James. Hinter dem Palaste der Königin zog eben die Mondscheibe herauf und warf ihr falbes Licht auf die ganze herrliche Umgebung. Die hundertäugigen Gasflämmchen erbleichten vor dem prächtigen Gestirne, und fügten sich darin, ihm zur Folie zu dienen. Der herrliche Thurm von Westminster aber, den kein Strahl getroffen, blieb in seine düsteren Farben gehüllt, und sprach zu dem blauen Nachthimmel mit ernster Mahnung von vergangenen Zeiten.

„Wie schön ist es hier;“ rief Susanne überrascht. „Der Park nimmt sich nie so gut aus, wenn die Sonne scheint und es hier von Menschen wogt.“

„Waren Sie nie zuvor des Abends hier? Wie viel entbehrten Sie da. Um Mitternacht hier zu wandeln, ist mein schönstes Vergnügen. Ich lasse dann oft sinnend die Abendgebete dieser zwei Millionen Seelen an meinem innern Auge vorübergehen und sehe da Himmel und Hölle, Liebe und Haß, Tod und Leben, in wunderbar buntem Gemisch. – Welche Contraste des Lebens, des Denkens, des Empfindens hausen da beisammen! – Sie sollten hier mitunter Abends einsam wandeln.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_383.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2020)