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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

blos mit seiner Umgebung, wenn er ihnen Befehle mitzutheilen hat, obgleich er diese immer blos in der Form von Rath und göttlicher Eingebung ertheilt. Sein Gesicht hat einen überaus milden Ausdruck, einer Milde, die Asceten so oft eigen ist und die weder Festigkeit noch jene Hartnäckigkeit ausschließt, durch welche Personen von bestimmten religiösen Ueberzeugungen schon so oft Großes erreicht haben. Seine Farbe grenzt an’s Saffrangelbe, wie in den südlichen Provinzen China’s. Er ist größer als Hièn-fung, aber erscheint weniger kräftig.

Der junge tatarische Kaiser ist leicht in seinen Bewegungen, sein Blick fest und sagt ohne Worte, daß ihn nur blinder Gehorsam befriedigen kann. Tiènti dagegen hat etwas Langsames und Stieres in seinem Blick, als wollte er die Tiefen der menschlichen Seele durchschauen und all’ ihre geheimen Gedanken errathen. Er besitzt jene schweigsame Zurückhaltung, die Männern eigen ist, welche sehr lange nachdenken, ehe sie Jemand in ihre Pläne einweihen.

Das etwa sind die Hauptzüge der beiden jungen Herren, die jetzt um den Thron, dem über 300 Millionen Menschen unterworfen sind, kämpfen. Vergleichen wir sie näher, so ergiebt sich, daß der erstere seiner ererbten Stellung durchaus nicht gewachsen ist, abgesehen davon, daß sie keine Wurzeln im Volke hat, während der andere alle die Eigenschaften besitzt, die einen Usurpator begünstigen. Hièn-fung, ausgestattet mit der absoluten Macht der Staatsregierung und verpflichtet, deren Maschine zu leiten, weiß nicht, wie die Theile, welche durch die Zeit unbrauchbar geworden, ersetzt werden können. Sein Hauptfehler besteht in dem Mangel an feinem Takt, mit welchem auch ein absoluter Herrscher gegen die Untergebenen Maß halten muß in Tadel und Lob. Es fehlt ihm durchaus an richtigem Urtheil und an der Gabe, sich unter der feilen Masse von Dienern, Eunuchen, Concubinen und Sklaven, die ihn umkriechen, zurechtzufinden und bessere und treue von denen zu unterscheiden, die als Abenteurer blos ihren augenblicklichen Vortheil verfolgen und danach rathen, handeln und intriguiren. Heftig und schwach zugleich setzt er in seine augenblicklichen Günstlinge blindes Vertrauen. Und wenn diese auch etwas Vernünftiges rathen, aus seinem Gehirne kömmt es doch wie ein Fehler heraus und beleidigt durch taktlose und grausame Form. Tièn-ti dagegen hat sein politisches System so angelegt, daß es ihm treue Anhänger sichert. Er macht einfach seine Interessen zu den ihrigen. Gegen Alle freundlich und zugänglich hat er doch blos einen einzigen, völlig unbekannten intimen Freund, der ihn stets begleitet. Heftigkeit ist ihm völlig fremd. Er spricht stets wenig und mit Mäßigung und nur mit der größten Zurückhaltung von Hièn-fung. Die Beamten, die ihn umgeben, sind Miteigenthümer seines Glücks und seiner Habe; er wird daher eifriger und treuer bedient, als der Kaiser in Peking. Alle Disciplin geht direct von ihm aus. Während seine Generale immer weiter vordringen, Stadt auf Stadt erobernd, hält er sich im Hintergrund und organisirt sein politisches System in den eroberten Districten auf eine Weise, die zugleich neu und volksthümlich ist, da es hauptsächlich auf Abschaffung bedrückender Mißbräuche hinausläuft. Zugleich hält er sich dem Kriegsschauplatze stets so nahe, daß seine Feinde ihn eben so wenig feig als seine Freunde verwegen nennen dürfen. –

Wie die Kaiserlichen den Insurgenten oft in die Hände arbeiten, davon nur ein Beispiel. Der tatarische Vicekönig Siu, Generalissimus aus der kaiserlichen Armee, beschloß eines Tages, die Rebellen auf einmal zu vertilgen. So ließ er 4000 Büffelochsen, alle mit kaiserlichen Stirnen versehen, zusammenbinden und an ihre Hörner 8000 große Pechfackeln befestigen, diese anzünden und so die ganze gehörnte Armee von 4000 Soldaten in das feindliche Lager treiben, damit sie dasselbe in Brand stecken und alle Rebellen an ihre Hörner spießen sollten. Die Rebellen sahen sich den großartigen Fackelzug ruhig mit an, ließen ihn in ein Thal hereinziehen und überfielen dann mit einem Male die 4000 Soldaten und Ochsen, so daß Keiner lebend blieb. Von letzteren wurden in der ganzen Rebellen-Armee delikate Beefsteaks gebraten.

Niemand zweifelt mehr, daß Tièn-ti China der Civilisation und dem Verkehre der Welt öffnen wird und bald mehr in Europa von China und Nanking geschätzt werden wird, als ein Mittel gegen das Fieber, Thee und Nankinghosen. Die Gartenlaube brachte schon ein Bild von Nanking (in Nr. 27). Wir lassen hier eine genauere Schilderung dieser Perle des himmlischen Reiches, die auch bereits an der Krone Tièn-ti’s befestigt ist, folgen.

Nanking breitet unweit des Meeres an dem ungeheuren Yang-tse-kiang (blauem Flusse), der das eigentliche China in beinahe zwei gleiche Hälften theilt, im Süden von Gebirgen nach der himmlischsten aller Ebenen aus, die von Kanälen dichter durchadert ist, als der menschliche Körper von Blutvenen. Alle diese Kanäle wimmeln stets von Schiffchen und Kähnen und die Ufer derselben seufzen unter der herrlichsten Bürde von Pflanzen und Früchten. In diesen Ebenen wächst die berühmte gelbliche Baumwolle, die in der ganzen Welt bekannt ist, und der größte Theil des Reises, welcher durch ganz China statt unseres Kornes und Weizens dient. Kiang-Nang, d. h. die Provinz Nanking, ist der kostbarste Juwel in der Krone des Sohnes der Sonne und Bruders des Mondes. In ganz Europa giebt es kein Fleckchen Erde, das an Fruchtbarkeit dieser ungeheuren Ebene nur nahe käme. Die Felder geben jedes Jahr mindestens doppelte Ernten und keimen, blühen und reifen stets ohne Aufhören. Die Grenzen der einzelnen Ackergrundstücke bringen die delikatesten Vegetabilien von der Welt hervor. Der Po-tsai, eine Art von Kohl, bittrer Mostrich, Wassermelonen, Kartoffeln, hunderterlei fleischige gurkenartige Früchte und Trauben, die Fremde oft für Weintrauben halten, Granaten, durchsichtig wie Glas, Pfirsiche, gegen welche die von Montreuil wie wilde Holzäpfel erscheinen würden, und unzählige Frucht- und Obstarten, von deren Schönheit, Fülle und Aroma man nur an Ort und Stelle sich überzeugen kann, daß es keine Phantasiegebilde sind, duften und glänzen in schattiger, warmer Luft, dazwischen scharlachrote Fasanen und tausenderlei Vögel und Geflügel von seltsamster

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_438.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)