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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 42. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Gott verloren – Alles verloren.

Ein Seelengemälde nach Familienpapieren mitgetheilt von Ferdinand Stolle.
(Fortsetzung.)


Ich las seinen Brief wohl zehnmal, wie im dumpfen Traume. Ach, was hätt’ ich drum gegeben, recht heiß weinen zu können. Aber keine Thräne benetzte meine brennenden Augen. Ruhelos schritt ich das Zimmer auf und ab, sah starren Blicks nach meinem Brautkleide, das glänzend und prächtig auf dem Divan ausgebreitet lag. Zornig warf ich den Rubinschmuck, der mich morgen zieren sollte, zur Erde und biß mir die Lippen blutig, um nicht laut aufzuschreien. Kein Gedanke an Gott und die Feierlichkeit des Bundes, den ich morgen eingehen sollte, kam in meine Seele, und die auf leidenschaftliche Schmerzausbrüche eintretende Ruhe war nur die Folge körperlicher Abspannung.

Der klare, sonnige Morgen fand mich ruhig und entschlossen oder vielmehr trotzig und voll stillen Zorns gegen das Schicksal. Ein erzwungenes Lächeln verhüllte wie ein Schleier den Zustand meines Innern. Gleichgültig als ginge es zu einem Balle, ließ ich mich in den schweren weißseidenen Stoff kleiden und Hals und Arme mit funkelnden Steinen schmücken. Als Kranz und Schleier auf meinen dunkeln Locken ruhten und ich mich bräutlich geschmückt im Spiegel beschaute, vermochte ich trotz meiner unglücklichen Stimmung ein gewisses stolzes Wohlgefallen ob meiner Schönheit nicht zu unterdrücken. „So will ich denn von heut’ an,“ sprach ich zu mir, „nur der Prunksucht und Eitelkeit leben, da mir das Glück keine Gabe außer Reichthum

und Schönheit gegeben hat.“ Dergleichen weltliche Gedanken erfüllten mich in demselben Augenblicke, wo ich vor Gott treten sollte. Der Schall der Glocken erst brachte mich wieder zu dem niederbeugenden Bewußtsein, daß ich von jetzt an einem ungeliebten Manne angehöre und daß die strenge Pflicht das Opfer meines für einen Andern erglühenden Herzens verlange. Wie von einem bösen Traume befangen, ging ich zur Kirche, hörte die Stimme des Priesters, ohne seine Worte deutlich zu verstehen, sagte mechanisch: Ja, und welchselte den Trauring. Meine Seele war während der ganzen Ceremonie weit weg, fern in den blauen Bergen der Schweiz bei Constantin. Nur Stolz bestimmte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_453.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)