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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

aus meinem Busen gefallen. Constantin hob ihn hastig auf und las langsam und mit Thränen in den Augen die geschriebenen Worte. Dann sagte er mit gebrochener Stimme: „Armes, liebes Herz! unglückliche Schwärmerin! Was ist mit Dir vorgegangen, daß Du Dich nach dem Tode sehnst wie der verschmachtende Wandrer nach der frischen Quelle? O Leonore, auch Dich hat die religiöse Schwärmerei angesteckt, der falsche Wahn, durch Entäußerung alles Erdenglückes Gott wohlgefällig zu erscheinen. Dich drückt keine Schuld, als die, welche alle Menschen mit Dir theilen – komm mit mir, sei meine Leonore!“ Er wollte mich zu sich emporziehen. „Weiche von mir,“ rief ich wild abwehrend. „Du erscheinst mir zwar in reizender Gestalt, Deine Stimme gleicht der Stimme eines rettenden Engels; aber Du lockst mich in die Verdammniß, in den ewigen Tod – Versucher! entfliehe! –“ Und er entfloh – todtenbleich, mit dem Ausdrucke tiefsten Seelenschmerzes, getäuschter Hoffnung und Liebe. Seine letzten Worte waren: „Ich liebe Dich, ich verzeihe Dir.“ Ach, er glaubte mich von religiöser Schwärmerei befangen, eine krankhafte Richtung damaliger Zeit, die manches junge Gemüth hinter Klostermauern führte. An die Möglichkeit, daß seine geliebte Leonore eine Mörderin – daran dachte er nicht mit entferntester Ahnung. Nach dieser letzten Trennung schrieb er mir noch einmal, in dem Wahne, mich von meiner frommen Schwärmerei zu heilen; aber in der Entsagung des Theuersten auf Erden erkannte ich meine Buße.

Ein Jahr nach dem andern zog über meinem schuldbelasteten Haupte dahin. Ich fristete mein trauriges Dasein durch die mir einst von Goethe empfohlene nützliche Thätigkeit und wurde darum von Allen, die mich kannten, geachtet und geehrt. Doch was hilft die Achtung Anderer, wenn man sich nicht selbst achten, sondern vor sich zurückschaudern muß. Eine solche Achtung belastet das Herz und quält die Seele.

Meine Schönheit begann zu welken. Die strahlenden Augen verloren ihren Glanz und sanken tiefer in ihre Höhlen; die Wangen fielen ein; die Anmuth der Gestalt entwich. Immer einförmiger wurden meine Tage – die Nächte aber, o die Nächte blieben dieselben. Noch immer streckte der Schatten des Ermordeten seine Hand gegen mich und wehrte meine Seele, an Constantin zu denken. Kein Traum von ihm erquickte jemals meine Nächte. Aber fort und fort tönte es wie feierlicher Choral an mein inneres Ohr: „Confiteor!“

Da erhielt ich an einem trüben Winternachmittage die Nachricht von Constantin’s Tode und sein letztes Lebewohl – Worte der Liebe, der Verzeihung und Hoffnung. Welcher Hoffnung! Er hoffte mich jenseits wieder zu finden. Ach, ich bezweifelte jetzt wohl auch nicht mehr, daß mich ein Jenseits erwarte. Aber durfte ich dort, ohne meine Blutschuld gesühnt zu haben, mit ihm, dem Reinen, zusammen treffen?

Meine Thränen flossen heiß, aber gewährten keine Linderung meinem Weh. Durch meine Schuld starb er einsam, von keinem treuen Herzen bewacht und gepflegt.

Ungefähr acht Tage nach Constantin’s Tode hatte ich einen seltsamen Traum. Ich schritt beim Schimmer des Mondes durch die abendlichen Straßen, als ich plötzlich Constantin erblickte, der vor mir herging. An seiner Seite, dicht angedrängt, schlich eine schwarz gekleidete, schlanke Frauengestalt. Bebend vor Freude suchte ich dem Geliebten nachzueilen; meine Füße aber waren wie gelähmt, so daß ich stets einige Schritte hinter den Beiden zurückblieb. Der Himmel wurde dunkler, finstere Wolken legten sich über den Mond. Da zog Constantin etwas aus seinem Busen und hielt es mit erhobener Hand in die Höhe. Es glänzte wie Silber. Immer heller wurde das Licht, das seiner Hand entstrahlte; immer schneller eilten die Beiden voran, immer athemloser folgte ich. Plötzlich gestaltete sich das Licht in Constantin’s Hand zu einem Sterne, in dessen Mitte das Wort: Confiteor! leuchtete. Jetzt bog Constantin in eine dunkle Halle; die himmlische Leuchte seiner Hand erlosch. Wir stiegen eine steinerne Treppe hinauf, die zu einer eisernen verschlossenen Thür führte. Die Thür sprang auf und wir standen in einem düstern, von einer Oellampe matt erleuchteten Kerker. Nichts befand sich darin als eine eiserne Bettstelle, ein hölzerner Stuhl und ein Tisch mit der aufgeschlagenen Bibel. Das weibliche Wesen, das mit Constantin gegangen war, wandte sich jetzt langsam um nach mir. Ich schaute ein todtenblasses ernstes Antlitz – o Entsetzen! – es war mein eigen Antlitz. Ich war es selbst, die ihr Bild anstarrte! – Der Stern begann von Neuem zu flimmern, das leuchtende Confiteor! ward wieder sichtbar und verklärte den grausigen Kerker – mein eigen Gesicht starrte mich in Einem fort an – ich stieß einen hellen, wilden Schrei aus und – erwachte.

Ernst und entschlossen stand ich auf und fiel vor meinem Lager auf die Knie, Gott um Kraft zu dem Entschlusse anzuflehen, den ich jetzt gefaßt hatte. Ich fühlte die tiefe, mahnende Bedeutung des Traumes. Ich wollte die heuchlerische Rolle, die ich so lange in der Welt gespielt und womit ich die Menschen getäuscht, abwerfen. Ich wollte den Schleier von meinem Verbrechen abreißen und mich öffentlich zeigen, was ich war – eine Mörderin!

O, es kostete großen, schweren Kampf, die Maske, die ich Jahrzehnte lang getragen, abzulegen – die allgemeine Achtung, die ich genoß, mit dem Abscheu zu vertauschen, den man vor meinem Verbrechen haben mußte; aber ich that es muthig und zeigte den an meinen Gatten begangenen Mord den Gerichten an.

Laßt mich schweigen von dem Entsetzen, welches Alle befiel, die mich geliebt und geachtet; laßt mich schweigen von der Stunde, wo ich vor meinen Richter trat, wo mein Mund das Verbrechen bekannte und alle Einzelheiten desselben näher bezeichnen mußte. Es waren schreckliche, entsetzliche Stunden – aber zugleich fühlte ich eine wunderbare Erleichterung. Es war, als wenn eine Felsenlast, die Jahrzehnte auf meiner Seele gelegen, endlich herabgewälzt wäre. Eine wohlthätige Ruhe, eine Art Erlösung kam über mich und zum ersten Male in meinem Leben zuckte wie ein himmlischer,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_477.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)