Seite:Die Gartenlaube (1853) 512.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

und darauf aufmerksam gemacht zu werden, wie es eigentlich zuging, daß er weit und breit als literarischer Eroberer der gebildeten Welt siegreich auftreten konnte. Für die Menschen, die Englisch nicht als ihre Muttersprache reden, that er weiter nichts, als daß er ein Buch schrieb, einen Theil der neuern Geschichte Englands. Alle seine andere und frühere Thätigkeit reichte nicht hin, ihn über eine mittelmäßige, auf das Land und die Gelehrten sich beschränkende Berühmtheit hinaus zu erheben. Es war das bereits in siebenter Auflage erschienene, oft nachgedruckte und zum Theil mehrfach in alle Sprachen civilisirter Völker übersetzte Geschichtswerk, welches ihn zu einer europäischen Berühmtheit erhob. Und dabei enthält es in Thatsachen nichts wesentlich Neues. Es ist kein Werk großer, tiefer Forschung mit neuen wichtigen Entdeckungen in der Geschichte, es bringt lediglich den Beweis, daß ein Volk, das mit Energie das Gute, d. h. den politischen Fortschritt und die Civilisation in jeder Beziehung will, durch keine Gewalt der Mächtigen aufgehalten werden kann. Und dieser Beweis, die ganze Darstellung der Geschichte Englands ist ein Meisterstück der Form, wie es vordem kein Geschichtsschreiber Englands und des Continents geliefert hat. – Es ist die neue, brillante, musikalische Form der Sprache und effectvoller Malerei, die den Hauptreiz seiner historischen Darstellung ausmacht, wozu allerdings die von ihm gewählte Geschichtsperiode das Ihrige beitrug. Es ist wichtig und interessant, die Macht, die Allmacht der schönen Form für bekannte Stoffe – und darin besteht das Wesen und der unwiderstehliche Reiz der Kunst im Allgemeinen – auch in dieser Richtung und Erscheinungsform nachzuweisen und die Persönlichkeit derselben zu zeichnen.

Macaulay wurde 1800 geboren. Allen Vermuthungen nach ist er ein Schotte, wie sein Vater Zachariä M. ein Kaufmann für Westindien und Afrika, ein Freund von Wilberforce und gegen sein specielles Interesse ein Abolitionist, d. h. Gegner der Sklaverei in Amerika. Unser M. ward erst zu Hause erzogen und gebildet, später im Trinity-College zu Cambridge, der berühmten Universität, auf der eine Reihe der berühmtesten englischen Größen, Bacon, Byron u. s. w. sich Studirens halber aufhielten, womit freilich nicht gesagt sein soll, daß Cambridge oder irgend eine andere Universität große Männer mache. Die englischen Universitäten können allerdings große Talente klein machen, aber nicht umgekehrt. Cambridge hat blos den Ruhm, Männer wie Bacon, Byron, Macaulay u. s. w. nicht klein bekommen zu haben.

Ein Studentenleben giebt’s auf den pfäffischen, pedantischen Universitäten Englands nicht. Macaulay studirte fleißig und gewann verschiedene Preise und machte die erforderlichen „Grade“ durch. Darauf kam er nach London in der Juristenzunftlehranstalt Lincolns-inn in die Lehre und ward 1826 „zur Barre gerufen“ , d. h. als activer Jurist zu Gerichtsverhandlungen als Vertheidiger, Anwalt oder Justiz-Commissarius zugelassen. In dieser Sphäre hat noch Niemand Ruhm erworben, wohl aber viel Geld und Schmach, da die englische Gerichts-Praxis ein Institut ist, das blos da zu sein scheint, um Juristen Gelegenheit zu geben, Denen, die Geld haben, es abzunehmen und ihnen dafür „Recht“ zu geben. M. scheint nicht viel Geschmack an diesem Berufe gefunden zu haben, wenigstens beweisen seine mannichfaltigen Aufsätze und Kritiken in einer Vierteljahrsschrift (Edinburgh Review) im Jahre 1826 über Milton u. s. w.), als deren Mitarbeiter er Jahre lang seinen literarisch-kritischen Ruhm begründete, daß er literarisch äußerst thätig war. Schon zwei Jahre vorher hatte er sich als Dichter in einer andern Vierteljahrsschrift (Knight’s Quarterly Magazine) gedruckt gesehen. Doch ward er als Dichter nie so groß, wie als Kritiker großer Dichter und literarischer Notabilitäten. Berühmt sind seine Abhandlungen über Byron, Addison, Bacon, Walpole, Johnson u. s. w. Die erstere gilt als die klassischste, wiewohl keine wirklich groß und schön genannt werden kann, da Macaulay als das glücklichste Talent der Form es nie dahin brachte, große tiefe Denker und Dichter wirklich zu begreifen. Er rühmt in der brillantesten Form ihre persönlichen und literarischen Tugenden, bedauert aber dabei, daß sie nicht immer das anständige Leben geführt, wie es jeder englische Gentleman mit reinen Vatermördern, alle Morgen frisch rasirt und mit der vorgeschriebenen Form des Backenbartes führen muß. Um ein Genie in allen seinen Widersprüchen als ein großes Ganze begreifen und schildern zu können, muß man selbst ein Genie sein. Unter seinen dichterischen Productionen wird die Ballade: „der Krieg der Leaque“ als die „talentvollste“ bezeichnet, so wie die „altrömischen Gesänge“ („lays of ancient Rome“), geschöpft aus den heroischen und romantischen Schilderungen des Livius, durch starkfarbige Malerei des altheroischen Lebens, Gelehrsamkeit und eine eigenthümliche, brüchige Energie des Styls auffielen. Die literarisch-kritischen Abhandlungen sind aus dem Edinburgh Review mehrfach gesammelt und herausgegeben worden. Sie gelten als die brillanteste neue englische Prosa, d. h. ihr Verdienst liegt wesentlich in der Form, die zuweilen sirenenhaft wirkt, ohne daß man durch große Gedanken oder durch tiefere Auffassung des Lebens unterbrochen wird. –

Seine staatliche Laufbahn begann mit einer sehr unangenehmen Anstellung. Das Whig-Ministerium stellte ihn (1828) als Commissionär der Bankerotte an. Im Jahre 1832 gelang es ihm, als Candidat für das Unterhaus von den Wählern in Calne die meisten Stimmen zu erhalten und so in das „reformirte“ Parlament zu kommen. Seine erste Rede zu Gunsten weiterer Reform soll gut ausgefallen sein, wenigstens jedenfalls besser, als seine (bis jetzt) letzte, in der er warnte, man solle die Reformen für die sehr reformbedürftige indische Regierung nicht zu gut machen, damit die Nachwelt auch noch etwas zu thun behalte. Das würde so viel heißen als: Ich sündiger Mensch darf mich nicht auf einmal zu sehr zum Bessern bekehren, damit mir spätere Tage nicht vorwerfen, ich sei zu gut für mein Alter. – Im Jahre 1834 ward er von Leeds gewählt, gab aber sein Vertreter-Amt auf, wie als neugewähltes Mitglied des höchsten Gerichtshofes der ostindischen Regierung nach Calcutta

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_512.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)