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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 48. 1853.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Selbstaufopferung.

Lebensskizze.
(Schluß.)


„Auf einer Durchreise in meine Heimath suchte ich das Rommel’sche Haus auf. Rudolf’s Aussehen erschreckte mich in der tiefsten Seele. Er war gebrochen. Seine hohe kräftige Gestalt erschien mir wie innerlich zusammengestürzt. Die Spannung und bläuliche Blässe in seinen Zügen war mir wahrhaft peinlich, und den unheimlichen Glanz seines Auges ertrug ich kaum. Er hatte das Ansehen eines Mannes, der sich aus moralischer Verzweiflung dem Trunke ergeben hat und täglich eine größere Quantität starker Spirituosen zu sich nimmt. Inzwischen versicherten mich sein Bruder, wie Veit, die ich einzeln über Rudolfs auffallende Veränderung befragte, daß er außerordentlich mäßig lebe und nie einen Tropfen geistige Getränke zu sich nähme.

„Mit schmerzlicher Wehmuth saß ich mit ihm auf seinem Zimmer auf dem Sopha. Auf mein Befragen nach seinem Befinden hatte er mir geantwortet: er habe sich noch nie wohler befunden als jetzt. Das schnitt mir in die Seele. Nach einem kurzen gleichgültigen Gespräch sagte er plötzlich: „Ich will Dich mit einer Neuigkeit überraschen, wenn Du sie nicht schon weißt. Mein Bruder hat sich mit Louise Bernigau verlobt. Er und meine Schwester werden zusammen zu Ostern nächstes Jahr Hochzeit machen.“

„Ich habe das fast vorausgesehen,“ versetzte ich, eigentlich froh über die Nachricht.

„Ich nicht,“ sagte er schmerzlich lächelnd. „Ich bin sehr kurzsichtig.“

„Glaube mir, Rudolf, das Mädchen paßt zu Deinem Bruder. Zu Dir nicht. Ihn wird sie glücklich machen. Du hättest unmöglich glücklich mit ihr leben können.“

„Lassen wir das. Es ist ja gut so.“

„Du mußt Dich aus dieser weinerlichen, entnervenden, eines Mannes so unwürdigen Stimmung herausreißen, Rudolf. Du thätest am besten, das elterliche Haus und die Vaterstadt ganz zu verlassen.“

„Das will ich auch. Ich stehe im Begriff, Alles aufzugeben, selbst die Kaufmannschaft. Ich habe endlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_521.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2020)