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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

eingesehen, daß ich nicht dazu passe. Du weißt, daß der Professor Transdorf hier eine Lehranstalt für Chemie hat. Diese besuche ich schon seit einem halben Jahre und werde den ganzen Cursus durchmachen. Dann will ich eine große Reise machen und nicht wieder zurückkehren.“

„Das ist ein herrlicher Entschluß von Dir, weshalb ich Dich sehr loben muß,“ versetzte ich aufrichtig erfreut und ohne die mindeste Ahnung, welchen geheimen Sinn er mit seinen Worten verbunden hatte. „Nicht wahr?!“ lachte er, aber es war kein Frohsinn in diesem Lachen. – Ich verließ ihn zwar bekümmert, aber ich hoffte von der Ausführung seines Entschlusses, wie ich ihn natürlich dem Wortlaute nach verstanden hatte, und von seiner Jugend alles Gute für ihn.

„Zum Frühjahre erhielt ich eine Einladung nach E. und für eine lange Zeit die Zusage lohnender Beschäftigung.

„Mein erster Besuch galt wieder dem Rommel’schen Hause. Im Laden war Veit, und als ich nach Rudolf fragte, antwortete er: „Sie finden ihn auf seiner Stube,“ machte aber dazu ein Gesicht und eine Handbewegung, die mich nichts Gutes erwarten ließen.

„Rudolf’s Anblick war wirklich entsetzlich. Ganz abgezehrt, war die Haut straff und glänzend und von ganz fahler Farbe über die stark hervorstehenden Backenknochen gespannt. Nie hab' ich etwas Grausigeres gesehen, als den Glanz seines tief eingesunkenen Auges. Er war so schwach, daß er mir kaum noch entgegen schleichen konnte; seine knöcherne Hand war kalt und klebrig, und seine Stimme matt und hohl, als er mich willkommen hieß.

„Rudolf!“ rief ich und hatte Mühe, einen Thränenstrom zurück zu halten. „Um Gott, Freund! was ist das mit Dir?“

„Der Tod!“ hauchte er freundlich lächelnd, gleichsam schon verklärt. „Es ist mir eine große Freude, daß Du wieder hierher gekommen bist. Ich habe Dich mit Sehnsucht erwartet. Du wirst mir noch einige Abende schenken, eh' ich aus dem Leben scheide. Ich muß Dir durchaus ein Geheimniß anvertrauen. Ich kann’s Niemandem weiter als Dir. Wir wollen noch ein paar Tage recht glücklich zusammen sein.“

„Er war wirklich heiter und zufrieden, und mein Schmerz über seinen bevorstehenden Verlust wurde dadurch milder. Ich mußte ihm versprechen, den Abend bei ihm zuzubringen und ging. Sein Aussehen machte mir viel Bedenken. Das war doch keine gewöhnliche Abzehrung oder Lungensucht. Er hatte weder über Husten, noch Auswurf geklagt; keins der gewöhnlichen Symptome zeigte sich an ihm. Das Räthsel sollte sich mir bald genug lösen.

„Als ich Abends wieder in sein Zimmer trat, war es mit einigen Blumenstöcken in Aschen, Teppichen und dergleichen geschmückt; er selbst in einer feierlichen und getragenen Stimmung. Die Theemaschine sang auf dem Nebentische; Havannah's lockten auf einem Teller. Rudolf verschloß die Thür und setzte sich dann zu mir auf das Sopha.

„Ich kann nicht sterben, lieber Schmidt,“ begann er mit einer heiser flüsternden Stimme, die mich erbeben machte, „ohne Dir vorher mein Herz aufgeschlossen zu haben. Du wirst das, was ich Dir entdecken muß, so lange als Geheimniß bewahren, bis die Mittheilung Niemandem mehr schadet, und auch dann noch wirst Du vorsichtig damit sein.“

„Ich gab ihm Hand und Wort darauf.

„Liebes Bruderherz,“ begann er, „ich liebte Louisen schwärmerisch mit der heiligsten Geschlechtsliebe – ach! diese Liebe hat sich zur Leidenschaft gesteigert, seit sie meines Bruders Braut ist; ich liebte meinen Vater und meine Geschwister eben so schwärmerisch mit ächter treuer Kindes- und Bruderliebe; aber meine Liebe wurde nicht verstanden und nicht erwiedert, hier nicht und dort nicht. Zwei unselige Entdeckungen machte ich fast zu gleicher Zeit, nämlich daß Louise meinen Bruder liebte und von ihm geliebt wurde und daß unser Haus dem Bankrott entgegen ging. Wir waren bei Weitem nicht so gut situirt als die Welt glaubte und Verluste und unglückliche Spekulationen brachten uns an den Abgrund des Verderbens. Mein alter Vater durfte davon um keinen Preis der Welt etwas merken. Aber desto schrecklicher mußte der Schlag für ihn sein, wenn ihm der Bruch nicht mehr verborgen bleiben konnte. Aber noch schlimmer: mit dem Bankrott hätte Fritz die Braut und Eulalie den Bräutigam verloren. Ich kenne Louisens Vater zu gut, als daß ich nicht wissen sollte, er werde seine Tochter nimmermehr dem Sohne eines fallirten Hauses geben, und Veit ist ein viel zu gemeiner Mensch, als daß er ein armes Mädchen beirathen sollte. Ich habe diesen widerwärtigen Gesellen nie leiden können, aber meine eigenthümliche Natur hat mich stets angetrieben, ihm Gutes zu thun, Wohlthaten zu erweisen. Ich erkannte es sogleich als meine Lebensaufgabe, schnell unser Haus zu retten, meinen Vater seinem glücklichen sorglosen Leben zu erhalten, meinen Bruder Fritz und meine geliebte Louise, sowie meine Schwester Eulalie und Veit glücklich zu machen, und damit so still als möglich aus diesem Hause zu scheiden und den zurückbleibenden Gliedern desselben in keinerlei Weise ahnen zu lassen, was ich für sie gethan. Ich hatte mir früher einmal ein kleines Kapital erworben, von dem die Meinigen nichts wußten. Dieses wandte ich jetzt dazu an, mich heimlich mit der höchsten Versicherungssumme in eine der größten Londoner Lebensversicherungsbanken zu kaufen. Bei meiner so sehr in die Augen fallenden gesunden Complexion hatte meine Aufnahme keine Schwierigkeiten. Sobald ich die Police in der Hand hatte, erklärte ich meinen Angehörigen, den Cursus der Chemie bei Professor Transdorf machen und dann in’s Ausland gehen zu wollen. Ich aber studirte aus keinem andern Grunde Chemie, als um die feinen ätherischen Gifte kennen zu lernen und mir zu verschaffen, welche das menschliche Leben langsam und in einem vorher zu bestimmenden Zeitraum vernichten, ohne eine erkennbare und nachweisbare Spur im Körper zurückzulassen.“

„Um Gotteswillen!“ schrie ich auf. „Du hast Dich vergiftet, Rudolf!“

„Still, still, Freund! Das Opfer ist gebracht; in wenigen Tagen fällt es. Ich kann fast den Tag

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_522.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2022)