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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

„Wer ich bin?“ entgegnete dieser und griff nach Stock und Ränzel. „Nun, das wird Euch später, wie ich freudig hoffe, klar werden; vor der Hand wißt Ihr, daß ich ein Wandersmann bin, der zur Kurzweil sich Steine gesucht auf Euren Bergen.“

Der Müller schüttelte ungläubig den Kopf und der Fremde machte sich nun zum Aufbruch fertig.

Währenddem war es Tag geworden, dessen Anbruch schon längst das heisere Gekräh des Haushahns verkündet hatte. In der Küche und im Vorhaus verrieth das Geklapper der schweren Holzpantoffeln die Anwesenheit der Magd, welche jetzt die Hausthüre öffnete, in die Wohnstube trat, um die Fensterladen aufzustoßen, und nicht wenig erstaunt war, ihren Herrn und den Fremden beim verlöschenden Kienspahn schon wach zu finden.

Aber auch Agathe war wach; denn statt nach jener Scene des Entsetzens ihr Lager zu suchen, als Angst und Bestürzung sie kraftlos hingeworfen, hatte sie mit gespannter Erwartung lauschend jedes Wort des Gesprächs der beiden Männer vernommen, und als durch den Edelmuth des jungen Fremden sich Rettung für den unglücklichen Vater gezeigt, da war sie hinausgeeilt in ihr Gärtchen, und hatte mit dem anbrechenden Morgen Gott auf ihren Knieen inbrünstig gedankt, für die Hülfe, die er in ihrer höchsten Noth ihnen gesendet. Mit den Gefühlen des Dankes und der Verehrung, welche ihr Herz gegen den Fremden erfüllte, war auch die Liebe zu demselben in ihre jungfräuliche Brust eingezogen. Geräuschlos hatte sie die Magd geweckt, nachdem sie sorgfältig sich angekleidet, und trat nun mit dem Besten, was die arme Küche liefern konnte, mit einem frischen Mehltrank und einigen weich gesottenen Eiern herein, um dem Fremden den Morgenimbiß zu bringen.

„Nehmt vorlieb, edler Herr, mit dem Wenigen, was wir Euch bieten können,“ begann jetzt Agathe, und Purpurgluth übergoß ihr blasses Antlitz, als der Fremde bei ihrem Eintreten hocherfreut aufsprang, auf sie zutrat und ihre Hand zärtlich drückte.

„Tausend Dank, daß Ihr mir die Freude macht, Euch noch einmal zu sehen, ehe ich weiter reise,“ rief dieser, mit glühenden Blicken auf der lieblichen Gestalt Agathen’s verweilend. „Werdet Ihr denn auch meiner freundlich gedenken, wenn der lange Winter in Eurem rauhen Norden mich fern hält, bis hier die Lerchen wieder singen und ich mit dem Frühling wieder hierher kehre aus weiter Ferne in Eure Thäler und Felsschluchten?“

„Wie könnte ich Euch je vergessen, Euch, der Ihr uns von Schmach und Verderben gerettet,“ rief Agathe, und richtete voll inniger Liebe tief gerührt vertrauensvoll ihre Blicke auf den Fremden. „O glaubt mir!“ fuhr sie begeistert fort: „so lange ich lebe, wird mein Herz treu Euer Bild bewahren und Eurer dankbar gedenken, der Ihr an dem armen Vater so edelmüthig Gutes mit Bösem vergolten.“ Der Müller blickte bei diesen Worten seufzend zur Erde. Der junge Fremde aber rief, sein Bündel über den Rücken werfend und den Wanderstab erfassend: „Gebt der Vergessenheit anheim, was hier wie ein Gespensterspuk zwischen uns getreten. Denkt freundlich meiner, da auch ich Euer Bild mit in die ferne Heimath nehme als leiblichen Begleiter, und möge unser Wiedersehen ein recht fröhliches, glückliches sein. Gott schütze Euch!“

Mit diesen Worten umschlang er Agathen, drückte einen langen heißen Kuß auf die Lippen der in holder Schaam hocherröthenden Jungfrau, reichte dem Müller die Hand zum Abschied, und verließ mit raschen Schritten die Mühle, deren Bewohner mit Dank und Freudenthränen dem bald ihren Blicken verschwindenden Wanderer nachschaueten, und der noch am Ausgange der Thalschlucht ihnen ein herzliches Lebewohl zurief. –

Der Vater kehrte nun in die Mühle, Agathe aber in ihr Kämmerlein zurück, denn ihr Herz war voll von süßem Weh und unaussprechlich seligem Entzücken, und heitre bunte Träume der erwachenden Liebe suchten die finstern verworrenen Bilder der verhängnißvollen Nachtstunden aus ihrem Innern zu verdrängen. Ueber den Müller aber war ein ganz anderer Geist gekommen, seit der junge Fremde ihn verlassen hatte. Im Besitz der fünfzig Gülden, verbunden mit der Zusicherung so ehrenvoller Bürgschaft für sein schuldendes Capital, sah er furchtlos der Ankunft seiner Peiniger entgegen. Zum ersten Male seit langer Zeit fing er an in der verödeten Mühle und auf dem wüsten Hofraume Ordnung zu schaffen, und die gebeugte Gestalt des kräftigen Mannes richtete sich freier und stolzer empor. Mit dem wieder in seine Brust zurückgekehrten Vertrauen war auch der Sinn für Ordnung und die Liebe zur Thätigkeit in ihm zurückgekehrt, und nicht ohne tiefe Beschämung und Reue sah er in Haus und Hof die stummen Zeugen seiner argen Verblendung und seines bisherigen unsinnigen Treibens. Aber mitten unter den letzten Trümmern seines Vermögens, mit welch’ heiterm Muthe und gläubigem Vertrauen sah er jetzt der Ankunft der Gerichte entgegen, die herbei kommen würden, ihn auszupfänden und auszuweisen, mit welch’ stillem freudigen Danke gegen die Vorsehung, während noch vor wenigen Stunden finstere Verzweiflung sein Herz erfüllte. Mit freudigem Hoffen sah aber auch Agathe, mit stummer Verwunderung die alte Magd auf den von neuem Lebensmuth beseelten Mann, und geschäftig half die Letztere der Müllerstochter die Wohnstube fegen und aufputzen, als sei ein Feiertag nahe, nicht aber die Gerichte, die jetzt des Weges daher zogen in der sichern Meinung, den insolventen Bärenmüller mit Kind und Magd als Bettler aus der Mühle zu treiben.

Und sie kamen auch in der zehnten Stunde des Vormittags, nachdem sie durch den Büttel Gottlob Schwenke, unter Begleitung eines Amtsknechts, die Zeit ihrer Ankunft hatten melden lassen; und bald waren in der sauber aufgeputzten Wohnstube der Mühle versammelt der Amtsschösser von Lauenstein, Abraham Zapfe, der Richter zu Fürstenwalde, Elias Tränkner, der Besitzer des Kratzhammergutes bei Lauenstein, Urban Fleck als Gläubiger, und als Neugierige und Kauflustige, sobald es zum Losschlagen des verschuldeten Grundstückes kommen sollte, der Müller aus dem Oelsengrunde, der schwarze Mattheus genannt, und Christoph Hanitzsch, der Müller aus Dittersdorf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_558.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)