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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

dahin in Deutschland unerhörte Schätzung. Ein Fürst wählte einen Bürgerlichen, seines Geistes wegen zu seinem vorzüglichsten Umgange, er schloß ein inniges Freundschaftsbündniß mit ihm auf Du und Du, er verlieh ihm Aemter und Würden bis zum Minister hinauf und verschaffte ihm endlich den Adel. Was er dem Einen erzeugte, das warf seine Glorie auf den ganzen Stand, er hob das Vertrauen begabter Geister, eröffnete ihnen ungewöhnliche Aussichten und trieb sie an, durch edles Bemühen, sich solcher Schätzung würdig zu zeigen. Die Secte der liederlichen Genie’s unter den Künstlern, Dichtern und Gelehrten ging freilich nicht aus, so wenig wie das Unkraut je von der Erde verschwinden wird, aber man betrachtete ihre Verderbniß nicht mehr als eine von dem Genie unzertrennliche Eigenschaft, man machte Unterschiede zwischen ordentlichen und unordentlichen Geistern der Art, man achtete die Einen, und verachtete die Andern, und Jedem geschah sein Recht.

Als Goethe in Weimar ankam, begann ein seltsames Treiben. Bald stürzten sich die beiden jungen Titanen rücksichtslos in die wildesten Strudel materieller Genüsse, schweiften Tage und Nächte zu Pferde im Lande herum, trieben auf den Rittergütern der Edelleute die tollsten Streiche, nicht fragend, ob des Sommers Hochsonne auf sie sengend herabbrannte, oder kalte Herbstschauer und Aequinoctialstürme sie umtobten, oder zur Winterzeit ihnen der Hauch vor dem Munde zu Eis gefror. – Dann wieder lebten sie eine Zeit lang wie griechische Weltweise, saßen Tage und Nächte hindurch in traulichen Gesprächen, und brüteten gemeinschaftlich über den schwersten Problemen. Sie konnten es so treiben, denn sie hatten Leiber von Eisen und Geister, die einer ungeheuern Ausdauer fähig waren. Karl August gewöhnte sich so an Goethe, daß ihm, wo er nicht war, ein Theil seines Selbst fehlte. Auf dem Zimmer, im Walde, auf der Jagd, im Krieg, auf Reisen, überall wollte er ihn um sich haben; Goethe erwiederte die Anhänglichkeit und folgte seinem fürstlichen Freunde mit Lust. Das gab nun freilich für Hof und Stadt großen Scandal. Die adeligen Herren erbosten sich über den frechen Frankfurter, der ganz ungenirt mit ihnen umging, denn Goethe war gegen diese Art, wo er ihre Abneigung bemerkte, rücksichtslos stolz. Er hielt einen Frankfurter Republikaner und Patriziersohn um keinen Deut geringer, als einen Thüringer Adeligen, ohne seine Geistesüberlegenheit dabei in Anschlag zu bringen, und er gab sich gar keine Mühe, seine Ansichten diplomatisch zu verhüllen. Dem Herzog war das Recht. Einen solchen Menschen wollte er, einen, von dem er ungeheuchelte Freundschaft und die größte Freimüthigkeit zu erwarten hatte und erhielt.

Mit den zunehmenden Jahren legte sich der etwas zu geniale Sturmdrang Beider, und nun trat in voller Abklärung, wie die Sonne aus verhüllendem Gewölke, was die Natur, oder der Weltgeist mit Karl August beabsichtigt hatte. Er wurde, was damals nur wie Hohn gegen das Volk klang, im vollsten Sinne des Worts: ein Landesvater. Seine ungemeine geistige Sorgsamkeit, die schwellende Fülle seiner Gedanken, die rein menschliche Gesinnung, die wahre ungeheuchelte Menschenliebe, der stählerne Character traten völlig ausgebildet hervor, er war fertig „Eine Fürstenseele, so wie ich nie eine sah,“ schreibt Dalberg an einen Freund.

Karl August, der erste Fürst in Deutschland, welcher seinem Volke und zwar freiwillig eine Constitution verlieh, und sie ehrlich hielt, war selbstständig durchaus, er prüfte, untersuchte, leitete Alles selbst, wie ein tüchtiger Fabrikherr, der sein ausgebreitetes Geschäft selbst dirigirt. Er vermochte das trotz der mancherlei Abhaltungen, Jagden, Reisen, Feldzüge, zu denen ihn Neigung und Pflicht riefen, denn er konnte es nachholen durch anhaltendes Arbeiten, und begünstigt durch die Schnelligkeit seines Geistes, womit er die verschiedensten Dinge übersah, begriff und beurtheilte.

Landeskultur, Gewerbe, Ackerbau, Künste, Wissenschaften, Militair, Justiz, Polizei, Volksunterricht u. s. w., alles wußte er in’s Auge zu fassen, über alles ließ er sich vortragen, urtheilte darüber, entschied und wachte, daß seine Entscheidungen auch richtig und vollständig ausgeführt wurden, daß keine Eigenmächtigkeit, keine Ungerechtigkeit der Subalternen sich einschlich. Nichts, was auf Menschenwohl und Fortschritt der Menschheit zur Humanität in materieller und geistiger Hinsicht Einfluß äußern konnte, ließ Karl August ohne lebhaftes Interesse. Und nichts, was speciell in beiden Punkten seinem Volke zum Vortheil gereichen konnte, ließ er außer Acht. So weit es seine Mittel zuließen, rief er es gewiß in’s Leben.

Daß seine Befehle in ihrer ganzen Tragweite prompt ausgeführt wurden, wußte er auf seine eigenthümliche Weise wohl zu erfahren. Nicht mit Gefolge und im besternten Fracke, sondern allein und ohne vorherige Anmeldung besuchte er einzelne Bürger und Handwerker seiner Residenz, von derem hellen Verstand und Wahrheitsliebe er sich überzeugt hatte. Eine Cigarre rauchend und gemüthlich mit ihnen plaudernd, frug er diese dabei aus über die nächsten Bedürfnisse des Volkes, besprach mit ihnen die neuesten Bestrebungen auf dem Gebiete der Oekonomie und Maschinenkunde, forschte nach dem Benehmen dieses und jenes Beamten und ging auf alle Verhältnisse des bürgerlichen Lebens wie ein alter Freund ein. Diese Männer hatten dann jeder Zeit freien Zutritt im Schloß und zwar im gewöhnlichen Anzuge, nicht in der vorgeschriebenen Audienzkleidung: schwarzem Frack und weißen Handschuhen. Wurde in der Nähe von Weimar eine Jagd abgehalten, so wurden diese seine bürgerlichen Freunde zum großen Verdruß manches Hofherrn ebenfalls eingeladen und dann trank er, wenn der Wind recht eisig pfiff, oft mit ihnen aus einer Flasche.

Einer seiner Lieblinge war der Bäckermeister Christian Rückolt, ein sehr verständiger, praktischer und erfahrener Kopf, ein offener und ehrlicher Charakter, der mit seiner Meinung niemals hinterm Berge hielt. Auch dem Großherzog gegenüber genirte er sich nicht, und was ihm nicht gefiel, sagte er ihm offen und ohne Hehl. „Königliche Hoheit,“ sagte er dann in seinem ächt weimarischen Idiom, „das is nischt; das hat irgend so ein Dummkopp ausgeheckt, der nischt versteht,“ und wenn er dann durch Gründe den alten Herrn überzeugt hatte, nickte dieser gewöhnlich freundlich und meinte, Abschied nehmend: „Gott – Rückolt, Ihr habt Recht!“

Das Volk wußte es auch recht wohl, daß seinem Fürsten der ärmste Bauer so viel werth war, wie der reichste Edelmann im Lande und deshalb liebte und verehrte es ihn, trotzdem er dann und wann etwas leicht mit dem Gelde umging, wenn es galt, Kunst und Wissenschaft zu unterstützen. Noch mehr aber ward er von der deutschen akademischen Jugend geliebt. Es ist bekannt, daß ihn die damalige Demagogie zum deutschen Kaiser ausersehen, als den Würdigsten von Allen. Wenn auch der alte Herr darüber lachte, so blieb er doch stets nachsichtig gegen alle ihre Streiche, wenn sie aus nichts als jugendlichem Uebermuthe entsprungen. „Hab ich doch in meiner Jugend selbst tolle Streiche genug gemacht und bin nicht besser gewesen,“ äußerte er einmal, als man ihn bei einem gewissen Falle zur strengen Ahndung veranlassen wollte. Eben so mild benahm er sich bei den demagogischen Geschichten in den 20ger Jahren. Es wurde ihm von den auswärtigen Höfen arg zugesetzt. Aber er ließ durchschlüpfen, wo es immer möglich war. Das wußten die Bursche, und doch ließen sie ihn leben in ihren Commercen.

Eines Tages stößt ein alter Jäger in dem Lichtenhainer Forste auf einen Jenaer Studenten, der mit Jagdtasche und Büchse frisch und fröhlich dem edlen Waidwerke nachgeht. Auf die Frage: „was er hier mache?“ giebt er die lakonische Antwort: „Ich jage.“ „Und wer seid Ihr?“ poltert der Alte barsch. „Ich bin der Herzog von Lichtenhain,“ antwortet der Student mit einer hohen Miene (bekanntlich wird der Präses bei den Jenaer Studentencommercen Herzog von Lichtenhain titulirt) und geht gravitätisch von dannen, während der alte Mann ihm verdutzt nachschaut. Kopfschüttelnd geht er nach Hause, setzt einen Bericht über den Vorfall auf, und sendet ihn nach Weimar mit der Bemerkung, daß er einen Herzog von Lichtenhain nicht kenne. Die Sache wird dem Herzog vorgetragen. Dieser lachte, daß ihm die Thränen von den Backen fielen und ließ später dem alten Förster antworten: „Serenissimus wisse allerdings, daß in Jena Herzöge von Lichtenhain residirten, ihre Herrschaften aber lägen nicht in seinem Lande. Es solle zwar dem jetzigen die Jagd auf weimarischem Gebiete für diesmal nachgesehen werden, doch sei dem Herrn zu eröffnen, daß, wenn er inskünftige wieder Lust zum edlen Waidwerke verspürte, er es in höchst seinen eignen Wäldern treiben sollte, widrigenfalls das Carcer ihm sicher sein werde.“ – Man kann denken, welches Gaudium dieses Rescript den Studenten machte.

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_006.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2020)