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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Gipfel bis zur Sohle frei und unverhüllt, umgeben von den verschieden benannten Zacken und Nadeln grauer Felsenspitzen, die wieder durch gewaltige Gletscher getrennt sind, die ihre erstarrten Wogen in das grüne Thal der Arve hinabsenken; – ein überwältigender Eindruck! Denn dieser höchste Gipfel Europa’s, obgleich 6–7000 Fuß niedriger als der Chimborasso, steigt aus der Thalfläche von Chamouny höher empor als der Fuß des amerikanischen Bergriesen über seine nächste Umgebung, das Thal von Quito. Fast 12,000 Fuß erhebt sich der Montblanc über das Thal; diese ganze imposante Höhe mißt der Blick auf einmal. Ungefähr 7000 Fuß unter dem Gipfel[WS 1] ist der Berg beständig von Eis und Schnee bedeckt. Während das Thal unten in üppiger Vegetation grünt, sind die Seiten und Abhänge des Gebirgsstockes eine beträchtliche Strecke aufwärts mit dichten und finstern Wäldern bekleidet und höher noch mit dem Schimmel von Jahrhunderten.

Der Montblanc vom Chamounythale aus.

Einen Weg auf die Spitze dieses in unvergänglicher Majestät weit hinaus glänzenden Berges zu finden, war lange ein Gegenstand des Ehrgeizes, sowohl der Anwohner wie für die Männer der Wissenschaft. Noch der junge Geschichtsschreiber der Schweiz, Johannes von Müller, konnte sagen: „Man weiß keinen Menschen, welcher den weißen Berg oder den Schreckhorn erstiegen hätte.“ Ein erster Versuch fand auf Veranlassung Saussure’s 1762 statt; er war wie mehrere folgende ohne Erfolg. Endlich fand 1785 Peter Balmat den einzigen Pfad, auf dem man zum Gipfel gelangen kann. Diese Entdeckung kam im nächsten Jahre Dr. Paccard aus Chamouny zu statten, der unter Leitung jenes Führers und Angesichts vieler Einwohner von Chamouny und der dortigen Fremden am 8. August wirklich den Gipfel erreichte. Ein Jahr darauf erstieg Saussure selbst den Berg und theilte der Welt eine genaue Erzählung aller Erscheinungen mit, welche er im Laufe des Unternehmens beobachtete. Bis zum Jahre 1812, wo ein Herr Rodez aus Hamburg den Gipfel erreichte, zählt man drei gelungene Versuche, bis 1827 sieben weitere, neben einem, welcher durch den Fall einer Lawine und den Verlust dreier Führer unterbrochen wurde, was um so mehr zu bedauern ist, da diese Reise von dem russischen Arzte Hamel unter Vorbereitungen zu mannigfachen wissenschaftlichen Versuchen begonnen worden war. Dr. Barry bestieg am 17. Sept. 1834, eine Woche später im Jahre, als irgend eine der vorhergehenden Besteigungen stattgefunden, den Berg, und noch einige Wochen später machte ein Franzose den Versuch. Graf Tilly, der im Mai desselben Jahres den Aetna bestiegen, hatte gehört, daß noch keiner seiner Landsleute die Besteigung unternommen, während bereits elf Engländern und mehreren Andern dies gelungen. Dies bestimmte ihn sofort, diesen scheinbaren Vorwurf auf dem hellen Ruhme seines Landes zu verwischen, und das Resultat war – Erfolg, auf Kosten seiner Füße, die er erfroren hatte. Im Jahre 1837 bestieg ein Engländer Atkins den Montblanc, wohl der jüngste der bisherigen Besteiger des höchsten europäischen Felsenhauptes, noch nicht 19 Jahre alt, mit einem Landsmann Pidwell und dem Schweden Hudzengen; bei dieser Gelegenheit kam auch der kleine Hund eines Führers auf den Gipfel, jedenfalls das erste Thier dieser Art, das den Montblanc bestieg. Aber auch weibliche Namen zeigt die Liste der Helden dieses kühnen Unternehmens. Ein Mädchen aus Chamouny hatte ihren Bräutigam und andere Chamounyarden begleitet und war bald gehend, bald getragen auf die Höhe des Berges gelangt, aber Marie du Montblanc, wie sie von da an hieß, sollte lange ohne Nachfolgerin bleiben. Da unternahm Mademoiselle d’Angeville aus dem Departement de l’Air am 3. Sept. 1838 das schwierige Wagstück, zu dem sich die 42 Jahre alte, feingebaute, indeß an starke Fußreisen in den Bergen ihrer Heimath gewöhnte Dame die Mittel erspart hatte. Unter großen Anstrengungen und Beschwerden erreichte sie glücklich die Höhe, wo die Freude des Sieges sie dem artigen Hauptführer einen Kuß bewilligen ließ, ihr aber noch die besondere Auszeichnung zu Theil wurde, noch höher als der Montblanc sich zu befinden, indem die Führer sie auf ihren Armen emporhoben. Die Heldin trank ein Glas Champagner auf die Gesundheit des Grafen von Paris.

Die Reise auf den Montblanc ist heut zu Tage weniger schwierig als vormals, wegen größerer Bekanntschaft mit dem Berge (obgleich Gletscher u. A. sich öfters ändern) und vielfacherer Erfahrungen, aber verhältnißmäßig kostspieliger geworden. Jeder Theilnehmer bedarf mindestens vier Führer, von denen der Hauptführer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gifel
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_021.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2024)