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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Die Geschichte von der Heilkünstelei,

von den Heilkünstlern und Heilmitteln.


Im grauen Alterthume, als der menschliche Verstand noch in den Windeln lag und nicht Wissen, nur kindliches und kindisches Glauben herrschte, auch da gab es schon Pfifficusse, die als Götzenpriester, Zauberer, Wahrsager, Isis- und Osirisdiener u. s. f. den Kranken unter Opfern, Zauberformeln, Inkubationen (Schlafen und Träumen im Tempel), Gesängen und anderm Hokuspokus die gewöhnlichsten Dinge als Heilmittel verabreichten und, weil die meisten Krankheiten auch damals schon, gerade so wie heutzutage noch, von selbst heilten, als übermenschliche Wesen, als heilende Engel verehrt wurden. Einer solchen Verehrung verdankte Aesculap (wahrscheinlich ein Hauptpfifficus im Behandeln von Kranken, wenn er nämlich wirklich existirt hat) seine Stelle als medicinische Gottheit. Ihm zu Ehren wurden Tempel, meistens in schönen Gegenden, auf Bergen oder in Hainen und in der Nähe von Quellen gebaut, zu welchen die Kranken, in der Regel zu Fuße, wallfahrteten und, wie es ganz natürlich war und noch ist, in Folge der Reise, der Luftveränderung, der Zerstreuung und Bäder (mit Reibungen, Striegeln und allerlei Manipulationen) sehr häufig genasen; auch trug sicherlich die durch mystische Gebräuche erhöhte Einbildungskraft des Patienten manches zur Genesung mit bei. Neben diesen Wallfahrten suchte man aber auch noch die Götter, welche die Krankheiten geschickt haben sollten, durch Opfer zu versöhnen oder, verschwand die Krankheit, dafür zu belohnen. Solche Opfer, welche man Anathemata nannte, wurden in den Tempeln aufgestellt und bestanden entweder in metallenen Votivtafeln oder in goldenen, silbernen und elfenbeinenen Nachbildungen der kranken Glieder. – Die Nachkommen und Erben der Geheimnisse des Aesculap (die Asklepiaden), welche klug und weise waren und sich durch Eidschwur gegenseitig verpflichteten, den Schwindel Niemand zu verrathen, kurirten als eigene Kaste auf der Insel Kos und Knidos wacker darauf los. Ihnen machten es sodann in der mysteriösen Heilkünstelei die spätern Aerzte der alexandrinischen Schule, sowie die römischen Augurn und Harnspices mit Glück nach.

Blicken wir auf diese erste Kindheit der Heilkunst zurück, so muß man erstaunen, wie so ähnlich dieselbe der Heilkunst unserer Tage ist. Unsere Pfiffici, sehr oft aber gar nicht sehr pfiffig, versetzen jetzt – als Allopathen, Homöopathen, Hydropathen, Rademacherianer, Schrothianer, Magnetiseure, Sympathetiker, Gymnastiker, Barbiere, Apotheker, Schäfer, Hufschmiede, Somnambulen und die zu ihrem, aber nicht zu der leidenden Menschheit Besten mit Geheimmitteln handelnden Buchhändler (s. Gartenlaube Nr. 18 v. J.) – den Kranken unter verschiedenartigem Hokuspokus mehr oder weniger harmlose Stoffe als Heilmittel oder machen an ihnen possirliche Heilkunststücke und lassen sich dann, wenn die Krankheit zufällig und von selbst verschwindet, mit öffentlichen Danksagungen, Titeln, Orden, Louisd’oren oder wenigstens mit der Versicherung ewiger Dankbarkeit (anbei eine Stickerei von schöner Hand) u. s. f. ehren. Die Aesculapstempel existiren jetzt als Bäder und Kaltwasserheilanstalten: die Anathemata findet man in den Krücken, Rollstühlen, Votivtafeln, Albums und dergleichen wieder, welche die Badedoctoren sorgsam aufbewahren; und daß die Asklepiaden, d. s. unsere in die Mysterien der verschiedenen Heilkünste einzuweihenden Nachkommen nicht aussterben, dafür wird schon von verschiedenen Seiten gesorgt.

Die ersten Spuren einer wissenschaftlichen Anwendung wirksamer und naturgemäßer Heilmittel finden sich (etwa 700 Jahre vor Christi Geburt) bei den Griechen und entsprangen aus den Kampfschulen (Gymnasien) derselben. Diese Mittel bestanden in gymnastischen Uebungen, Bädern, Einreibungen und in Ausbildung der Athmungsorgane, wurden aber nach dem Alter und der Körperconstitution des Einzelnen verständig modificirt. Uebrigens war es nicht sowohl die Herstellung von Krankheiten, womit sich die damaligen Aerzte (so hießen die Aufseher über die Gymnasien und deren Handlanger) beschäftigten, als vielmehr die Heranbildung eines gesunden, kräftigen und schönen Körpers. Ach! hätten wir doch noch solche Aerzte! Leider gab es damals aber neben der rationellen Heilkunst auch noch eine von den Priestern gepflegte und aus abergläubischer Gaukelei bestehende. Selbst Pythagoras sieht noch überall Geister und Dämonen, welche Krankheiten hervorbringen und heilen, und deren Einfluß man durch Zauberei und magische Kunst bekämpfen muß. Aus jener Wiegenzeit der Medicin und des Menschengeschlechts überhaupt besitzen wir übrigens noch jetzt eine recht hübsche Anzahl von Medicamenten, die zum Theil von den Hindus und Aegyptern, zum Theil von den Griechen stammen. – Hippokrates (zu Deutsch: Pferdebändiger) war es, der die Pferdearbeit unternahm und die Heilkunst von den abergläubischen Gaukeleien zu reinigen suchte (400 vor Chr. Geb.) und zuerst den Satz aussprach: „die Natur ist es, welche die Krankheiten heilt.“ Er wendete seine Aufmerksamkeit vorzüglich auf die Krankheitsursachen, auf Luft, Wohnung, Wasser und Nahrung, wie der von ihm gethane Ausspruch beweist: „die Wirkungen der diätetischen Mittel sind dauerhaft, die der Arzneimittel vorübergehend.“ Diesen ersten rationellen (d. h. vernünftigen) und wirklich physiologischen Mediciner, welcher nur der nüchternen Erfahrung und nicht der hohlen Speculation Vertrauen geschenkt wissen wollte, hat man nun in der folgenden und zwar bis auf unsere Zeit schmählich mißverstanden und jeden Unsinn der rohesten Empirie, wie er heutzutage in der Rademacher’schen Quacksalberei hoffentlich seine höchste Höhe erreicht hat, in die Schuhe geschoben. So ist es denn gekommen, daß der einfache hippokratische Heilmittelapparat durch ganz kopflose Anwendung des ersten besten Mittels bei der ersten besten Krankheitserscheinung zu einem Wuste nichtsnutzigen Zeuges angewachsen ist, welches nur insofern noch hippokratisch genannt werden kann, als es allenfalls Pferde zu bändigen im Stande wäre. Noch heute passen Plato’s Worte auf das betrogene arzneisüchtige Menschengeschlecht: „solche Kranke, die aus Unmäßigkeit und Faulheit keine Lust haben, von ihrer schädlichen Lebensweise abzulassen, richten durch alles Heilenlassen nichts aus, als daß sie ihre Krankheit bunter und größer machen; bevor sie nicht anfangen anders zu leben, wird weder Arznei, noch Brennen, noch Schneiden, noch Besprechen, noch Amulette, noch irgend etwas dergleichen das Mindeste helfen können.“ Nur noch Crasistratos (der schon vollständig den Aderlaß und die Purganzen verwarf), sowie Hierophilus, die ersten Lehrer der Schule zu Alexandrien (etwa 300 vor Chr. Geb.), gehörten noch zu den rationellen Medicinern, denn sie empfahlen Mäßigkeit, Bäder, Klystiere, Frictionen und Bewegung; sie tadelten die Thorheit solcher Aerzte, die aus allen drei Reichen Arzneimittel zusammensuchten, auch behaupteten sie, daß man mit ihren einfachen Mitteln weiter komme, als mit der Masse zusammengesetzter Arzneien. Mit diesen beiden alexandrinischen Aerzten hörte so ziemlich die vernünftige Heilkunst mit ihren einfachen physiologischen Mitteln ganz auf und es begann nun in der Medicin das lange Zeitalter der Quacksalberei.

Die unvernünftige empirische Schule, von den Griechen (250 vor Chr. Geb.) und den Römern (100 vor Chr. Geb.) gegründet, beschäftigte sich von nun an mit nichts anderem, als mit Arzneiversuchen und mit leeren Zänkereien darüber. Man wendete gegen jede in die Augen fallende widernatürliche Erscheinung oder Symptomengruppe irgend ein Mittel an, welches, sobald diese darnach verschwand, als Heilmittel gegen jene Erscheinung angesehen wurde. Man ahnete gar nicht, daß dasselbe Resultat auch ohne alle Arznei oder beim Gebrauche sehr vieler anderer, auch der unschuldigsten Mittel hätte erzielt werden können. Man wußte nämlich damals noch nicht, daß unser Körper von Natur so eingerichtet ist, daß Störungen in einem Theile desselben durch nothwendig nachfolgende anderweite Veränderungen allmälig wieder ausgeglichen werden. Was sagst Du nun aber, lieber Leser, dazu, daß dieselbe Wirthschaft mit den unvernünftigen Arzneiversuchen auch jetzt noch, wo die medicinische Wissenschaft die Heilkünstler doch aufgeklärt haben sollte, ganz wie damals fortdauert? Auch gab es damals unter den Empirikern schon eine Art von Homöopathen, die den Grundsatz hatten, man müsse bei krankhaften, in die Sinne fallenden Erscheinungen solche Heilmittel anwenden, die ähnliche Erscheinungen hervorzurufen im Stande wären. – Nach Galen, der noch einmal (150 nach Chr. Geb.), aber vergebens, den alten empirischen Unsinn zu stürzen und die hippokratische

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_040.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2020)