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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

drehen, und das Mädchen mit klopfendem Herzen und fliegenden Pulsen folgte seiner Bahn.

„Ich habe große Lust, mich da mitten hineinzuwerfen in den Unsinn,“ kreischte da der Eckschrank, und stieß seine eine Klappe auf, gegen den Epheu, „ich kann mich so oben abheben! Prahlhans von einem Tisch, Prahlhans!“

„Er geht,“ jubelte Fanny, „ich habe die Kraft,“ und sie fühlte dabei, wie die Platte unter ihrem Tisch Leben und Weiche gewann und sich hob und drängte. „Frage nur,“ knisterte und wisperte es dann wieder vor ihrem Ohr, „frage, wie alt Du bist und den Datum, die Hausnummer und die Bilder an den Wänden, frage uns nach Reisen und Wiederkehr, nach Namen und Ehen und Briefen, wir wissen Alles, Alles, frage nur, frage nur!“

„Jetzt aber hab’ ich’s satt,“ schrie der Secretair, und all seine Fugen knackten und knarrten und unter seinen Füßen stöhnte der Boden. Und in dem Glasschrank klirrte und klapperte es, von rechts und links herüber zischten und summten die Laute.

„Ach, ich fürchte mich wahrhaftig,“ flüsterte das junge Mädchen vor sich hin, „das ganze Zimmer ist wie lebendig, und der Tisch dreht sich, daß ich anfange schwindlig zu werden; ob ich ihn frage? Ich wag’s, ich versuch’s, der Augenblick kehrt im Leben nicht wieder. Wenn er nur nicht die Dielen aus einander reißt. Willst Du mir antworten, Tisch?“

Es war, als ob ein elektrischer Schlag durch die Platte zucke, denn mit einem plötzlichen Ruck, daß die Fugen knackten, blieb er stehen, und sich auf zwei seiner Beine hebend, klappte er wieder nieder und zwar so bestimmt, so zuversichtlich, als ob er hätte sagen wollen: „Na, das versteht sich doch jetzt wohl von selbst.“

So unerwartet kam dabei dem jungen Mädchen diese entschiedene Bewegung, daß sie mit einem leisen Schrei in die Knie sank.

„Ha ha ha ha,“ lachte da und schüttelte sich die kleine Gestalt auf dem Secretair. und winkte und nickte nach der Chiffonniere hinüber, „närrisch Ding, närrisch Ding, hab’s mir wohl gedacht, wie es kommen würde. So geht’s, wenn man sich einläßt mit den wahnsinnigen Tischen und dem Unsinn das Ohr leiht; tolles Zeug, tolles Zeug.“

„Sie wird nicht ruhen, bis ihr alle Schiebladen verklommen sind,“ sagte die Chiffonniere, „und die Tische tragen nachher die Schuld mit ihrer unzeitigen Bewegung. Das kommt von den Neuerungen, da lob ich mir meine Ruhe.“

„Der Tisch fängt wahrhaftig an sich wieder zu bewegen,“ sagte der Glasschrank – „wenn er nur nicht in mich hineinläuft.“

„Das geschieht ihr aber recht“ knurrte der Eckschrank – „jetzt freut mich erst mein Leben. Aber ich will den Unsinn auch gar nicht mehr mit ansehen – es wird überhaupt kalt hier im Zimmer.“

Und er schloß seine Klappe wieder, daß das Schloß einschnappte, und lehnte sich schweigend in die Ecke.

Aber nur der erste Schreck hatte die Fragende überrascht; scheu den Blick zurück über die Schulter werfend, richtete sie sich wieder auf und mit den mehr gehauchten als gesprochenen Worten – „so stehe mir Rede“ – hielt der Tisch regungslos an, und schien die Frage seht förmlich zu erwarten.

„Sage mir denn“ flüsterte das schüchterne Kind, und das Blut schoß ihr dabei in Stirn und Schläfe – „ob er bald Aktuar werden wird, wie wir es lang, ach lang erwartet?“

Der Tisch hob sich rasch und entschieden und schlug wieder nieder als „Ja!“

„In wie viel Jahren?“ drängte sie da, und die Augen blitzten ihr ordentlich in freudiger Erwartung.

„Eins, zwei, drei, vier, fünf!“

Halblaut zählte sie, immer ängstlicher werdend mit, und als der merkwürdige Antworter stehen blieb und sich, wie zum Zeichen, daß seine Rede beendet, ein klein wenig nach ihr hindrehte, seufzte sie wehmüthig und recht aus voller Brust.

„Ach, das ist gar so entsetzlich lang’ noch, Du böser, böser Tisch, und da gäbe es ja doch nur ein Mittel, dem zu begegnen auf der weiten Welt.“

Und die Platte unter ihr regte und drehte sich rasch jetzt und immer rascher, als ob sie ihre Bereitwilligkeit wolle zu erkennen geben, dabei zu helfen.

„Und weißt Du schon, was ich meine?“ flüsterte scheu und ängstlich das Mädchen.

Wieder stand der Tisch und hob sich rasch und entschieden zu einem „Ja.“

„Und willst Du mir helfen?“

Heftig hob sich der Tisch und stampfte bejahend, und wie von unten herauf klopfte es plötzlich noch eins, zwei, drei Mal, der Antwort gewissermaßen Bestätigung gebend, daß die Fragende erschreckt aufhorchte nach den fremden ungeahnten Lauten; aber diese verstummten wieder und das Mädchen flüsterte jetzt rasch und heimlich:

„Wenn Du denn weißt, was uns allein nur helfen kann, so nenne mir die Zahl – nenne mir die Nummer des Looses, das uns frei macht von jeder Noth – die Tausende erst, dann die Hunderte und die Einer nach, und nun klopf’ mein Tisch, klopf’ und antworte, antworte mir – ich frage Dich!“

„Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs,“ hob sich der Tisch in raschen bestimmten Schlägen, die beiden Füße sich nur immer wenige Zoll vom Boden hebend, aber genug, einen klaren Laut zu geben – „sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn“ – weiter, weiter und weiter und in ängstlicher, aufmerksamer Spannung lauschte und zählte da Fanny.

„Klopf, klopf, klopf!“ kam es von unten dazwischen, als ob die Geister der Tiefe dem Treiben zürnten, und Einspruch thun wollten in das kecke Begehr: „klopf, klopf, klopf!“

„Ich werde irr’“, flüsterte ängstlich die Zählende, „dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn.“

„Klopf, klopf, klopf, klopf, klopf –“

„Vier und zwanzig, fünf, sechs, sieben, achtundzwanzig – Heiliger Gott – mir schwindelt es schon von dem tollen doppelten Zählen“ – aber weiter klopfte der Tisch, immer weiter und unverdrossen fort, und das unheimliche Echo unten schwieg eine Zeitlang, wie besiegt von dem eisernen Willen der oben arbeitenden Kraft.

„Sieben und dreißig –“ und der Tisch drehte sich knarrend auf einem Bein, während es unter seinen Füßen wieder zu toben und rühren begann.

„Sieben und dreißig Tausend“ – jubelte Fanny, kaum im Stande, ihre laute Freude zu unterdrücken, und der Secretair knarrte und ächzte wieder, und in der Chiffonniere war es, als ob ihr der ganze Rücktheil geplatzt wäre vor lauter Aerger, aber sie sagte kein Wort mehr, und wenn sie sich hätte ein Schlüsselloch abbeißen sollen.

„Und nun die Hunderte“, bat das Mädchen mit dringender Stimme.

Und „eins, zwei, drei, vier, fünf“ – begann wieder der Tisch und drehte sich.

„Also fünfhundert, und nun die Einer!“ bat die fragende mit flehender Stimme, und wieder begann der Tisch:

„Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht“ – unten war es still und ruhig geworden, er hatte den Sieg davon getragen – neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn –“

„Himmel, was war das?“ – Draußen am Vorsaal riß es an der Klingel, als ob es die Glocke ausreißen wollte mit dem Drahte.

„Achtzehn, neunzehn, zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig“.

„Tischchen dreh’ Dich, Tischchen dreh’ Dich!“ spottete es von der Chiffonniere herunter, „kommt Besuch, kommt Besuch!“ und der Glasschrank klirrte und klapperte wieder, und der Schmied, der auf der bronzenen Uhr stand, hob seinen Hammer und fing an drohend die Zeit zu schlagen auf dem silbernen Ambos – es war zwölf – und die Geister ringsum regten und reckten sich wieder und horchten hinüber nach dem noch immer wild und rastlos zählenden Tisch.

„Dreiundfünfzig, vierundfünfzig, fünfund –“

„Klingglinglinglingling!“

Das ganze Haus dröhnte von dem Reißen der Schelle, und Thüren klappten und Pantoffeln schlurrten über den Vorsaal, und das Mädchen ließ den Tisch los, barg ihr todtenbleiches Antlitz in den Händen und stöhnte verzweifelnd: „Vorbei – vorbei!“

Es war in diesem Augenblick todtenstill im Gemach, und geräuschlos glitten die Geister zurück in ihre Schlupfwinkel, nur der Schmied hämmerte ruhig und unbekümmert seine Schläge fort,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_062.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)