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er ihn klar unterschied, anzulegen. Zweimal richtete er seinen Flintenlauf wieder in die Höhe, zweimal senkte er ihn, blaß und zitternd in die Richtung der seine Blicke folgten. Der Schuß ging los und ein entsetzliches Gebrüll, das darauf antwortete, machte uns schaudern. Ohne Zweifel war der Malaye verwundet; wir sahen ihn aufspringen und mit den Zähnen in den Arm seines Gegners beißen, der ihm die Gurgel zudrückte, seine Füße in die seinigen schlingen und ihn an den Rand des Abgrundes ziehen. Mein Vater zerbrach wüthend seine Flinte und in diesem Augenblicke schloß ich meine Augen.

„Als ich sie wieder öffnete, bückten sich alle meine Gefährten über den Abgrund, ohne ein Wort auszusprechen; ich streckte auch meinen Kopf vor und unterschied nichts, als den Schaum des kochenden Wassers und hörte nichts, als das Rauschen des hinabstürzenden Wasserfalls. Wir blieben noch einige Zeit da, um unserem Gefährten Lebewohl zu sagen, und kehrten dann in unsere Quartiere zurück. Wir durchzogen traurig die Ebenen, die Schluchten und beschwerlichen Pfade, die wir die vorhergegangenen Tage mit fröhlichem Eifer durchlaufen hatten. Derjenige, den wir im Felde verloren, hinterließ keine Familie, aber es war ein guter Kamerad, einer jener alten Creolen von den Höhen von St. Benoit, die in den Buchten und den tiefen Flußbetten eben so gut zu fischen verstehen, wie in den Bergen die Ziegen aufzuspüren. Als wir dem Dorfe näher kamen, trennte man sich, um sein eigenes Dach zu erreichen. Mein Knie schwoll zusehends und dennoch hinderte mich weder Schmerz noch Ermüdung meine Schritte zu beschleunigen, als ich dem Ziele meines Weges mich näherte. Für uns, meine Herren, die wir niemals große Reisen machen, wiegt ein Zug in die Höhlen dieser unbewohnten Gebirge einen weiten Feldzug auf, und die Abwesenheit dünkt uns lange. Als ich im Sonnenschein auf der Mitte des Abhanges die unter Bäumen und Gärten zerstreuten Dorfwohnungen dem funkelnden Meere gegenüber bemerkte, schwoll mein Herz vor Freude. Dann fiel mir ein, daß sich während unserer Abwesenheit Vieles hätte ereignen können und in die Freude meiner Heimkehr mischte sich eine Unruhe, die ich nicht überwinden konnte. Eine halbe Stunde vor dem Dorfe begegneten wir einem unserer Nachbarn, der meinen Vater anredete; sie plauderten miteinander und ich benutzte diesen Augenblick, um hübsche Blumen zu pflücken, die im Grase wuchsen, im Schatten der Hecken. Ich machte einen Strauß daraus, den ich unter meine Weste versteckte.“

Hier liebkoste nun der Creole seinen Hund mit nachdenklicher Miene, wie ein Mensch, der plötzlich in die Erinnerungen eines andern Lebensalters zurückversetzt wird. „Warum versteckten Sie diese Blumen, Moritz?“ fragte ich ihn ungezwungen, und sah ihn dabei an, um die Spuren eines sanfteren Gefühls zu entdecken, was sich unter seiner ehernen Haut halb verrieth.

„Ich versteckte sie,“ antwortete er, „weil ich nicht haben wollte, daß sie von Jemand anders gesehen würden, als von ihr, für die ich sie bestimmte; ich wollte noch schöne bengalische Rosen dazu thun, die um die Wohnungen herumblühen, längs des Wegs, und dann hätte ich sie noch an demselben Abende zu einem Nachbar getragen, einem Kaffeepflanzer, der sechs Sclaven, ein großes Landgut und ein vierzehnjähriges weißes und blondes Mädchen hatte … Mein Vater errieth vielleicht was ich im Walde machte, aber er that, als wenn er nicht darauf Acht gäbe. Als ich wieder zu ihm kam, sagte er mit ziemlich trauriger Stimme: „Mein Junge, Du kennst doch den Malgache, den unser Freund am Bord der Diana kaufte?“ Ja, ein Kamerad des unserigen! „Nun, er ist flüchtig geworden, und ich möchte wetten, daß mein Arbeiter mit ihm ging!“

„Wir beschleunigten unsern Schritt; wenn man an ein Unglück glaubt, beeilt man sich die Wahrheit zu erfahren. Die Hausthüre war geschlossen; wir riefen nach Cäsar, unserem Malgachen; Cäsär antwortete nicht. Wir liefen um den Garten herum, aber Alles schien so still und so verlassen, daß man hätte glauben können, die Wohnung stehe seit einem Monate leer. Mein Vater ging in’s Dorf, um Erkundigungen einzuziehen, und ich, ohne zu wissen was ich that, ging an den Strand hinab. Ich setzte mich an die Bucht, wo die Diana geankert hatte, um ihre Schwarzen zu landen und warf weinend meinen Strauß in’s Meer. … Cäsar hatte meine Mitgift mit in’s Gebirge genommen!“



V.

„Ich war ruinirt,“ fuhr Moritz fort, „und was noch schlimmer ist, ruinirt, ohne vorher das Vergnügen genossen zu haben, reich zu sein. Man mußte verzichten und die flüchtigen Sclaven, von denen man nie mehr etwas erfubr, als verloren ansehen. Die auf der letzten Expedition so hart gejagten Flüchtlinge hielten sich auf allen Punkten ruhig. In kleinen getrennten Lagern wohnend, blieben sie im Herzen der Insel verschanzt, in jenen wilden Gegenden, die aus spitzigen, holzbedeckten Höhen bestehen, aus Abgründen, aus bald ausgetrockneten, bald angefüllten Gießbächen und endlich aus Flächen in verschiedenen Höhen, theils terrassenförmig in die Thäler herabhängend, theils stachlicht durch jene Pflanzen die wir Pfeifen heißen. Amerikanische Freibeuter sollen aus ihren Kolonien dieses Wort herübergebracht haben, mit welchem wir ein Schilf bezeichnen, das zehn bis zwölf Mal länger ist, als meine Flinte und an jedem Knorren von einem Doppelblatte umfaßt ist, das sich unaufhörlich im Winde bewegt, und in jene grünen festen Stengel ausläuft, die wir als Pfeifenrohre benutzen. Diese Pfeifen wachsen nur in bedeutender Höhe, und die Schwarzen, die im Gebirge keine Waffen haben, höhlen diese Schilfe wie einen Flintenlauf aus, und stecken wilde Körner hinein, mit denen sie nach kleinen Vögeln werfen, um sie zu tödten.

„Als ich eines Tages damit beschäftigt war eine von Cäsar begonnene Pirogue zu vollenden, ein hübsches Fahrzeug, das ein Segel tragen konnte, fragte mich mein Vater, ob ich auf der Brust dieses Schwarzen eine kleine Narbe bemerkt habe. Ich erinnerte mich derselben sehr gut. Nun! fügte mein Vater hinzu, der andere Malgache hatte dieselbe, deshalb sind sie miteinander davon; sie haben sich zu Brüdern gemacht! Und er erklärte mir diesen Gebrauch von Madagaskar, diesen Blutschwur, diese zwischen zwei Personen geschlossene Verbrüderung, die sie verpflichtet, sich bis zum Tode einander zu helfen. Wenn sich zwei Freunde auf diese unauflösliche Weise miteinander verbinden wollen, so bringen sie sich in der Magenhöhle eine kleine Wunde bei und tauchen in das Blut, das derselben entfließt, einige Stücke Ingwer und der Eine ißt das vom Blut des Andern gefärbte Stück. Die Zeugen wenden dabei noch verschiedene Ceremonien an; der Aelteste berührt die beiden neuen Brüder mit einer Zagain und läßt sie einen schrecklichen Eid schwören, dessen letzter Satz in folgender Weise abgefaßt ist: „Der von uns zuerst sein Versprechen verletzt, werde vom Donner vernichtet; die Mutter, die ihn geboren, werde von Hunden verzehrt!“ Es giebt Weiße, die auf diese Art mit den Häuptlingen der Insel den Bruderbund geschlossen, und dieses Bündniß rettete ihnen mehr als einmal das Leben. …

„Die Besorgniß, daß uns die entflohenen Neger angreifen würden, hielt uns in fortwährendem Alarme und täglich machten wir uns darauf gefaßt, die unsichtbar gewordenen Flüchtlinge wieder erscheinen zu sehen. Während wir nun in unsern Häusern kaum schliefen, lebten der Malgache Cäsar und sein Adoptivbruder friedlich hier in dieser Grotte. Niemand kannte sie damals noch, oft war man auf Treibjagden in ihre Nähe gekommen, aber die Flüchtlinge, die sie bewohnten, gelangten, anstatt von der Seite hereinzugehen und sich durch das Zusammentreten des ringsum wachsenden Grases zu verrathen, durch die dichten Schlinggewächse herein. Sie hingen sich an diese natürlichen Seile, an diesen Pfeiler, der ganz expreß für sie gewachsen ist, glitten daran Abends in die Höhle und kehrten auf demselben Wege Morgens wieder zurück, wenn der letzte Stern über den Gipfeln der Berge erlosch. Auf den Felsen ließen ihre Füße nicht die geringsten Spuren zurück. Der alte Quinola, der weißhaarige Malgache, den man nirgends zu fassen wußte, hatte ihnen diese so sichere Zufluchtsstätte gezeigt. Nachdem er sich selbst einige Jahre lang darin verborgen gehalten hatte, ohne einen Schwarzen von den Banden mit sich hierher zu nehmen, hatte er Cäsar zu sich gerufen, weil dieser zu seiner Familie gehörte, und Cäsar’s Adoptivbruder, der andere Malgache, hatte das Recht auf ein Asyl bei ihm.

„Ich weiß nicht gerade, ob Quinola ein Zauberer war, wie die Sclaven seines Vaterlandes behaupteten, aber er hatte geschworen, nicht auf der Insel zu sterben. Als die Regenzeit anfing Gewölke über die Berge anzuhäufen und die Pfade unwegsamer zu machen, führte er die beiden jungen Neger in eine Waldschlucht, mitten im Gebirge, nicht weit von der Stelle, wo jetzt die Kranken das Quellwasser von Salazes trinken. Dort zeigte er ihnen

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