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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

sie lehren sollte Blumen zu streuen auf den Pfad der einsamen, entbehrenden Wittwe; statt dessen wählt sie das Schicksal einer Candidaten-Braut. O, Schatten meines ewig unvergeßlichen Gatten, sei mir Zeuge, daß ich das nicht verdient habe um dies Wesen, welches ich Kind nenne.“ Sie brach in Thränen aus.

August zog sich tief beleidigt zurück und Leonie folgte ihm mit sorgend ängstlichem Blicke. Als sie zusammen in das Zimmer seiner Mutter traten, nahm sie seine Hand in ihre beiden und blickte bittend zu ihm auf: „Rechne ihr das nicht an, mein Guter!“ sprach sie innig. „Sie gehört zu denen, von welchen man sagen kann, sie wissen nicht was sie thun. Die Arme! Sie kann nur sich und Andere unglücklich machen, und ohne daß sie sich je gesteht, es sei dem so. Denke nicht weiter daran!“

„Es betrübt mich mehr um Dich, als um mich, Leonie! Diese Art, die Sache zu nehmen, stört unser Verhältniß, das jetzt der Billigung Deiner Mutter bedarf.“

„Warum jetzt, August? Es ist dazu noch Zeit genug, wenn wir derselben ernstlich bedürfen, und dann versagt sie sie nicht, dazu kennen wir sie ja genug.“

Er schwieg; doch verrieth sein träumerisch irrender Blick, daß er der Sache nachdachte. Jedoch wurde während seiner Anwesenheit keine Aeußerung laut, und beide Frauen hüteten sich sorgfältig, durch irgend ein Wort die Rede auf diesen Gegenstand zu lenken. – Sein nächster Schritt war nun, die Stelle eines Hauslehrers zu suchen, und diese hatte sich auch sogleich gefunden. Ein junger Mann, der Talente besitzt, ist stets eine werthvolle Acquisition für ein solches Amt und darf nicht fürchten, unbeschäftigt zu sein. Auguste sah ihn mit sorgendem Mutterblick dahin aufbrechen. Seine Füße unter einen fremden Tisch setzen, wie die gebräuchliche Phrase lautet, das mußte gerade ihm sehr schwer werden, fühlte sie; aber es ließ sich ja nicht ändern. War es doch das Schicksal aller jungen Theologen, wie konnte er, der unbemittelte junge Mann, der Sohn einer armen Predigerwittwe, für sich auf ein unabhängiges Loos Anspruch machen! – Ohne ein Wort zu sagen, nahm er die gebotene Stellung an und seine Mutter hütete sich wohl, ihm zu gestehen, daß sie voraussehe, er werde sich in dieser Lage sehr unglücklich fühlen. Im Gegentheile pries sie ihm sein Geschick, das ihn zu einer Familie führe, deren Protektion ihm bald zu einer Wahlpfarre verhelfen könne.

Beim Abschiede war August diesmal ungewöhnlich bewegt. Schon hatte er den Fuß auf den Tritt des Wagens gesetzt, der ihm von seinem künftigen Prinzipal, dem Kammerherrn von Rabenhorst, gesandt war, da kehrte er noch einmal unter die Thüre zurück und drückte Mutter und Braut abermals an sein Herz mit einem Ausdruck des Kummers, der Beiden tief in die Seele schnitt. Sie begriffen nicht, was ihn so sehr bewegte, und kamen in ihren Gesprächen häufig darauf zurück, bemüht, durch öfteres Wiederholen aller Umstände sich klar zu machen, was in seinem Gemüthe vorgegangen.

August erreichte indessen den Ort seiner Bestimmung und wurde von der Frau Kammerherrin von Rabenhorst, in Abwesenheit ihres Gatten, empfangen und in sein neues Amt eingesetzt. Sein Zimmer wurde ihm angewiesen, die beiden Söhne, Knaben von zehn und zwölf Jahren, präsentirten sich als seine Schüler, und da der Abend jetzt bereits hereinbrach, meldete man ihm, daß die gnädige Frau ihn zum Thee erwarte. Er stieg hinab; seine Lippe war eng zusammengepreßt, sein Fuß trat fest auf die Dielen, in seinem ganzen Wesen malte sich ein Etwas, das wie Kampf und Herausforderung aussah. Wurde es ihm etwa so schwer, das Brot der Abhängigkeit zu essen?

Die Frau Kammerherrin winkte ihm mit herablassender Freundlichkeit, ihr gegenüber am Theetische Platz zu nehmen, an welchem noch einige Damen saßen, die ihm nicht vorgestellt wurden. Mit dem Frageton eines Groß-Inquisitors richtete sie nun das Wort an ihn und glaubte sich berechtigt, jede Auskunft über sein Leben, sein Denken und Empfinden, seine Familienverhältnisse und seine Studien zu erhalten, während ihm nicht gestattet wurde, sich auf gleiche Art in einem Kreise zu orientiren, dessen Mitglied er auf längere Zeit zu sein berufen war. Seine Stirn zog sich düster zusammen, während er mit kalter Höflichkeit artige, aber kurze Antworten ertheilte. Er fühlte es, daß man ihm durch diesen Ton seine Stellung im Hause anzuweisen beginne, und sein Selbstgefühl empörte sich, auf solche Art Rede zu stehen.

Als die neunte Stunde schlug, bemerkte die Frau Kammerherrin, daß ihre Söhne um diese Zeit zu Bette gingen, und sie ihm sehr dankbar sein würde, wenn er genau darauf halte, daß sie sich pünktlich aus dem Salon entfernten und dann ohne Zögerung in ihr Schlafzimmer verfügten. Auch sei sie sehr ängstlich mit Licht, und wenn es ihn nicht zu sehr belästige, so würde sie es sehr erkennen, wenn er jedesmal selbst nachsähe, ob sie es ausgelöscht; denn einem Diener könne eine Mutter eine Sorge der Art nicht mit ganzer Beruhigung anvertrauen. August stand auf, stellte sich hinter seinen Stuhl und antwortete ihr mit einer stummen Verbeugung; dann entfernte er sich. „Er versteht noch nicht rückwärts aus der Thüre zu gehen;“ sagte Frau von Rabenhorst, als er fort war, „sonst ist er ein hübscher und für seinen Stand recht vornehm aussehender junger Mann.“

August Liebig wanderte indessen mit großen Schritten in seinem Zimmer auf und ab, und so wandernd fand ihn noch die stille Mitternacht, als schon das ganze Haus in tiefes Schweigen begraben lag. Tiefe Seufzer entwanden sich seiner Brust. „Und das soll ich ertragen?“ murmelte er in sich hinein. „Der erste Knecht dieses Hauses soll ich sein! – O meine Mutter! Meine Mutter! Wärest Du nicht, wäre es nicht aus Schonung für Dich und Dein theures Leben, wie lange schon hätte ich den Wanderstab ergriffen und wäre hinausgezogen in die Welt, als ein freier Mensch! Aber so! So fordert die Sohnespflicht, daß ich leide und dulde und langsam untergehe. Tropfen nach Tropfen schlürfe ich das bittere Gift hinunter, und kann den Kelch nicht von der Lippe entfernen, die sich sträubt mir den Saft zuzuführen, der meinen Lebenskeim vernichtet. Leonie ahnt was in mir vorgeht, ihre starke Seele durchlebt mit mir die ganze Pein meiner Existenz, ohne daß wir diesem Verstehen Worte leihen. Mittheilungen der Art machen weich, sie entnerven, sie führen zur Selbstbespiegelung und weisen endlich auf das Mitleid an, das können wir nicht brauchen. Selbstachtung gehört bei uns zum Leben, und Selbstachtung muß uns auch im Tode nicht fehlen. Andere nennen das vielleicht Stolz. Gleichviel. – Jedenfalls findet dies Gefühl seinen Zielpunkt in uns selbst, wir leiten nichts von Außen her, wir suchen nicht Erhöhung desselben durch Beziehung zu der Welt. Es ist die sittliche Kraft in uns, welche jenes gesteigerte Selbstbewußtsein verleiht, das uns Jedem ebenbürtig gegenüber stellt, sei er wer er wolle; es ist diese sittliche Kraft, welche es unmöglich macht, Demjenigen gegenüber die Maske der Demuth zu tragen, der nicht das Ideal der Menschenwürde in unsern Augen repräsentirt. Darum auch taugen wir nicht in diese Welt des Scheins; darum auch werden wir nie einen Platz in derselben finden, der unserer würdig wäre, denn wir können Beide nicht heucheln. Und dabei habe ich mir selbst doch das Wort gegeben, Leonie’s schützender Genius zu sein, sie zu hegen, zu pflegen, zu lieben, wie diese Krone aller Frauen es verdient.“

(Fortsetzung folgt.)




Die Königin des schwarzen Meeres.

Der zwischen Rußland und den Westmächten bevorstehende Krieg zeigt uns in den bisher von beiden Seiten getroffenen Vorbereitungen das eigenthümliche Bild, daß der eine Theil, Rußland, den Kern seiner Wehrkräfte in einer imposanten Landmacht vereinigt, und der andere Theil, Frankreich und England, eine kolossale Seemacht dagegen in’s Feld stellt. Die 50,000 Mann englisch-französischer Hülfstruppen, welche zu dieser Stunde bereits theilweise in der Türkei angelangt sind, ändern an diesem eigenthümlichen Bild wenig, da sie zur Führung eines nachdrücklichen Landkrieges eine viel zu geringe Zahl bilden. Schon vor Jahren sagte einmal ein geistreicher Publicist: „Ein Krieg zwischen Rußland und England käme einem Kampfe zwischen dem Löwen und Wallfische gleich,“ und so weit der gegenwärtige Krieg sich bestimmter gestaltet, findet man jenen Vergleich nur bestätigt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_182.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)