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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

eine längliche, schmale Zelle, von etwa zehn Fuß Länge und sechs Fuß Breite. Der Thür gegenüber befindet sich ein großes viereckiges Fenster von geringeltem Glas, um den Gefangenen weder den Himmel, noch die Wolken, noch die Vögel sehen zu lassen; – denn er soll von der andern Welt abgezogen werden, und man hätte ihm gern Pechpflaster über die Augen geklebt, damit er fromm werde in der steten Finsterniß.

An der einen Seitenwand befindet sich ein Holztisch, über welchem eine Gasröhre modernes Licht herausbrennen läßt, freilich nur im Winter, wo man von fünf bis sieben Uhr, oder auch wohl noch länger, den Gefangenen nicht in Dunkelheit zu lassen beliebt.

An der andern Ecke, neben der Thür, befindet sich ein Schap, auf welchem das gute Bett, gerollt und gewickelt, steht. Unter diesem ist das nothwendige Uebel für das menschliche Geschlecht praktisch angebracht; es ist dies eine Art Stuhl, welchem man durch Ventilisation den unausbleiblichen Geruch genommen. – Ich habe schon gedacht, daß man in Paris nicht in Verlegenheit sein könnte und die Cabinets inodorés, wie man aus diesem Detail sieht, ganz billig, gratis, bekommen kann. Neben diesem Möbel befindet sich ein Besen und alle Nothwendigkeiten zur weiteren Reinigung.

Mit einem Blick hat der Neueingetretene seine stille Behausung überschaut – er ist nun entweder erbaut oder verzweifelt darüber. Darin läßt man ihm vollkommene Freiheit. Doch Beides ist ohne Erfolg: denn er ist und bleibt hier König in seinem Zellenreiche und hat die Freiheit, sechs Schritte auf- und abzugehen.

Punkt sechs Uhr des Morgens ertönt die große Glocke und man hört das geheimnißvolle Summen, welches anzeigt, daß man sich die Glieder gereckt hat. Der Detinirte muß nun aufstehen. Wenn er nun, gern oder ungern, sich erhoben hat, so muß er sein Bett von den Haken in der Mauer losmachen, es sauber rollen und die Decken vorschriftsmäßig zusammenfalten. Dann kehrt er den steinernen Fußboden seiner Zelle und stellt neben dem Kehricht auch seinen blechernen Wasserbehälter an die Thür.

Der Wärter kommt; – er fegt den Schmutz hinaus und nimmt den Wasserbehälter, – dann schließt sich die Thür, ohne daß der Gefangene Zeit hatte, Bon jour zu sagen. Bald darauf stellt ihm eine unsichtbare Hand sein frisches Wasser für den Tag in die Zelle und schon um sieben Uhr sind die achtzehnhundert Zellen nach vorschriftsmäßiger Ordnung besorgt, gereinigt und versehen.

Das Staatsgefängniß Mazas in Paris.

Jetzt schlägt es acht Uhr! – Zum zweiten Male leutet die große Glocke und ein Blechgeklapper läßt sich erst fern, dann immer näher und näher vernehmen. Das viereckige Loch in der Thür öffnet sich und die flüchtige Hand des Wärters nimmt das leere Blechgeschirr hinaus und stellt dafür einen Blechnapf mit Suppe und eine Portion tägliches Brot auf das kleine Brettchen hinter der Thür-Oeffnung. – Einen Moment später ist Alles besorgt.

Der Gefangene verzehrt nun mit einem Holzlöffel seine gute Suppe, welche ihm die Liberalität des Gerichts bestimmt, und er ist sicher, daß er vor drei Uhr nichts weiter bekommt.

Doch halt! – Kaum ist die Suppe verzehrt, so öffnet sich die Oeffnung seiner Thür von Neuem und mit dem Ruf: Cantime! frägt der Wärter nach seinen Bedürfnissen. Diese Einrichtung ist sehr liberal; denn Alles, was der Gefangene wünscht, Wein, Brot, Fleisch, Frühstück, Mittag, Käse, Butter, Taback, Tinte, Feder u. s. w., wird ihm für sein Geld eben so billig, wie im Laden verabfolgt und überdies ist dies der Moment, wo er sich Alles wünschen kann, den Besuch des Arztes, des Direktors, des Priesters; eben so Bücher aus der christlichen Bibliothek des Mazasgefängnisses und sonstige Bedürfnisse, welche nach der Hausordnung nicht verboten sind. Der Wärter schreibt Alles auf und bringt es ihm nach einiger Zeit – das heißt Cantime oder Marketenderei!

Je nachdem nun die Reihe an ihm ist, wird dem Gefangenen eine Stunde Spaziergang erlaubt. Es öffnet sich der verhängvolle Riegel seiner Thür, er hört das Wort Promenade! Mit einer Geschwindigkeit, als stürze er zum Kampf oder zur Lotterie, durchläuft er seine Abtheilung, steigt die Treppe hinunter, rennt durch einen Korridor und ist in seinem Garten, ohne daß er Jemand gesehen oder gehört hat.

Dieser Garten ist ein Theil von einem großen Kreise, welcher durch hohe Mauern in zwanzig oder vier und zwanzig Schnitte getheilt ist. Einen von diesen tortenartigen Schnitten hat der Gefangene inne. Die Radien dieses Kreises münden in einer Rotunde, wo ein Wärter alle zwanzig Gärten übersehen kann und aufpaßt, daß kein Brief über die Mauer geworfen wird, um etwa den Nachbar zur Unterhaltung zu bewegen. Ein anderer Wärter macht vor dem äußern Gitter die Runde und ist beauftragt, jedem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_195.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)