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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

(der, aller Wissenschaft zum Hohne, Kranke ohne sie gesehen zu haben behandelt) und mit den Morison’schen Pillen betrieben wird, zu warnen, denn diese bringt weit mehr Nachtheil wie Vortheil, insofern dabei Magen und Darmkanal geradezu maltraitirt werden. – Schließlich laß Dir, lieber Leser, nun noch gesagt sein: das meiste Unglück in der Welt stammt aus dem Unterleibe; wie manchmal schon haben sicherlich versetzte Blähungen und Leibesverstopfungen bei Hochgestellten den Grund großen Drangsales abgegeben. Also halte auf Ordnung im Unterleibe.

(Bock.) 




Aus der Menschenheimath.
Briefe des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Zweiundzwanzigster Brief.
Die Insektenverwandlung. 2. Der Larvenzustand.

Auch die Natur hat ihren Fasching, und natürlich sind die Insekten die Faschingsnarren; die Insekten, an denen die Natur allen ihren Launen und Phantasien den freiesten Spielraum gegönnt hat; in denen sie ihren staunenerregenden Erfindungsgeist, ihren bewunderungswürdigen Geschmack wie ihre Caprice im Bilden des Häßlichsten und Bizarrsten erschöpfte.

Es sind außer den Insekten nur noch sehr wenige Thiergruppen, von denen man nicht sagen darf: wenn sie aus dem Ei geschlüpft oder als lebendige Junge geboren sind, so sind sie die mehr oder weniger ähnlichen kleinen Ebenbilder ihrer Aeltern. Der kleine Fisch, die junge Schlange, das Küchlein der Henne, das junge Säugethier, junge Krebse, Spinnen, Blutegel, Schnecken, Muscheln – alle gleichen im Wesentlichen ihrer Form und Theile ihren Aeltern.

Welcherlei Aehnlichkeit besteht aber zwischen der Raupe und dem Schmetterlinge – dem Engerlinge und dem Maikäfer – der Käsemade und der zierlichen daraus werdenden Fliege? Das sind doch in Wahrheit echte Verlarvungen! Und wenn wir dahinter die wahre Person erkennen, wenn wir in der schönen, mit dem rothen schwarzspitzigen Horne auf dem letzten Leibesringel versehenen Raupe den noch schöneren Wolfsmilchschwärmer erkennen, so wissen wir es blos, weil wir als Knaben es gesehen haben, wie sich dieselbe demaskirte.

Sieht auch das kleine struppige Ding, die junge Taube, mit dem wolligen Flaum und den federlosen Flügeln seiner schlanken, kühnbeschwingten Mutter sehr wenig gleich, so findet doch, bis dies der Fall ist, nur eine ununterbrochene Reihe sehr allmäliger Umänderungen statt, in welchen kein plötzlicher Uebergang, kein Sprung von einer Form zur andern vorkommt.

Bei den Insekten werden wir diesen Sprung im Puppenzustande kennen lernen, oder Du kennst ihn vielmehr schon längst; wenn Du auch vielleicht noch nicht darüber nachgedacht haben solltest, welch ein gewaltiger Sprung es eben ist.

Ich habe Dir schon früher gesagt, daß nicht alle Insekten eine Verwandlung haben, was ungefähr eben so viel heißt, als daß nicht alle Insekten als Larven der Gestalt nach von ihrem vollkommenen Zustande ganz verschieden sind. Bei den Insekten ohne Verwandlung, beruht der Unterschied der Larve von der Fliege – Fliegen nennt man nämlich alle Insekten in ihrem vollkommenen Zustande gegenüber ihren Larven und Puppen, weil bei weitem die meisten Insekten im Fliegenzustande fliegen können – oft blos in dem Mangel der Flügel, abgesehen von ihrer geringeren Größe. Solche verwandlungslose Insekten sind die Ordnungen der Heuschrecken und Wanzen ohne Ausnahme und die der Libellen mit einigen Ausnahmen. Du erkennst in Fig. 9 leicht eine flügellose Heuschrecke, eine Larve. Fig. 10 ist eine Libellenlarve, welche eine höchst sonderbare versteckte Waffe hat, die wir in meinem folgenden Briefe kennen lernen werden, wo wir ihre Puppe sehen, welche die Waffe noch hat.

Ehe ich Dir von den übrigen Figuren meiner heutigen Zeichnung Einiges erzähle, welche sämmtlich Larven von solchen Insekten darstellen, welche eine Verwandlung haben, muß ich einige Worte über den Larvenzustand im Allgemeinen vorausschicken.

Er ist durchaus ein Vorbereitungszustand, in welchem die Ernährung alle übrigen Lebensthätigkeiten so sehr überwiegt, daß man ihn geradezu einen Ernährungszustand nennen könnte. Viele Larven, namentlich die der sich verwandelnden Insekten, nehmen eine unglaublich große Menge Nahrung zu sich; manche fressen täglich das Zwanzig-, ja das Hundertfache ihres Körpergewichts. Darum werden uns auch die meisten schädlichen Insekten vorzugsweise als Larven schädlich. Meist haben sie auch demgemäß ein reißend schnelles Wachsthum; in wenig mehr als drei Wochen wächst die Seidenraupe wohl um das Hundertfache ihres Umfanges und Gewichts. Indem ihre Haut nicht gleichen Schrittes mitwächst, kann man fast alles Ernstes sagen, daß ihnen ihre Haut zu enge wie dem wachsenden Knaben sein Röckchen zu klein wird. Die alte Haut platzt dann und wird abgestreift. Solcher Häutungen finden sich bei den verschiedenen Insektenlarven regelmäßig bald mehr, bald wenigere, und zwar bis zehn.

Keine geringe Sonderbarkeit der Insektenlarven, und zwar der Insekten mit und ohne Verwandlung, ist es, daß sie stets geschlechtslos sind. Nur zuweilen kann man durch die Größe, nicht aber durch die ihnen eben noch mangelnden Fortpflanzungsorgane, das Geschlecht unterscheiden. Du kannst es keiner Raupe ansehen, ob daraus ein weiblicher oder ein männlicher Schmetterling werden wird.

Im August findet man zuweilen in Schonungen die Birkenbüsche an der Spitze entlaubt und wenn man hinzutritt, sieht man eben nur blattlose Zweige. Sieh aber nur näher hin und betrachte Dir die kurzen Aestchen genauer. Es sind die Raupen des Birkenspanners, Geometria betularia. Als sie das Geräusch Deiner Tritte vernahmen, streckten sie sich alle steif vom Zweige ab, indem sie nur mit den hintersten zwei Afterfußpaaren, deren sie überhaupt stets nur zwei Paare haben, sich fest klammerten. Fig. 1 stellt eine solche Raupe dar, welche sich geschwind in ein steifes knotiges Aestchen metamorphosirt hat, um ihre Verfolger zu täuschen. Ihre Farbe, der der Rinde der Zweige gleich, und einige Knötchen auf ihrem Leibe kommen ihr dabei trefflich zu statten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_211.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2016)