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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Das vergangene Jahr brachte uns trotz der unübersehbaren Kosmosliteratur und den Eifern, mit welchem diese von Seiten des großen Publikums verschlungen wird, die betrübende Erfahrung, daß alle Bemühungen in größeren Kreisen eine Einsicht in das Walten der Natur zu verbreiten, eitel in den Wind gestreut. Was der verwegenste Verächter des menschlichen Geistes nicht zu träumen wagte, das offenbarte sich dem blödesten Auge leider als nackte Wirklichkeit. Eine Zeit, welche die tanzenden und wahrsagenden Tische gebar, die mußte auch noch mehr Unsinn im Schooße tragen. Man hatte nicht lange zu warten, da stieg ein zweites, Alles verdunkelndes Meteor auf in dem Satze des Dr. Schoepffer: „Die Erde steht fest,“ ausgesprochen zu einer Zeit, in der selbst die katholische Kirche ihren Bannfluch gegen die Lehre Gallileis nicht aufrecht zu erhalten wagt. Was konnte in diesem Bunde würdiger als drittes sich darstellen, als der zu neuem Leben auferweckte Spuk vergangener Jahrhunderte, die große Kunst Gold und Silber in Fülle zu machen. Man male aber nur den Teufel an die Wand, so erscheint er sicher; gegen Ende des ersten Halbjahres wurde der französischen Akademie der Wissenschaften ein Schriftchen – noch lange nicht ein Bogen – übergeben, unter dem Titel: „die Metalle sind keine einfachen Körper, sondern zusammengesetzte; die künstliche Darstellung der edlen Metalle ist möglich, ist eine Thatsache.“

Tissereau, der Glückliche, welcher diese große Entdeckung gemacht, rühmt die Logik, mit der er bei seinen Versuchen zur Darstellung des Goldes zu Werke gegangen ist. Von einer solchen ist aber in der Schrift selbst durchaus keine Rede, denn im Eingange führt er an, daß es ihm gelungen sei, durch Umwandlung einige Grammen Gold mit sehr geringfügigen Kosten darzustellen und am Ende fordert er – und dies ist des Pudels Kern – von seinen Mitbürgern Geld, um seine Versuche weiter ausführen zu können. Die Worte von Hans Sachs – an den Kaiser Maximilian gerichtet –

Wer diese Kunst recht weiß und kann,
Der böt um Geld sie Niemand an,

scheinen dem letzten Jünger des dreimal Großen unbekannt gewesen zu sein. Die Beweise, welche er anführt, gleichen denen des Dr. Schoepffer wie ein Ei dem anderen; mit solchen Leuten läßt sich durchaus nicht streiten. Wir wollen den Armen aber nicht als Betrüger hinstellen, im Gegentheil ist er selbst der Betrogene. Wir wollen auch zugeben, daß das Endproduct seiner Experimente wirklich Gold ist; aber der Unterschied ist nur der, daß es nicht durch die verschiedenen Operationen entstanden, sondern von Anfang an vorhanden gewesen und nur bloßgelegt, gereinigt wurde. Dies ist um so denkbarer, als Tissereau seine Arbeiten in Californien angestellt hat, wo, wie jeder weiß, das Gold auf der Straße liegt und man die Miethe von den Wänden abkratzt. Ueberhaupt ist das Gold, freilich in äußerst kleinen Mengen, verbreiteter in der Natur, als man gewöhnlich glaubt. Versuche, die jüngst in der Bergschule zu London angestellt worden sind, haben ergeben, daß das Gold als merkliches Quantum in jeder Bleisorte, Mennige, Bleiweiß und Bleizucker, so wie endlich in allen im Handel vorkommenden Sorten Wismuth enthalten ist.

Während Millionen den Tischen nachliefen bis sie den Athem verloren, war die Zahl der Verehrer der Schoepffer’shen Weisheit bereits bis auf 70,000 gesunken. Bei einem solchen Abstande zwischen dem ersten und zweiten Wunder war es erklärlich, daß das dritte leer ausgehen würde. Niemand hat von ihm Notiz genommen, selbst nicht die illustrirte Zeitung, die doch sonst sehr freigebig ihre Leser mit stattlichen Enten auf dem Gebiete der Naturwissenschaften bewirthet. Und doch war das neueste Wunderwerk eines Berge versetzenden Glaubens eine Entdeckung, die mit Recht von sich sagen konnte, „daß sie die kühnsten Geister durch ihre Wichtigkeit erschrecken werde.“ Aber der Enthusiasmus war in der neuesten Form des Wahnsinns, die noch ihres Groddeck harrt, verflogen; hat der Champagner seine Kohlensäure verloren, so ist er schal und abgestanden.

Wenn wir in der Ueberschrift unseres Briefes von Goldmachern der Neuzeit gesprochen haben, so verstehen wir hierunter keineswegs die aufgeführten Nachzügler des großen Trosses, die sich von den alten Alchemisten nicht um eines Haaresbreite unterscheiden. Jenen Namen legen wir den heutigen Chemikern bei und zu keiner Zeit haben sie ihn mit einem größeren Rechte geführt, wie eben jetzt. Die Beweise für unsere Behauptung wollen wir im nächsten Briefe beibringen.




Nach Tarasp.
Von Dr. L–n.
Die Conditoren und Zuckerbäcker Europa’s. – Engadin. – Das Thal den Engadin. Eine Wanderung dahin und der Charakter desselben. – Die Bewohner und ihre Eigenthümlichkeiten. – Die Weiber von Schiers. – Engadiner Hotzelwagen.

Hat Dich, geneigter Leser, auf Deiner Wanderung durch die Städte unsers deutschen Vaterlandes, namentlich im Norden desselben, Gelüste oder Bedürfniß in eines jener Etablissements geführt, wo die braune[WS 1] Bohne Arabiens zu einem aromatischen Tranke bereitet wird, der Cacao America’s wohlschmeckenden Genuß bietet, oder ein kleines Gläschen der verschiedenfarbigsten gebrannten Wasser in feinster Qualität Dich mit flüssigem Feuer erwärmt, Zucker und Mehl, in tausenderlei Formen von Süßigkeiten umgewandelt, Deinen Gaumen kitzeln, so wird schon bei dem Suchen nach diesen Herrlichkeiten der Name ihren Künstlern und Besitzern Dich mit fremdartigem Laute begrüßt haben. Bist Du je in der Stechbahn auf dem Berliner Schloßplätze bei Josti eingetreten? Du hast die glänzenden Uniformen ab- und zugehender Söhne des Mars gefunden und feine, wunderfeine Sachen auf Schüssel und Teller, in Flasche und Glas und Tasse, die wohl besser munden als das harte Brot und der brennende Inhalt der Feldflasche in den kalten und feuchten Lagern an der Donau hüben und drüben. Oder hast Du in einem lebhaften Schwarme von Literaten und Schauspielern, welche die Zwischenakte oder der Schluß des Stückes herbeigezogen, bei sprudelnder Unterhaltung glühenden Wein oder Punsch zu schmackhaftem Kuchen geschlürft, bei Steheli auf dem Gensd’armenmarkte – wieder ist’s kein märkischklingender Name, der Dir Deine Silbergroschenrechnung wissen läßt. Unter den Linden lockte Dich Spangipani mit seinen Süßigkeiten; anderswo in der preußischen Hauptstadt Andere mit ähnlichem Klange; aber nicht blos hier – in Magdeburg, in Bremen, in Königsberg, ja über die deutschen Grenzen hinaus in ganz Europa kannst Du diese in die Conditor-und Zuckerbäckersuniform gekleideten schlichten, meist kurzstämmigen und etwas wohlbeleibten Leute antreffen, wie sie ruhigen Antlitzes sich hinter ihren Ladentischen bewegen und vielleicht den wachsenden Gewinn und die Zeit berechnen, wo er hinreichend sei, ihn auch zu genießen. Es sind wandernde Zugvögel, wenn auch in langen Perioden, diese stillen, fleißig schaffenden Männer; ihre Heimath ist nicht die nordische Ebene, nicht der märkische Sand, wo ein Hügel von einigen hundert Fuß für einen Riesen gilt; sie liegt ferne zwischen aufgethürmten Gebirgswällen, zwischen hohen Alpenstöcken, zwischen tausend wilden und kahlen Felsenfirsten in der Mitte eisiger Gletscher und Schneefelder. Wie der Wasserschatz ihrer Eishöhen aus zerrissenen Schluchten gewaltiger Gebirgsstöcke dem Rhein, der Donau, der Etsch und dem Po zueilt und so zu entlegenen Meeren auseinander läuft, so hat diese Bewohner eines stillen Hochthales von je die Wanderlust ergriffen, und sie tragen ihre emsig sammelnde Rührigkeit, ihren sparenden Fleiß von der einsamen Heimath hinaus in das Gewühl belebter Städte, an die Stätten des Comforts und des Luxus, wo ihnen eine reiche Ernte entgegenwinkt. Ihnen verwandelt sich das Heimweh nur zu einer treibenden Kraft des Erringens und Erwerbens, der Gedanke an das Thal der Geburt und seine großartige Umgebung zum Sporne einer rastlosen Thätigkeit. Denn der als Jüngling hinaus in die Welt gezogen, sich gemüht und geplagt, kehrt beim nahenden Abend des Lebens, wenn die dunkeln Haare zu bleichen beginnen in das nie vergessene Vaterland zurück, nachdem er das blühende Geschäft einem Sohne oder jüngern nachgekommenen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: braue
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_235.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)