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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

da ging der Kreuzwirth nach den Schlosse Riedd hinauf, zu dem alten Herrn; er mußte wohl, denn es war hohe Zeit, alle Mädchen gingen seiner Rosi aus dem Wege. Element! wie empfing ihn der Baron. Er lachte, freute sich seines Sohnes und sprach von einer großen Ehre, die dem Narren von Wirth passirt sei. Dieser heulte anfangs, dann drohte er und sagte etwas von der Regierung in Stettin, oder gar am Ende von Berlin. – Der Baron meinte: „Das sind meine Gerechtsame, auf denen Ihr Bier ausschenkt, und wenn Ihr noch muckst, so laß ich Euch das Schild herunternehmen, worauf das Kreuz und die Worte: „Mit Gott für König und Vaterland! Der Weg nach Berlin ist lang, und des Bauern Ohr ist noch eben so weit von dem Ohr des Königs, wie in alten Zeiten vom Ohr der pommerschen Herzöge.“ –

Der Kreuzwirth duckte sich; aber seine Rosi, ein frisches gesundes Mädel vor damals, siechte und siechte, bis sie die Arme von sich streckte und todt war; die Schande und der treulose Geliebte hatten ihr das Herz gebrochen. „Mädel, Kathrine,“ fuhr er nach einer kurzen Pause lebhaft fort, „wenn Du mir desgleichen thätest, ich glaube, mit den Nägeln zerkratzt’ ich Deinen Leib, daß er früher den Raben zur Speise würde.“ – Die Augen des Alten blitzten und hafteten durchbohrend auf seiner Tochter. Diese, unbekümmert um die zornige Rede des Vaters, hatte eine hölzerne Schüssel mit Wasser gefüllt, war abermals vor den Verwundeten niedergekniet und netzte die Stirn desselben. Sie entgegnete: „Es ist ein Mensch, Vater, der hier liegt; was Ihr redet, mag gut gemeint sein, aber ich versteh’ es nicht ganz. Ihr wißt, ich habe meinen Schatz.“ –

„Auch so ein Stadtvogel,“ brummte der Alte, „von dem man nicht weiß, wie man dran ist. Er schwätzt allerlei und gar Liebliches für Dein Herz, aber ob er’s ehrlich meint, das ist die Frage. Deine schönen Augen haben ihn wohl verblendet, ob er sie aber nicht ebenfalls sehr wohlfeil zu kaufen gedenkt, darüber hat er sich noch nicht entschieden.“

„Ihr seid doch auch gar zu übeldenkend, Vater. Ich möchte nur wissen, was Euch die Menschen gethan, daß Ihr gegen alle so absprechet und gleich das Schlimmste im Munde führt. Hat Euch Rudolf nicht gesagt, daß er mich heirathen will? Mir hat er es gesagt.“

„Das ist so der schöne Anfang zu einem bösen Ende,“ sprach der Alte, indem er sich eine Pfeife anrauchte. „Sehen muß ich’s, wenn ich’s glauben soll. Der Herr Rudolf wird sich Deiner und meiner schämen, wenn wir in der Stadt sind; wenn wir überhaupt dahin kommen. Was mir die Menschen gethan? Gerade so viel, als nöthig, um verrückt zu werden. Der Arme ist ihnen noch zu reich, wenn er nicht gerade betteln geht. Sie können sich nicht denken, daß man bei trockenem Brote und einem letzten Vorrath von Ehre nicht an den Straßenecken stehen will. Ich war Soldat, habe so und so viel Jahre ehrlich und rechtschaffen gedient. Man hing mir eine Medaille in das Knopfloch, gab mir monatlich einen Thaler zwanzig Groschen und sprach: „Nun können wir Dich nicht länger im stehenden Heere brauchen. Sei zufrieden mit Deinen vier Wunden am Leibe.“ Das mochte gehen, ich will nichts einwenden, aber daß uns armen Teufeln die Luft, die wir schnappen möchten, noch beschnitten und verkürzt wird, das ist zum Würgen. Sieh’ Dir dort den Junker an! Als ich hierherzog, in meine rechte Heimath, da machte mir der Gutsherr allerlei Scherereien, ich mußte Papiere herbeischaffen, um die ich mich nie bekümmert, damit ich nur ein Fleckchen Erde gewönne, wo ich ausruhen könnte. Weiter! Mein Weib, Deine Mutter, war eine Französin, die ich einmal auf der Flucht gerettet, die wollten sie gar wieder heimschicken. Was für Laufereien und Plackereien, bis ich sie behalten durfte! Und nun? Ich darf mich nicht rühren und handthieren zwei Minuten in der Runde. Ueberall steht ein Pfahl, hier einer, dort einer und darauf: „Bei Strafe verbotener Weg!“ Will ich mir eine Handvoll Reisig aus dem Wald holen, so muß es bei Nacht geschehen, am Tage wittert die Nase des Schloßherrn von Weitem den Uebertreter des Gebots. Und so in Allem auf dieser Gutsmark. Mich wundert nur, daß sie das Meer nicht abtheilen und Pfähle einrammen; daß man nicht von jedem Fisch nur den Schwanz und den Kopf behalten darf, und das Uebrige auf’s Schloß abliefern muß. Für dieses elende Hundeloch, das man mir zu bauen gestattete, es sind dies zwanzig Jahre her – muß ich zwei Tage in der Woche auf den Feldern des Herrn von Riedd arbeiten; dabei mich aber selbst beköstigen. Nun sage mir Einer noch, ich führe ein gutes Leben! Der Teufel kann damit auskommen, geschweige ich!“ –

Katharina hatte solche und ähnliche Zornausbrüche ihres Vaters schon oft gehört und war deren gewöhnt. Sie verhielt sich dabei meistens still und wartete ab, bis er sich besänftigte; was jedes Mal geschah, wenn er eine lange Rede gehalten. Auch jetzt glättete sich seine Stirn und sein Auge blickte minder finster auf den Verwundeten, der noch immer kein Zeichen seines wiederkehrenden Bewußtseins von sich gab. Er trat näher und untersuchte mit den Augen eines Kundigen den Körper des jungen Mannes. Als gedienter Soldat, der manche Schlacht mitgemacht, verstand er sich etwas auf die Wundarznei.

„Nicht gefährlich!“ murmelte er zwischen den Zähnen, als er den Junker längere Zeit betrachtet. „Ein Stärkerer würde sich um den einfältigen Schuß nicht so viel kümmern. Wahrscheinlich ist der junge Herr in der Residenz und zu Hause mit Zucker aufgefüttert worden. Zeit ist aber doch, daß der Wagen kommt.“

Während er sich niedergebückt hielt, bemerkte Katharina an dem Leinwandkittel ihren Vaters mehrere Blutflecken. Sie machte ihn darauf aufmerksam.

„Ei was!“ brummte der Alte rasch, indeß nicht ohne einen leisen Anflug von Verlegenheit, „von dem Junker da! Was halt’ ich die Nase so dicht an seinen Leichnam. Doch horch! Ist das nicht der Wagen? Die Räder ächzen in dem nassen Sande.“

Er eilte hinaus und kam bald mit mehreren Männern zurück, unter denen sich der alte Freiherr von Riedd befand. Mit besorgtem Antlitz eilte dieser sogleich auf seinen Sohn zu und winkte dem Hausarzt, den er mitgebracht, und der auf dem Schlosse wohnte. Die Wunde wurde untersucht und nicht für tödtlich erkannt. Beim Verbinden wachte Casimir, der Junker, auf, und blickte verwundert um sich. … Er wurde mit Sorgfalt in den Wagen getragen.

Der alte Freiherr dankte dem alten Fischer und seiner Tochter mit den Worten: „Ich höre von einer Verlobung, Katharina, die im Anzuge ist. Der junge Maler Rudolf Elmer freit um Euch? Nun gut, wenn Gott meinen Sohn erhält und der Thäter des schändlichen Mordanfalls entdeckt ist, so kommt zu mir hinauf auf das Schloß; ich werde zu Deiner Ausstattung beitragen. Was Dich betrifft, Claus Schilder, so erlaß’ ich Dir für diese Woche die zwei Arbeitstage auf dem Felde, die Du verbunden bist, mir zu leisten. Gehabt Euch wohl!“ – Er verließ die Hütte, von den Danksagungen Beider begleitet, stieg zu Pferde und ritt an der Seite des Wagens, in den sein Sohn gebracht worden war und der langsam davonfuhr.

(Fortsetzung folgt.)




Richard Wagner.

Richard Wagner, der Dichter und Componist des Rienzifliegenden HolländerTannhäuser und Lohengrin, dessen Bild Euch, liebe Leser, die Gartenlaube diesmal vor die Augen stellt, hat auf seiner Laufbahn glühende Anhänger und kalte Gegner gefunden. Jene sehen den genialsten Kunstreformator, diese nur ein bedeutendes Talent in ihm, ja manche der letzteren erklären ihn für einen musikalischen Herostratus. Jedenfalls ist er eine der hervorragendsten Erscheinungen der Gegenwart, die wir nicht übersehen dürfen.

Von seinem Leben wüßte ich Euch wenig zu erzählen. Er wurde am 22. Mai 1813 in Leipzig geboren, besuchte in Dresden die Kreuz-, später in Leipzig die Thomasschule, und frequentirte kurze Zeit die Universität zu Leipzig. Unterricht in der Composition erhielt er von dem trefflichen Theoretiker Weinlich, Cantor an der Thomasschule.

Dies ist, was mir von den Bildungsmitteln seiner Jugend bekannt geworden. Die ausgebreiteten Kenntnisse, die er in seinen Schriften, die bedeutende Schaffenskraft, die er in seinen Kompositionen zeigt, lassen schließen, daß er sehr fleißig und zumeist durch mannigfaltigstes Selbststudium sein eigener Lehrer gewesen

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