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steifer Seidenborsten. Diese geben sich leicht auseinander, wenn der Schmetterling aus der Puppenhülle ausgekrochen ist und nun hinauseilt an die warme sonnige Sommerluft; aber – sie lassen nichts herein, was den noch Schlummernden stören könnte. Ist das nicht in Wahrheit eine umgekehrte Mäusefalle? .

Fig. 8 meines vorigen Briefes zeigte Dir ein aus Holzstückchen erbautes Larvengehäuse einer Köcherjungfer; jetzt siehst Du in Fig. 3 ein Puppengehäuse, natürlich auch von der Larve gemacht, einer anderen Art dieser kunstfertigen Familie. Es ist aus kleinen Steinchen zusammengefügt und die Larve schleppte dieses schwere Haus lange Zeit mühselig mit sich herum. Dann mauerte sie es vollends zu und verwandelte sich in ihrem finstern Mauerverließ in die Puppe. Das aus dieser auskommende schmetterlingsähnliche zarte und schwache Insekt hat ein probates Mittel, aus diesem Kerker zu entkommen. Es ist ein Tropfen eines ätzenden Saftes, den es aus dem Maule absondert und der sofort den festen Mörtel auflöst, der für das Wasser und andere Säuren unlöslich ist.

Unsere folgende Figur, 4, zeigt uns die Puppe der Fleischfliege, die wir als Larve in Fig. 3 des vorigen Bildes kennen lernten. Die Fliegen, eine außerordentlich artenreiche Insektenordnung, haben eine sehr abenteuerliche Puppenhülle. Sie besteht aus nichts Anderem, als aus der letzten Larvenhaut. Diese wird nicht abgeworfen, sondern löst sich nur ringsum von dem Körper der Larve los, so daß sie zuletzt diese wie ein loses, dunkel kastanienbraunes Futteral einschließt, in welchem sich die Larve in die Puppe verwandelt. Die daraus auskommende Fliege stößt dann leicht das vorderste Stück wie einen Deckel ab, wozu ihr die Naht zwischen zwei Leibesringeln der zur Puppenhülle erhärteten Larvenhaut behülflich ist. Wenn Du eine todte Maus an einen Ort legst, wo ihre Verwesung Deine Nase nicht beleidigt, so kannst Du leicht diese Verwandlung der Fliegen beobachten.

In dem Spinngewebe genial unsauberer ländlicher Abtritte wirst Du schon oft das Ding haben hängen sehen, was Dir Fig. 5 darstellt. Es ist auch eine Fliegenpuppe, deren Larve, eine sogenannte Rattenschwanzlarve, einige Fuß tiefer in dem nicht gering zu achtenden weil korn-erschaffenden, unaussprechlichen Fluidum schwelgte.

Leicht erkennst Du in Fig. 6 die hellbräunlich aussehende Puppe des Hirschkäfers, Lucanus Cervus. Der arme Kerl ist eng zusammengeschnürt. Alle Theile stecken in besondern Futteralen, die zusammen die Puppenhaut bilden; während an der Schmetterlingspuppe bekanntlich alle einzelnen Leibesglieder von einer gemeinsamen dicken Haut umschlossen sind. Wenn der Käfer auskriecht, so zieht er seine Puppenhäute wie Strümpfe und Rock und Hosen aus und erscheint dann als der Ritter im festen, glänzenden Panzer; doch bedarf es einiger Zeit, ehe dieser seinen Glanz und seine Festigkeit gewinnt; und eher kommt er auch aus seinem Larvenaufenthalte, hohlen Weiden, alten Lohhaufen und dergleichen, nicht zum Vorschein.

Genau so ist es mit der Bienenpuppe, welche in Fig. 7 dargestellt ist. Sie ist aus ihrem wächsernen Hause herausgenommen, welches, gegen die allgemeine Regel bei den Insekten, sich die Larve nicht selbst gemacht hat, sondern welches ihr die Arbeitsbienen bauten und auch nachher mit einem Wachsdeckel verschlossen; als sich die Larve (Fig. 4 des vorigen Bildes) zur Verpuppung anschickte. Die auskriechende Biene bahnt sich aber nachher mit den starken Beißzangen ihres Maules selbst einen Weg aus der Wachszelle, um entweder zu arbeiten oder zu faullenzen oder Kinder zu erzeugen, je nachdem sie Arbeiterin, Drohne (Männchen) oder Königin ist.

Die kleine Heuschreckenlarve in Fig. 9 unseres vorigen Bildes siehst Du hier in Fig. 8 in eine größere Puppe verwandelt. Sie unterscheidet sich außerdem nur durch die kleinen Flügelansätze und, da es eine weibliche Puppe ist, durch die Legscheide am Ende ihres Leibes. Du erinnerst Dich, daß die Heuschrecken keine Verwandlung haben.

Das gilt auch von den Libellen, von denen Du in Fig. 9 die Puppe siehst, die zu der Larve Fig. 10 des vorigen Briefes gehört. Sie hat eben das sonderbare aus drei Gliedern bestehende Fangwerkzeug ausgestreckt, was ich dort erwähnte. Auch an ihr siehst Du die Ansätze der Flügel, die sie erst als vollkommene Libelle ganz entfalten darf, um sich aus dem Schlamme der Gräben und Teiche in die Lüste zu erheben.

Ich verlasse hier den Mummenschanz der Insektenwelt. Mein nächster Brief führt Dich unter dieses muntere Völkchen, nachdem ihnen das Zeichen zum Demaskiren gegeben war. Da giebt es gründlichere Überraschungen, als nach 12 Uhr auf einem Faschingsballe der Menschenkinder.




Blätter und Blüthen.

Was ist die Langeweile? Es giebt kleine Städte, in welchen jeder Fremde sogleich das Heimweh bekommt, selbst wenn er gar keine Heimath aufzuweisen hätte; es giebt Häuser, welche in- und auswendig mit Langeweile angestrichen sind; es giebt Lebensverhältnisse, die jeden frischen Morgen, den der Himmel schenkt, mit derselben narkotisch einduselnden Physiognomie angähnen; ja es giebt endlich Menschen, christliche Mitmenschen, die ihre Brüder unverholen todt zu langweilen drohen. In solchen Beziehungen und Umgebungen sollte man nie allzulang verweilen und ausdauern.

Wenig Dinge werden so oft genannt, ohne wirklich gekannt zu sein, als die Langeweile. Denn was ist sie eigentlich? So verdienen unzählige Sachen, über die wir hundertmal reden und reden hören, im Grunde viel sorgfältiger untersucht zu werden. Ein Mensch soll nie Langeweile haben! ruft uns die Moral, die Erziehung, die Lebensweisheit zu. Aber wie soll man das anfangen? Ist es doch gerade eine Hauptsache bei der echten Langeweile, daß wir keine Gewalt über sie besitzen: wir haben sie nicht, sie hat uns. Sie überfällt uns, wie eine Betäubung, wie ein Schlag auf das Organ der Denkkraft (am Vorderschädel), wie eine mohnduftende Schlummertrunkenheit.

Die Langeweile sucht uns häufiger in der Gesellschaft, als in der Einsamkeit auf. Selbst Kinder, die überhaupt mehr an der Langeweile – wie auch an Würmern – leiden, als Erwachsene, werden von ihr nicht verschont. Ein Lehrer, der seine Schüler nicht durch die Frische und Lebendigkeit seines Unterrichts fesselt, langweilt sie dadurch, daß er sie verhindert, etwas anderes zu denken oder zu treiben. Dumme, lügenhafte, prahlerische und verrückte Autoren können uns amusiren mit ihren Büchern, aber die, welche gern etwas Gutes sagten, und die Kraft und doch das Geschick nicht haben, es auszudrücken, langweilen uns: daher es immer gerathener ist, ein schlechter Schriftsteller zu sein, als ein mittelmäßiger.

Es giebt eine Langeweile in großen Gesellschaften und im Zwiegespräch. Jene ist erträglicher, als diese. Man kann zwar, ohne unhöflich zu sein, eine Gesellschaft von civilisirten Menschen, die aber weder etwas haben, noch geben, was uns irgendwie förderlich ist, nicht ohne weiteres verlassen; allein man kann sich doch durch eigne Gedanken, stille Selbstgespräche, Rückerinnerungen oder durch größere Rechnungen, die man im Kopfe ausführt, einigermaßen helfen, bis Alles überstanden ist.

Im Zwiegespräch ist es anders. Wenn uns z. B. Jemand in großem Eifer und mit vieler Energie weitläufig über eine Sache unterhält, die wir nicht verstehen, oder die nicht das geringste Interesse für uns hat, oder wenn Jemand etwas, was man in zwei Minuten sagen könnte, in einer guten Stunde ausdrückt, oder wenn ein Mensch anfängt, schmeichelhaft gegen sich selbst zu werden, sich mit allerlei schalkhaften Lobeserhebungen aufzieht und zuletzt unvermerkt in eine Art von Selbstbewunderung geräth, wobei er am Ende leise zu verstehen giebt, daß er dergleichen gar nicht hinter sich gesucht hätte, – in solchen Fällen pflegt man sich zu langweilen. Diejenigen, welche die angenehme Gewohnheit haben, permanent vor sich selber zu erstaunen, verbinden mit dieser Tugend leider gewöhnlich die Grausamkeit, ihr Opfer durch lange Qualen langsam zu Grunde zu richten, indem sie zu jeder Selbsträucherung so weit als möglich ausholen, damit man nämlich nichts merke. Wenn man aber schon bei den ersten zwei Worten einsieht, wo das Alles hinaus soll und ganz genau weiß, an welchem Ziel der Schmeichler, in einer halben Stunde etwa, sicher ankommen wird und zusehen muß, wie er fortwährend durch kleine Einschaltungen und Abschweifungen vergeblich seine und unsere Zeit verschwendet, um uns nebenbei von seiner Demuth und Bescheidenheit, ja der zu geringen (fehlerhaften) Eigenliebe zu überzeugen, – „man werfe ihm das oft genug vor, er könne aber nicht anders und am Ende sei es doch keine von den schlimmsten Untugenden;“ – so möchte man manchmal auf und davon laufen oder aus der Haut fahren, wenn dies überhaupt thunlich wäre.

Beklagenswerth ist der Mensch, der durch seine christlichen Mitbrüder oft und viel gelangweilt wird; denn die Langeweile ist eine Tyrannei, die uns nicht allein hindert frei zu sein – das wäre vielleicht das Geringste, sondern welche uns abhält, geistig zu leben, zu denken, als Menschen zu existiren; die uns banditenartig das Messer ihrer Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit an die Kehle des Geistes setzen, die uns würgen und stranguliren, daß unsere Seele nicht Athem holen kann. Die Langeweile ist eine Müdigkeit des ganzen innern Menschen, die uns, wie bei der Seekrankheit, auf Wiedergenesung und auf alle und jede Zukunft absolut verzichten läßt; sie ist eine fieberhafte, ungeduldige Krankheitsform, darin sich der Mensch nicht zu regen wagt; – sie ist das allmächtige Erbleichen und Hinsterben unseres Geistes, welches, wenn das Uebel chronisch wird, gewiß auch den Leib zu tödten die Macht besitzt.

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