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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

liegen. – Ich erzählte ihm Alles, wie es zugegangen. Er sagte nichts als: „Armer Mann!“ – Dann schwur er mir, von der Sache zu schweigen, und das that er aus freien Stücken. – Wie nun eine Weile vergangen war und ich fortgehen wollte, da sagte er: „Den Junker wollen wir aber doch hier nicht liegen lassen: ihm ist noch zu helfen, wir wollen ihn an den Weg tragen, wo mehr Leute vorübergehen.“ – Das geschah denn auch, und wir trennten uns. – Jetzt fiel mir ein, daß wir das Gewehr nicht aufgehoben, ich hole es und will es dem Junker an die Seite legen, wie ich aber zurückkomme, sehe ich schon zwei Waldhüter, die den Getroffenen auf Tannenäste legen und forttragen. – Ich verbarg mich und wartete – das Unwetter war inzwischen ausgebrochen, aber ich wagte doch nicht, hervorzutreten, bis es nicht Nacht geworden war. Das Gewehr wollt’ ich nicht im Hause haben, ich trug es in die Klosterruine.“ – Der schwarze Kreuzwirth hatte geendet. Der Eindruck war auf die Anwesenden ein verschiedener. Claus Schilder blieb ruhig und war nur besorgt für den weitern Verlauf; Katharina aber war voller Freude, ihr Auge leuchtete und blickte nach dem Vater, als wollte sie sagen: „Ich wusste ja, daß Du unschuldig und der bravste Mann bist!“ – Der alte Freiherr durchmaß mit großen Schritten das Gemach und sprach vor sich hin: „So rächt sich die Affenliebe der Aeltern, wenn man die Söhne verwildern läßt und allzu nachsichtig ist. Es ist keine Erziehung, wenn sie nicht streng überwacht wird, wenn man nicht offene Augen für die aufkeimenden Fehler und bösen Neigungen behält.“ – Dann trat er auf Casimir zu und fragte mit kaltem Ernst: „Ist es so, wie der Kreuzwirth ausgesagt?“ – „Ja!“ erwiederte der Junker, von dem Gewicht des Augenblicks niedergeschmettert. – „So geh’ hin zu dem alten Manne, dem Du die Tochter entehrt, nimm seine Hand und bitt’ ihn um Vergebung!“

Mit scheuem Blick forschte Casimir in dem Antlitz seines Vaters, sein Trotz war gebrochen, er dachte nur an eine Milderung des harten Looses, das ihm vorher verkündet worden war. Es war eine Demüthigung, die er nicht glaubte ertragen zu können, sollte er wirklich in der ausgesprochenen Weise Soldat werden müssen. – Das Gesicht des Freiherrn drückte einen eisernen Beschluß aus; langsam trat Casimir zu dem Kreuzwirth, nahm seine Hand und stammelte einige Worte. – „Laut und deutlich!“ klang die Stimme seines Vaters herüber.

„Kreuzwirth, könnt Ihr mir vergeben?“ – Er schlug den Blick nicht auf; er vermochte es nicht.

„Wenn’s Gott vermag, Junker, ich vergebe Euch!“ –

„Nun zu den andern Beiden!“ herrschte der Vater.

Der Junker trat zu Katharina und dem alten Claus: „Ich that Euch Unrecht, vergebt es mir!“ sprach er nach dem Befehle seines Vaters.

Katharina antwortete nicht; der alte Claus schüttelte ihm die Hand und sagte: „Junker, aus vollem Herzen möcht’ ich, daß dieser schwere Augenblick nicht aus Euerem Gedächtniß kommen möge. Denkt an Gott und Eueren Vater, Ihr seid jung, Eure Zukunft kann noch eine gute werden!“ –

„So sei es!“ sprach der alte Freiherr, indem er dazwischen trat. „Claus und Ihr, Kreuzwirth, ich bitte Euch im Namen meines Sohnes, die Sache fallen zu lassen. Mein Stamm ist morsch, Casimir mein Einziger, es wäre mein Tod, wenn ich die öffentliche Schande auf meinem Hause sähe. Seid Ihr zufrieden, so, wie es geschehen und mit meinem Wort: daß Ihr ehrenhaft gehandelt, ehrenhafter, wie ich und mein Sohn?“ –

„Wir sind es zufrieden“, sagten die beiden Männer, und Claus fügte noch hinzu: „Beschämt uns nicht weiter, Herr Freiherr. Wir erhalten mehr, als wir erwarteten; wir hielten Euch für übermüthig gegen die Niedrigen, Ihr seid aber gerecht.“

„Wenn eine harte Erfahrung es lehrt“, entgegnete der Freiherr bestimmt. „Es wäre besser, wenn es deren nicht bedurft und ich nicht vorurtheilsvoll mein Ohr nur mehr für meinen Sohn offen gehalten hätte. – Bei meinem Ausspruche bleibt es; Casimir geht diese Stunde nach Berlin. Gott bessere Dich, dann findest Du auch das Vaterherz wieder. Dir, Claus, schenke ich das Haus am Strande und wenn daran was fehlt, ich will es ausbessern, oder wenn’s Noth thut, ganz neu aufbauen lassen. Ich werde selbst nachsehen! Was mach’ ich aber mit Dir, Kreuzwirth? Deine Rosi kann ich Dir nicht wiedergeben. Kann es Dich erfreuen, so ist fortan das Ausschanks-Gerechtsame Dein Eigenthum, Du hast an die Gutsherrschaft nichts mehr zu entrichten. Vielleicht hast Du Verwandte, denen es zu Gute kommt. Haus und Hof mach’ ich Dir schuldenfrei.“

„So, Herr“, antwortete der Kreuzwirth, „mag’s dem Kinde Rosi’s verschrieben werden; mit mir geht es bald zu Ende.“

Der Freiherr gab seine volle Zustimmung, drückte Jedem die Hand und entließ sie mit der Bitte: über Alles zu schweigen. Sie versprachen es ihm gewissenhaft.

Viele Tage waren nach dieser Begebenheit verstrichen. Der Winter war gekommen, und diesmal mit unerbittlicher Strenge. Der Wald stand verödet, große Massen Schnee bedeckte die Erde und die Zweige der Tannen, die regungslos, im Frost erstarrt zu sein schienen. Am Strande des Meeres bildete sich eine harte Eiskruste und mit jedem Tage wuchs und dehnte sie sich weiter aus.

Im Hause des alten Claus war eine Veränderung vorgegangen; Alles sah reinlicher und wohlhabender aus. Eines Tages war der Freiherr seinem Versprechen gemäß vom Schloß herabgekommen und da ihn die Armuth des wackeren Veteranen fast entsetzte, so mußte, so weit in der vorgerückten Jahreszeit thunlich, schnell Vieles ausgebessert und das Hausgeräth vermehrt und ersetzt werden. Im Frühjahr sollte ein ganz neues Haus hier aufgebaut werden; inzwischen waren die papiernen Fensterscheiben wirklichen von Glas gewichen, der Boden war neu gedielt, die rohen Tische und Stühle durch recht schöne ersetzt. –

Aber der Friede wohnte in dem Hause nicht. – Zwar hatte eine vollständige Versöhnung zwischen Vater und Tochter stattgefunden, aber es entging dem Erstern nicht, daß Katharina immer stiller und stiller wurde, daß ihr etwas schwer auf dem Herzen lastete. Er traf sie oft, wie sie in einem Winkel des Zimmers saß und bitterlich weinte. Sie nahm auch ersichtlich ab; ihre Züge fielen ein, das Auge verlor an Glanz. Er sagte nichts, denn er wußte wohl, daß er ihr nicht helfen könnte, aber recht betrübt wurde er, und die Pfeife, seine liebste Erholung, wollte ihm gar nicht munden. Er dachte auch wohl hin und wieder an den Maler, und es war ihm, als könne es nicht so bleiben, als dürfe er aus Gram und Kummer sein Liebstes auf der Welt, wenn sie auch gar sehr gefehlt, nicht verlieren; als müßte Rudolf eines Tages in’s Zimmer treten und ihm zum Willkomm’ die Hand entgegenstrecken. – Aber Tag um Tag verstrich und der Maler kam nicht, auch kam nicht die leiseste Botschaft von ihm herüber. – In seiner Betrübniß ging dann wohl auch der alte Graukopf auf’s Schloß zu dem Freiherrn, der ihn jetzt immer freundlich empfing, ihm sogar ein Glas Wein vorsetzte, aber da hörte er auch nichts von Rudolf, obwohl der Sohn des Freiherrn aus der Residenz manchmal einen Brief an den Vater schickte, wie dieser es befohlen. –

So kam das Frühjahr heran. Die Singvögel kamen wieder, sie schmetterten und flogen lustig im Walde herum, der nun auch wieder sich in allen Zweigen schüttelte und neuen Schmuck begehrte; das Meer zerbrach knirschend das Eis, hob sich gewaltig und sang in tönenden Accorden sein brausendes Frühlingslied. Gras und Blumen sprangen vorwitzig aus der Erde; sie konnten die Zeit nicht erwarten und vergaßen ganz, daß noch mancher Sturm vernichtend lauere – der Himmel klärte sich auf, die schwarzen Wolken verschwanden mehr und mehr, die Sonne lachte warm und wärmer herab – überall Leben, heiteres, buntes Frühlingsleben.

Der alte Claus meinte nun, das wunderliche Ding, der Frühling, müsse nun auch das Leid seines Kindes lindern und ihm helfen, da er doch der ganzen Natur auf die Beine hälfe, aber davon war keine Spur an Katharina zu merken, sie wurde im Gegentheil von Tag zu Tag blässer und blässer. –

Eines Sonntags kam sie von der Kirche im Dorfe zurück; der Vater war eines Fußübels wegen daheim geblieben. Sie sah gar sittig und nachdenkend vor sich hin, aber kein Mensch hätte in ihr das blühendste Mädchen zehn Meilen in der Runde wieder erkannt, so sehr hatte sie sich in einem Winter verändert. –

„Vater“, sprach sie zu dem alten Claus, der bei ihrem Anblick kaum die Thränen unterdrücken konnte und betrübt die Pfeife bei Seite legte. „Vater, ich muß fort von hier, und das heute noch. Sieh, ich war in der Kirche; der Pfarrer hat gar schön gepredigt. Ich horchte ihm mäuschenstill. Da war denn auch recht eindringlich die Red’ davon, so man Einem Unrecht gethan, soll man es ihm abbitten; das sei christlich, und wer das versäume, habe im Tode eine bittere Stunde mehr zu fürchten. – Nun,

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