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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Vater, kann ich Dir wohl sagen, daß es mir schon lange, lange im Kopf herumgeht, daß ich gefehlt hab’ gegen den Rudolf. Es läßt mir Tag und Nacht keine Ruh’, ich möchte sterben vor Sehnen nach ihm. Er hat mich so treu geliebt, er wird mich nicht mehr schelten, wenn ich ihm jetzt sag’, wie ich gegen ihn gefehlt, und wenn er auch eine Andere im Herzen hat. Vater, bei dem Gedanken reißt mir das Herz – so werd’ ich doch zufrieden sein, wenn ich ihm Alles sag’, was mich so ängstlich quält. Ich lieb’ ihn unsäglich, ich kann’s gar nicht aussprechen wie sehr, und jetzt mehr denn damals, wo ich ihn so kränkte. Scheltet mich, Vater, ich weiß es wohl, ich bin eine schlechte Tochter, aber laßt mich ziehen auf acht Tag’; dann komm’ ich wieder – ich muß den Rudolf sehen!“

Es war das erste Mal, daß sie von Rudolf sprach, daß sie den Grund ihres tiefen Kummers enthüllte. Der alte Soldat weinte, aber er schämte sich dieser Thränen nicht, zog sein Kind an die Brust, legte die Hände auf ihr Haupt und sagte: „Ich will acht Tage warten, geh’ zu Rudolf. Es ist keine Schande, daß Du es thust, und vielleicht wird es noch zum Guten enden. So kann’s nicht länger dauern, Du stirbst mir noch vor Herzeleid unter den Händen.“

Katharina, sonst still und schweigsam, wußte sich vor Freude gar nicht zu fassen; ihr Gesicht glänzte, sie drückte den Vater wieder und wieder an ihre Brust und verschwendete so viele Zärtlichkeiten an den grauen Schnurrbart, daß es diesem fast zu arg wurde. Mit Gewalt schob er sie zurück und sagte: „Nun rasch zu den Vorbereitungen. Du mußt bis Stargard ein Wägelchen miethen, dann fährst Du mit der Eisenbahn; ein neues Ding, was ich auch noch nicht kenne, das Dich aber in zehn Minuten nach Paris und Berlin bringt. Komm, wir wollen einmal nachsehen, was in der Truhe ist.“ –

„In zehn Minuten?“ – Katharina glaubte dem Vater auf’s Wort, war es doch für ihre Sehnsucht schon noch viel zu lange. Schnell packte sie einige Kleidungsstücke zusammen, während der Vater in der Truhe nachsah, ein Beutelchen daraus hervorholte, ein Geschenk des alten Freiherrn für die Tage der Noth, und langsam und prüfend zehn blanke Thaler hinzählte. –

„So“, sprach er, „hier hast Du für acht Tage zehn Thaler, Du kannst nun wie eine Fürstin leben, aber mach’ mir keine Geschichten und bleib’ etwa einen Monat aus. Denke nicht wie die liederlichen Vögel: Wer Geld hat, hat Vergnügen, Ansehn und Freude. In acht Tagen bist Du zurück; lass’ Dich keine Stunde länger in Berlin verlocken, ich muß auch wissen, woran wir sind. Kaufe auch nicht zu viel ein, etwa Sammethüte und seidene Kleider. Leb’ anständig, aber was Du erübrigen kannst, bring’ zurück; das Leben ist lang und der alte Freiherr nicht immer guter Laune, auch mag ich nicht immer nur nehmen.“ –

Die Rede war umsonst gesprochen, so eindringlich es auch geschah! Katharina kramte hier und dort, bis sie alles Rechte zusammengefunden, dann stand sie mit hochrothem Gesichte vor dem Vater. Sie reichte ihm die Hand: „Nun, gehabt Euch wohl, Vater! In acht Tagen bin ich zurück. Wie’s Gott gefällt, mag’s ausfallen.“ –

Dem alten Soldaten wurde jetzt doch etwas bänglich um’s Herz, als er ihr einen derben Kuß aufgedrückt und Katharina nun mehr springend als gehend im Walde verschwand. –

Sie kam athemlos im Dorfe an, fand auch glücklicher Weise sogleich einen Fuhrmann, der sie nach Stargard brachte. Auf der Eisenbahn, die ihr nicht geringe Verwunderung erregte, mit der es aber doch nicht so schnell ging, als sie geglaubt hatte, ging es nun zuerst nach Stettin und von da nach Berlin. Je näher sie dieser Residenz kam, je ängstlicher wurde es ihr um’s Herz; alle Qualen der Besorgniß, der Liebe und Eifersucht, die sie zum ersten Male kennen lernte, überflutheten sie auf einmal. Aber sie hatte auch eine große Energie der Seele und sie sagte sich, als sie nach einer für ihre Ungeduld unendlich langen Fahrt endlich in Berlin angekommen war: „Ich habe nicht mehr zu verlangen, als seine Verzeihung; diese will ich mir holen. Mag auch sein Herz einer Andern angehören, ich werde ihm nicht zürnen, aber nie soll er auch erfahren, daß das meinige darüber gebrochen ist. Liebt er mich noch, dann geh’ ich von ihm, zu meinem Vater zurück, und sein gedenken werd’ ich alle Tag’ und aller Orten.“ –

Jetzt fiel Katharina zu ihrem Schrecken und zum ersten Male ein, daß sie gar nicht wisse, wohin sie sich wenden sollte und wo Rudolf wohne. Bis hierher war sie ganz gut gekommen, aber die Residenz war so groß und so weit, da standen die riesengroßen Häusermassen, die prächtigen Straßen, aber Alles war fremd und kalt; die Leute gingen vorüber, ohne sich im Geringsten um sie zu bekümmern. Es war ihr recht, recht bange um’s Herz. – Lange stand sie rathlos vor dem Portal des Stettiner Bahnhofes. Sie sah sich überall um, wen sie wohl fragen sollte; endlich wandte sie sich an einen Beamten, der nicht mehr ganz jung war und der etwas Gutmüthiges in seinen Zügen hatte. Er gab ihr auch bereitwillig Auskunft, verwies sie in einen kleinen Gasthof und rieth ihr, sich nach der Wohnung des Malers, nach der sie sich auch erkundigen wollte, bei der Polizeibehörde zu befragen.– Das war nun freilich ein Wort, das Katharina einen leisen Schauder verursachte, denn sie dachte sich alle Schrecknisse in dem Hause und die Polizeibeamten als wahre Ungeheuer; sprach man doch im Dorf nicht sonderlich erfreut über sie. –

Ganz so schlimm war es nun nicht, aber nicht sonderlich höflich waren die vertrockneten Amtsgesichter und recht neugierig in ihren Fragen. Alles wollten sie wissen und beinah’ wär’ es so weit gekommen, daß das allerunschuldigste Geschöpf auf der Welt arretirt worden wäre, da sie keinen Bogen Papier auszuweisen hatte, auf dem ihre Lebensbeschreibung stand; ein Herr legte sich endlich in’s Mittel und hieß sie gehen. –

Sie wußte nun, wo Rudolf, wohnte. Sie aß und trank nicht, bis sie das Haus aufgefunden. Es lag in keiner vornehmen Straße, zwei Treppen hoch war sein Zimmer, aber nicht bei seinen Aeltern, wie sie geglaubt hatte. Lange Zeit mußte sie bei den Wirthsleuten warten, bis er kam; sie hatten es ihr angeboten, und erschöpft, ermüdet, wie sie war, hatte sie es auch angenommen.

Endlich hörte sie ihn auf der Treppe; sie kannte seinen Fußtritt noch; er mußte es sein. Rasch eilte sie hinaus, aber wie sie vor der Thüre war, da klopfte ihr gar sehr das Herz, die Kniee wollten ihr einsinken, sie mußte sich anhalten, damit sie nicht fiel. – Die Dunkelheit in dem Winkel, wo sie stand, verbarg ihre Gestalt, aber ihn konnte sie recht gut erkennen. Er sah bleich und angegriffen aus. Er schloß sein Zimmer auf.

„Rudolf!“ rief sie und sank vor ihm nieder. – Rasch riß er die Thüre auf, das volle Licht fiel auf ihre Gestalt, er erkannte sie.

„Katharina, um Gotteswillen, Du bist es?“ – Er hob sie mit starken Armen empor und trug sie mehr, als daß sie ging, zu dem Sopha in sein Zimmer. – „Du? Wahrhaftig Du?“ – Er konnte es kaum fassen, es flog über sein bleiches Gesicht wie ein Strahl von Freude. –

„Bist Du mir denn noch gut, Rudolf?“ stammelte sie zuerst, nachdem sie sich etwas erholt, und dabei sah sie ihn mit ihren wunderbaren Augen so durchdringend an, so klar und bittend, daß es ihm gar seltsam um’s Herz wurde. Auch ihre Veränderung bemerkte er wohl, wie krank und elend sie aussah.

„Dir gut, Katharina? Nur gut? Ich liebe Dich mehr als Alles, was auf Erden ist, ich habe nicht aufgehört, Dich zu lieben. Ich liebe Dich unsäglich, unendlich; jede Minute hab’ ich an Dich gedacht, und tropfenweise verlor ich meinen Muth, meine Seele, da Du Beides bist und nicht bei mir warst!“ – Er kniete vor ihr nieder, ergriff ihre Hände und drückte sie wieder und wieder an sein Herz.

„Und hast Du mir verziehen, Rudolf?“ Sie bebte bei der Frage.

„Verziehen und vergeben, Katharina, aber wärst Du nicht gekommen, ich hätte Dich doch vielleicht nicht wieder gesehen. Du weißt, was geschehen und was Du gethan.“ –

„Ich weiß es, Rudolf, und Du bist im Recht. Ich bin da, um Dir abzubitten. Sieh’, ich war Rosi’s, des schwarzen Kreuzwirths Tochter, beste und einzige Freundin. Ach, sie war so elend und so voller Jammer auf ihrem Krankenbette! Wir redeten da mancherlei mitsammen, und ich lernte den Junker hassen und es lag mir im Sinn, daß ich wohl die arme Rosi rächen möchte. Sie fing selbst davon an, in einer Stunde an ihrem Todestage. Sie sagte da: „Katharina, Du bist schön – Rudolf, es sind ihre Worte – wenn Dich der Junker sieht, da wird er Dir nachgehen. Versprich mir, daß Du es leidest, wenn’s geschieht, und so lange, bis er recht voll Liebe ist, dann schick’ ihn fort wie einen räudigen Hund. Und mehr dergleichen sprach sie noch. – Sie war zum Sterben, die arme Rosi, sie bat so dringend; ich hab’s ihr zugeschworen, aber auch, daß ich zu Niemand davon sprechen wollt’, zu gar Niemand.

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