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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

des menschlichen Körpers vor sich gehen, und welche bei den hauswirthschaftlichen Verrichtungen fast jeden Augenblick in Betracht kommen, wie bei Erzeugung von Wärme und Licht, bei der Wahl, Zubereitung und Aufbewahrung der Nahrungsmittel, bei Beurtheilung der Luft, Temperatur, Wohnung und Kleidung u. s. w.

Eine naturgemäße leibliche und geistige Erziehung der Kinder richtig leiten zu können, setzt aber eine Kenntniß vom menschlichen Körper insofern voraus, als erst durch diese die Gesundheit gehörig bewahrt, die Krankheit verhütet und in ihrer Ausbreitung nicht selten gehemmt, das Organ für geistige Thätigkeit richtig erhalten und bearbeitet werden kann.

Die Frau als Gesellschafterin, als Lebensgefährtin des Mannes und als Mitglied eines Familienkreises muß von dem, was in der Welt vorgeht, von dem, was den Mann beschäftigt und interessirt, wenigstens so viel kennen, um ein Verständniß dafür, ein Mitinteresse daran zu haben. Die gebildete Frau muß auch über die Gegenstände, welche in der größern Gesellschaft besprochen zu werden pflegen, über die allgemeinern Interessen des Lebens, der Kultur, der Menschheit, wenigstens soweit unterrichtet sein, um wenn auch nicht allemal selbst mitzusprechen, doch mit ihrem Geiste und Gefühle an dem Gespräche sich betheiligen, nöthigenfalls auf dasselbe eingehen zu können. Sie muß daher wenigstens einige allgemeine Begriffe von dem Kulturleben der Menschheit haben d. h. von dem, was der menschliche Geist geschaffen und erstrebt hat, was er täglich noch schafft und erstrebt, von den Fortschritten der Menschheit in Kunst, Wissenschaft, Sitte, Erfindungen und Entdeckungen u. s. w.

Bei der Erwerbung dieser Kenntnisse von der Natur und ihren Kräften, von der menschlichen Kultur und ihren Ergebnissen, kommt es durchaus nicht darauf an, eine große Masse derartiger Kenntnisse einzusammeln und das Gedächtniß damit zu überfüllen; es bedarf nur weniger, aber recht ausgewählter, recht verstandener und recht angewandter Begriffe von dem, was zu wissen und zu können nöthig ist. Eine gebildete Frau soll darum noch keine gelehrte sein, – (die sogenannten gelehrten Frauen sind sehr oft nicht wirklich gebildete) – sie soll nicht mit einer Masse, vielleicht unverdauten oder oberflächlich angelernten Wissens kokettiren, sondern sie soll das was sie weiß ganz wissen und im Leben anzuwenden verstehen, dadurch aber die Fähigkeit erlangen, durch eigenes Beobachten und Nachdenken sich selbst weiter zu bilden. Es ist ein wesentlicher Mangel in der Bildung so vieler Mädchen und Frauen unserer Zeit, daß sie, vielleicht im Besitze von Kenntnissen mancherlei Art, auch gewisser äußerer Formen und konventioneller Redensarten, doch des selbstthätigen innern Geistes- und Gemüthslebens entbehren, welches erst die wahre Bildung ausmacht und welches das weibliche Geschlecht in allen möglichen Verhältnissen liebenswürdig macht.

Darin besteht die allein wahre und allein vernünftige Emancipation der Frauen, daß sie eine solche innere Bildung statt der nur zu häufig blos äußerlichen, eine wahre Seelen- und Herzensbildung statt der bloßen Dressur des Gedächtnisses und Verstandes erstreben, daß sie sich einen offenen Sinn für die sie umgebende Natur und deren Schönheiten, sowie auch deren ernste Zwecke, ein Verständniß und ein aus diesem hervorgehendes tiefes und warmes Interesse für die Bestrebungen der Menschheit, für die Fortschritte der Kultur, kurz für das Leben und seine mannigfach wechselnden Erscheinungen, für seinen Ernst wie für seine heitern Seiten, aneignen. – Durch eine solche Bildung wird die Frau eine tüchtige Hausfrau, eine sorgsame und für ihre Sorgfalt von den schönsten Erfolgen belohnte Erzieherin, eine liebenswürdige Gesellschafterin, eine beglückende und beglückte Lebensgefährtin des Mannes, kurz das was die Frau sein soll und bei ernstem Streben so leicht werden kann.

(B.) 




Amerikanische Briefe.
II. Neu-Schottland.
Ankunft in Neuschottland. – Halifax. – Seine herrliche Lage. – Indianerwildniß und Vatermörder. – Ein Negerdorf. – Wett-Pflügen. – Ein Ball in Halifax und die klaren, ruhig leuchtenden Augen der Engländerinnen. – Fisch-Depôt.

Nach der Reise, die ich beschrieben, hatte ich in Halifax zunächst keinen andern Wunsch, als tüchtig und fest auf festem Boden auszuschlafen. Die spärlich erleuchteten Straßen der neuen Stadt in der neuen Welt, durch welche ich vom Schiffe nach einem Gasthofe fuhr, änderten nichts in diesem Vorsatze. Ich wollte mir nun einmal erst klare, vorurtheilsfreie Augen verschaffen. Als ich am Morgen erwachte, in der eigenthümlichen Nachwirkung der unregelmäßig wiegenden Bewegung des Schiffes auch diese Nacht noch tüchtig geschaukelt, ging ich auch nicht einmal eher an’s Fenster, als bis ich mich auf einer Karte gut umgesehen hatte, um genau zu wissen, wo ich eigentlich war: 900 geographische Meilen westlich von England, 1000 Meilen von dem Orte, wo meine Wiege stand, im Norden von Nordamerika, in Canada, auf dem südlichen Aste des Golfs von Lawrence, Neufundland gegenüber, also in Neuschottland und zwar in der Stadt Halifax. Nun glaubt’ ich mit gutem Gewissen zum Fenster hinaussehen zu können. Noch nie hatte ich so etwas Reizendes, noch nie einen solchen Zauber gesehen. Welch eine Vereinigung der reinlichsten, niedlichsten Kultur mit Natur-Erhabenheit. Alles Menschenwerk schmuck, frisch, neu, weiß, zierlich und sich ausdehnend durch eine Atmosphäre, deren spiegelblanke Klarheit mich wie der Odem einer höhern, überirdischen Welt anwehte, nachdem ich in London ganz vergessen hatte, was Luft und Himmel und Farbe waren. Halifax besteht größtentheils aus einzeln stehenden Häusern, die aber zusammen regelrechte, weite, in rechten Winkeln sich schneidende Straßen bilden. Wie erheiternd blicken sie in ihrer Weißheit aus den vielen grünen Bäumen der Straßen oder Gärten! Ihr allmäliger Verlauf nach einem großen See hinüber, aus dessen großem blauen Auge eine Menge grüner Inseln in den Himmel und den klaren Sonnenschein hinaufjubeln, dazu jenseits des See’s ein malerischer Landzug, besternt mit weißen Landhäusern, die sich nach dem Städtchen Dortmouth, welches sich jenseits im See bespiegelt, verdichten; dazwischen die lustigen weißen Schwingen von Booten und kleinen Schiffen – dies Alles zusammen, welch ein reines, reiches Kultur- und Naturbild! Halifax ist mit seinen 50,000 Einwohnern gewiß eine der am Glücklichsten gelegenen Städte der Welt und muß wegen der Vortheile, die ihm seine Lage bietet, noch eine der wichtigsten im nordamerikanischen Verkehre mit England werden, da sie an einem der großartigsten Häfen dem alten Mutterlande am Nächsten liegt und Neuschottland noch einen unerschöpflichen Reichthum von Mineralien und Früchten bieten kann. Freilich ist hier Alles von Holz, Häuser, Kirchen, Kirchthürme, Dächer, „Steinpflaster“, Säulen, Wege und Chausseen, selbst vielleicht viele Menschen, wenigstens die meisten Derer, welche in dieser Hauptstadt der Provinzialregierung so kleinlich und giftig zu politisiren scheinen, wie man es nur je auf einem „Holzwege“ verlangen kann; aber das Alles kümmert mich nicht. Sieht doch Alles rein, klar, anmuthig aus. Der Hafen läuft wohl 11/2 deutsche Meilen sehr breit unmittelbar aus dem Weltmeere herauf, verengert sich unweit der Stadt plötzlich und dehnt sich dann in einen ringsum geschützten ungeheuern Wasserspiegel von 11/3 deutsche Meilen Länge und einer halben bis zwei Drittel Breite. Dieser innere Hafen-See wird auf das Prächtigste von Höhenzügen, malerischen Klippen und grünem, oft weit überhangendem saftig grünen Baum- und Waldwerk eingerahmt. An der Halifax-Seite tritt noch ein besonderer Arm des See’s zwischen prächtigen Hügeln, Wäldern und Felsen tief in’s Land hinein und bildet so noch den geräumigsten Hafen im Hafen für den ausgedehntesten Handel, der sich bis jetzt nur deshalb noch nicht entwickeln konnte, weil es dem Lande an guten Straßen und Eisenbahnen, den Einwohnern aber an jener amerikanischen Kühnheit und frischen Spekulation fehlt, welche keine Kosten und Hindernisse scheut. Die Neuschottländer haben auf ihrer Halbinsel viel altschottische Bedächtigkeit, Kleinstädterei und Engherzigkeit behalten und in ihren abgeschlossenen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_306.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)