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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

und Aurikeln strahlte. Bald wollte er, den Einflüsterungen seines Schmerzes sich überlassend, heimlich entfliehen, um wenigstens noch alle Zweifel seiner Liebe mit sich nehmen zu können; bald wollte er Rache üben an dem Zerstörer seines Glückes, denn die Eifersucht sagte ihm, daß er betrogen sei. Das Mißtrauen blieb zuletzt das vorherrschende Gefühl, und er stürmte durch das ungeheure Feld, durch das uferlose Meer der Vermuthungen, ohne irgend einen Anhaltepunkt zu finden. Da sah er Julius, die Hände auf den Rücken gelegt, langsam zwischen Blumenbeeten hingehend. Das Erblicken des Jugendfreundes rüttelte ihn zur Wirklichkeit empor. Er konnte es nicht glauben, daß Julius, und noch weniger Louise, die Mutter seines einzigen Kindes, eines so schweren Verbrechens fähig sei. Die Geradheit und Biederkeit seines Charakters forderte ihn auf, gründlich aber vorsichtig zu sondiren, ehe er ernste Schritte in der Sache that. Mit gewaltsamer Fassung betrat er den Garten. Ehe er Julius erreichte, war sein Gesicht ruhig geworden, obgleich in seiner Brust ein unbeschreibliches Gefühl tobte. Mit dem Entschlusse, Niemandem Unrecht zu thun, aber auch selbst kein Unrecht zu erleiden, näherte er sich dem Advokaten. In einer Biegung des Weges trat er ihm entgegen. Julius fuhr wie aus tiefem Nachsinnen empor.

„Joseph!“ rief er, und es war ersichtlich, daß er seine Überraschung über die um diese Zeit seltene Ankunft des Freundes kaum zu verbergen suchte.

„Ich bin es!“ antwortete Joseph, dessen Stimme leise erbebte, obgleich er sich Mühe gab, gefaßt und ruhig zu erscheinen.

„Hast Du es über Dich gewinnen können, der Börse zeitiger als sonst den Rücken zuzuwenden?“ fragte der Advokat, indem er dem Freunde nach alter Gewohnheit die Hand reichte.

Der Kaufmann sah dem Advokaten scharf in das Gesicht.

„Glaubst Du,“ fragte er, „daß die Börse allein mein Glück in sich schließt?“

Julius lächelte mitleidig, indem er sagte: „Ich kenne Deinen Geschäftseifer, Joseph. Wenn ich in diesem Augenblicke daran dachte, wo die Kaufmannswelt Hamburgs dem Merkur opfert, so wollte ich keinen Vorwurf aussprechen, obgleich ich als Freund nur wünschen kann, daß Du denen, die Dich lieben und verehren, einige Theile Deiner Zeit mehr widmest.“

Bei diesen Worten ergriff Julius den Arm Joseph’s, und zog ihn mit sich fort.

„Mein Besuch wird nur ein kurzer sein,“ sagte Raimund, indem er den Salon des anmuthigen Landhauses betrat. „Die Börsenzeit,“ fügte er mit Beziehung hinzu, „ist bald vorüber, und meine Frau liebt es, wenn ich mich pünktlich zum Mittagsessen einstelle. Du weißt, ich bin ein guter, folgsamer Ehemann – –“

„Den Deine Louise zu schätzen weiß!“

Joseph unterdrückte eine bittere Antwort, die ihm auf den Lippen schwebte. Der Stolz untersagte ihm, auch nur einen Anflug von Eifersucht zu zeigen, obgleich ihn die wie es schien ohne Absicht hingeworfenen Worte des Advokaten verletzten.

Julius ließ Madeira kommen. Joseph trank, um heiter zu werden.

„Du hattest Damenbesuch,“ sagte er lächelnd, als er das Glas zurücksetzte.

Dem aufmerksamen Raimund konnte es nicht entgehen, daß sein Freund ein wenig verlegen ward.

„Ganz recht!“ rief der Advokat. „Eine Clientin erholte sich bei mir Raths. Die Sache war dringend, und deshalb suchte sie mich in meinem Landhause auf. Ist sie Dir begegnet?“

„In einer Verfassung, die mich ahnen läßt, daß sie mit wenig Hoffnung von Dir geschieden ist. Sie eilte an mir vorüber wie ein Kaufmann, der fürchtet die Börse zu versäumen.“

Julius leerte sein Glas mit einem Zuge.

„Wahrhaftig,“ rief er dann, „die Dame befindet sich in einem kritischen Falle. Es that mir um so mehr leid, ihr nach meinem Gutachten alle Hoffnung abzuschneiden, da mir ihre Person ein großes Interesse abgewonnen hat.“

„So ist sie schön?“

„Schön und jung, und dabei unglücklich.“

„Vortrefflich! Eine unglückliche Schöne hat viel für sich.“

„Wir Advokaten sind oft schlimm daran,“ sagte Julius, der seine völlige Unbefangenheit wieder erlangt hatte. „Das starre Recht zwingt uns zu verurtheilen, wo das Herz gern freisprechen und helfen möchte. So erging mir es in vorliegendem Falle.“

„Wahrhaftig?“

„Kein Gerichtshof der Welt wird ihr das Recht zuerkennen, nach dem sie strebt.“

„Das ist sonderbar!“

„Gewiß.“

„Recht bleibt Recht, auch unter den sonderbarsten Formen, und ich sollte glauben, daß die Gerichtshöfe es erkennen müßten.“

„Die Gerichtshöfe!“ rief Julius. „Man ruft sie oft in Sachen zu Schiedsrichtern an, die durchaus nicht vor ihr Forum gehören. Denke Dir, jene Dame ist verheirathet –“

„Verheirathet?“

„Mit einem Manne, der sie zu lieben und in ihrem Besitze glücklich zu leben glaubte. In dieser falschen Voraussetzung trat er mit ihr zum Altare. Der vertraute Umgang in der Ehe belehrte ihn, daß er sich arg getäuscht hatte. Was er für Liebe gehalten, war nur ein tiefes, inniges Mitleid gewesen, denn in jener Zeit, als er sie kennen lernte, lebte sie in einer drückenden Lage, die sie nicht verschuldet hatte. Ehe ein Vierteljahr verflossen, erkannte der Mann, wie wenig die Frau für ihn passe, und trotz seiner Anstrengungen, sich in sein selbstgeschaffenes Loos zu fügen, wollte es ihm nicht gelingen, ein erträgliches Verhältniß herbeizuführen. Der Zufall vollendete seine Pein. Der arme Mann lernte nämlich ein Mädchen kennen, das die Natur mit allen Eigenschaften beschenkt, die sein völliges Glück ausmachten. Es herrschte eine Uebereinstimmung in den Gesinnungen und Gefühlen, die, wenn sie in seiner Ehe stattgefunden, ihn zum glücklichsten Menschen gemacht haben würde. Jetzt erst lernte er die wahre Liebe kennen, sie bemächtigte sich seines Herzens, obgleich er mit einem wahren Heldenmuthe dagegen kämpfte. Seine Frau war gut und schön, sie erfüllte ihre Pflichten mit großer Hingebung, aber sie vermochte sein Herz nicht auszufüllen, das für sie nur Mitleid empfand. Er kam selbst zu der Erkenntniß, daß seine Frau nur mit Dankbarkeit, und nicht mit wahrer Liebe an ihm hing. Was sollte er nun beginnen? Der Fall war kritisch. Hier fesselte ihn die Ehe, und dorthin zog ihn die Liebe mit magischer Gewalt. Die Gattin wollte er nicht kränken, und die Geliebte konnte er nicht lassen. Da erfährt endlich die Frau die Verirrung ihres Mannes, wie sie seine Neigung nannte. Eine Zeit lang verschweigt sie ihm diese Entdeckung, und sucht ihn durch mancherlei Mittel zu fesseln; später spielt sie die Gekränkte und Großmüthige, und endlich giebt sie ihren Verdruß offen zu erkennen. Der Mann ist nachsichtig, er schildert ihr seinen Zustand, bittet sie, sich selbst zu prüfen, und schlägt vor, die für beide Theile unglückliche Ehe friedlich zu lösen. Dieser Vorschlag erweckt in der Frau ein falsches Ehrgefühl, sie glaubt sich in ihrem Rechte, wenn sie die Scheidung verweigert, und ist fest entschlossen, dem Manne die Fesseln der Ehe nicht abzunehmen. Jetzt fordert der Mann eine Entscheidung des bürgerlichen Gerichts, und die Trennung von einer Frau, mit der er nie glücklich sein könne, da sich ihre Herzen nie verstanden haben.“

„Wird das Gericht diesen Scheidungsgrund gelten lassen?“ fragte Joseph.

„Nein; aber dessen ungeachtet habe ich der Frau von längerem Widerstande abgerathen. Was hat sie gewonnen, wenn der Mann gezwungen ist, ferner mit ihr zu leben? Hier muß die Ehre, und nicht das Gericht entscheiden!“ sagte Julius, indem er ein Glas verschlang.

„Das galt mir!“ dachte Joseph mit einem unbeschreiblichen Gefühle. „Er schildert das Verhältniß eines Mannes, während er das meiner Frau meint. Ich bin der, den sie aus Mitleid geheirathet hat, und aus Dankbarkeit soll ich mich nun freiwillig von ihr trennen, damit ich ihrem Glücke nicht hinderlich bin. Der Fingerzeig ist deutlich genug, und es unterliegt keinem Zweifel, daß die Clientin meine Frau gewesen ist.“

(Fortsetzung folgt.)
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