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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Hände in den seinigen hält, und ihr in der herzlichsten Weise Glück, wünscht. Zugleich blitzen ihm die Edelsteine von dem Geschmeide am Halse des Mädchens, die Augen blendend, entgegen. Er bleibt, angewurzelt wie eine Bildsäule stehen und starrt, ohne zu grüßen, ohne ein Wort zu sprechen, den Schmuck an. Adele, die Hände des Grafen verlassend, nähert sich ihm, heißt ihn auf’s Freundlichste willkommen, reicht ihm die Hand, bittet ihn lächelnd, die Thüre zu verlassen; er aber hört nicht und bleibt unbeweglich, den Blick unverwandt auf den Schmuck gerichtet. Endlich besinnt er sich und stürzt fort, als wäre er von Furien verfolgt. Im Herzen Marter, auf den Lippen Fluch.

Auf der Straße angekommen, hält er an, um seine Gedanken zu sammeln, denn er weiß nicht, was er beginnen, wohin er die Schritte lenken soll; da klopft ihn Jemand auf die Schulter. Er wendet sich und Arnold steht vor ihm. Erwünschte Begegnung! Rath und Hülfe verlangend, schüttet der in seinem tiefsten Innern Verwundete das überfüllte Herz in die Seele des Freundes aus. Arnold macht sich alsdald mit warmer Theilnahme zum geistigen Krankenwärter des Leidenden; er richtet dessen Muth auf, tröstet ihn und sucht allerlei Balsam für die brennende Wunde. Wem thut eine sorgsame Pflege nicht wohl! Er kam fast gar nicht von der Seite des Freundes und suchte auf jede mögliche Weise ihn zu zerstreuen, ein Geschäft, bei welchem ihm Delphine sehr behülflich ist. Man las, man musizirte, man machte Spaziergänge. Was sich ausfindig machen ließ, das wurde gegen die Schwermuth Alfred’s in Anwendung gebracht. Wenn man sie auch nicht so schnell zu heilen vermochte, zu ihrer Milderung trugen die Geschwister jedenfalls sehr viel bei. Nach einigen Tagen schlägt Arnold dem Freund als das beste Mittel der Genesung die Ehe vor.

„Du nimmst ein gutes frommes Weib“, sagt er zu ihm, „das Dir treu ergeben, das Dich durch seine Hingebung rührt, das Dich mit ihren Sorgen umgiebt, das an Deinem Glück und Wohlergehen still geschäftig arbeitet, das Deine Dankbarkeit erwirbt, Dein Herz beschäftigt, und am Ende Deine Liebe gewinnt. Glaube mir, der Bemühung eines so edlen aufopfernden Wesens widersteht Dein Schmerz nicht lange. An so einem vollen, treuen Herzen wirst Du genesen und vergessen.“

Alfred griff mit Hast nach dem Gedanken, den der Freund in ihm angeregt, und dessen Verwirklichung nach mehreren Richtungen hin Befriedigung versprach. Er glaubte Adelen nicht besser als durch diesen Schritt zu beweisen, wie rasch und ganz er sich, von ihr losgerissen, und er fand in ihm die einzig mögliche Genugthuung, eine Art von Rache. Dieser Bruch mit der Möglichkeit einer Wiedervereinigung entsprach vollkommen seinem Sinn, seiner Verfassung.

„Wo aber finden ein frommes Herz, ein Herz, in welchem keine giftige Schlange nistet?“ frug er mit hämischer Bitterkeit.

„Delphine!“ warf Arnold hin.

Der Klang dieses Namens verlieh dem Vorschlag des Freundes ein neues Gewicht. Eine Verbindung mit diesem Mädchen, das er kannte, das er ehrte, versprach mehr als die Befriedigung seiner verletzten Eitelkeit, die er für den Augenblick suchte; an diesen Namen mochte der im „Innersten Verwundete“ die Hoffnung auf eine glückliche heitere Zukunft knüpfen. An seiner Einwilligung konnte es da nicht fehlen; eine Bedenklichkeit anderer Natur jedoch drang sich ihm auf. „Wie“, lautete sein Einwurf, „wird das liebe Mädchen die undankbare Rolle des Arztes übernehmen? Wird sie Alles bieten wollen, um nichts zu empfangen? Wird sie den perlenden Labetrank ihrer Jugend zur Arzenei eines kranken Herzens mißbrauchen lassen? Dürfen wir ein solches Opfer von ihr verlangen?“

„Sie liebt Dich, wie edle Seelen lieben. Das Glück, welches sie Dir bereitet, schlägt in ihr eigen Herz zurück. Sie wird aufjubeln bei dem Gedanken Dir zu gehören. Du magst sie selber fragen.“ So lautete die Antwort Arnolds.

Delphine, welche von all’ dem, was seit ihrem indirekten Geständniß vorgegangen, nicht das Geringste erfahren, jubelte in der That auf, wie es Arnold vorhersagte, als sich ihr Alfred mit seinem Antrag näherte. Er erzählte ihr seine Geschichte nur als er sie frug, ob sie es denn wagen wollte, mit ihm, dem Unvollkommenen, dem Zerrütteten, durch das Leben zu gehen, und ihr feierlich versprach, daß er sich nach Kräften herstellen und bemüht sein wolle, ihr das Leben zu schmücken und zu versüßen, da weinte sie Thränen der Freude, und sprach das einzige Wort: „Ich gehöre ja Ihnen.“ Und Alfred empfand es tief, daß ihm aus dieser Verbindung viel des Heilsamen entspringen würde. Er segnete den Freund und segnete die Freundin, welche ihm, wie er sagte, das Leben gerettet.

Wenige Tage nach der gegebenen Einwilligung Delphine’s ward ohne alles Geräusch die Hochzeit gefeiert und gleich nach der Feierlichkeit reiste das junge Ehepaar in den Süden von Frankreich, um daselbst den Rest des Frühlings und den Sommer zuzubringen.

Am 7. April schrieb Delphine Folgendes an ihren Bruder zu Paris:

„Nimes 7. April 1842. 
„Mein lieber Arnold!

„Unsere Wohnung ist wunderschön, am Abhang eines Hügels gelegen; der Frühling, welcher hier bereits in vollster Entwickelung begriffen ist, lacht uns zu den Fenstern herein. Wir haben das Rauschen des Waldes, das Singen der Vögel, den Duft der Blumen von erster Hand. Zu dem Häuschen, das wir gemiethet, gehört auch ein kleiner Garten mit einer dichten schattigen Laube, wo wir bei schönem Wetter unser Frühstück einnehmen. Trotz der schwermüthigen Stimmung in meinem jungen Haushalt, bin ich glücklich. Es ist Alles so friedlich, so feierlich um mich her. Alfred sucht und findet Trost bei mir. Er liebt mich nicht, doch er will mich lieben. Könnte man einem Herzen befehlen, das Seinige gehörte mir ganz. Sein guter Wille dünkt mir schon viel, besonders da ich weiß, wie er mir freundschaftlich zugethan ist. Unsere Ehe gehört gewiß nicht zu den alltäglichen. Sie enthält mehr Spannung und Thätigkeit, als jede, die ich bisher gesehen. Alfred giebt meiner Liebe so viel zu schaffen, zu beobachten, entgegenzukommen, zu beschwichtigen, zu opfern, kurz zu beweisen, wie viel sie werth ist, wie viel Beisatz von Selbstverläugnung sie enthält. Es giebt Augenblicke, wo ich eifersüchtig auf diese Unbekannte bin, die auf Alfred eine solche Wirkung hervorgebracht. Doch geht das bald vorüber und ich denke lediglich der Aufgabe, meinem Manne einen Ersatz für den Verlust zu bieten. Nach diesem Ziel arbeite ich hin. Ich vergesse mich und er ist mir Alles. Was meinen Alfred betrifft, fühlt er das Kleinste, was ich aus Rücksicht für ihn thue oder unterlasse, so klar und lebhaft, und ist so erkenntlich, daß ich stets dafür belohnt bin. Ich suche seine geheimsten Wünsche zu erlauschen und zu erfüllen und das wirkt wohlthuend auf sein Gemüth, wie auf seinen Geist. Ich bin voll Muth und Hoffnung.“

Ein Schreiben Delphine’s an ihren Bruder vom 19. April enthielt folgende Zeilen.

„Ich mache täglich mehr Fortschritte in seinem Herzen. Gestern sagte er mir, daß ich ihm wie Luft und Licht zum Dasein unentbehrlich sei, daß es sein tobendes Blut besänftigt, wenn ich mit meiner sanften Stimme zu ihm spreche, und daß es sein erhitztes Gehirn abkühlt, wenn ich mit meiner weichen Hand die Wolken von seiner Stirn wische. In den ersten Tagen unseres Aufenthaltes hier vertiefte er sich oft für ganze Stunden allein in den angrenzenden Wald. Jetzt will er mich immer um sich haben; ich sei ihm lieber als die Einsamkeit, sagt er; denn ich sei nicht zudringlicher, nicht unbequemer als diese und habe vor ihr Theilnahme und Mitgefühl voraus. Ich weine oft, wenn ich denke, was der arme Mensch gelitten haben muß, ja noch leidet, und bin dann stolz auf mich selbst, wenn ich mir sagen kann, daß es meiner Sorgfalt gelungen, seinem Schmerz den Stachel abzubrechen. Welches Weib kann sich noch eines solchen Sieges, eines solchen Triumphes rühmen!“

In einem Schreiben der Schwester an den Bruder vom 27. April kam diese Stelle vor:

„Alfred ist gegen mich mindestens von eben so viel Zuvorkommenheit, wie ich gegen ihn. Was mir nur irgend angenehm sein kann, wird durch ihn um jeden Preis herbeigeschafft. Er studirt meine Wünsche und Liebhabereien, wie ich die Seinigen. Bald finde ich Lilien gepflanzt in unserem Garten, weil er weiß, daß die Lilie meine Lieblingsblume, bald kommen Arbeiter, ohne daß ich sie erwartet und richten ein Zelt vor dem Hause auf, von dem ich im Vorbeigehen gesprochen; bald finde ich in meinem Zimmer ein Meubel, das zur Zierde oder Bequemlichkeit dient. Und da ich bemerke, daß es ihm eine gewisse Genugthuung gewährt, mir Freude zu machen, gebe ich ihm dazu häufig Gelegenheit. Ich äußere den Wunsch bald nach einem Buch, bald nach einem Bilde,

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