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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

bemerkte sie nicht, daß sich ihr Jemand näherte, und wurde ihren Träumereien erst durch den Gruß einer alten farbigen Frau, Namens Euphemin, entrissen. Die Alte war dafür bekannt, sich mit geheimen Künsten, und namentlich mit Erforschung der Zukunft zu beschäftigen, und die Schönheit des träumerischen Kindes erregte ihre besondere Aufmerksamkeit.

Nachdem sie wechselsweise die weiße Stirn, die regelmäßig schönen Züge des jungen Mädchens und die vor dem Gestirne des Tagen vom Firmamente entschwindenden Sterne betrachtet hatte, redete sie das liebliche Kind an: „Du blickst nach dem Aufgange“, sagte sie, „und Du hast Recht.“ Dann ergriff sie die zarte Hand der Kleinen, forschte aufmerksam in den verschlungenen Linien derselben, und fuhr fort: „Du hast Recht, denn dort wird sich Dein Geschick erfüllen, glänzend wie die Strahlen der Sonne, die Dein Haupt wie mit einer funkelnden Krone umgeben. Und dennoch“, – fügte die Prophetin hinzu, „wirst Du, Deines seltenen Glückes ungeachtet, Sklavin sein. – Sklavin und Herrscherin zugleich!“

Nach diesen Worten richtete die Alte noch einen Blick auf den Himmel, und verließ die Kleine, die sie gehört hatte, ohne sie zu verstehen. So erzählt die Fama.

Schon am nächsten Tage schiffte sich das junge Mädchen, Fräulein Aimée Dubuc de Rivery, einer der ältesten und angesehendsten Familien Martiniques entsprossen, nach Frankreich ein, um daselbst in dem Kloster der Heimsuchung zu Nantes ihre Erziehung zu vollenden. Sie war im Jahre 1766 geboren und damals zwölf Jahre alt.

Mit achtzehn Jahren, und nachdem sie wahrscheinlich die Prophezeihung der Alten gänzlich vergessen hatte, verließ sie das Kloster der Heimsuchung, und schiffte sich ein, um zu ihren Aeltern zurückzukehren.

Das Schiff, auf dem sich Aimée Dubuc de Rivery befand, litt durch einen gewaltigen Sturm so sehr, daß es dem Sinken nahe war, als es einem spanischen Schiffe begegnete, welches nach Majorka segelte, und Equipage wie Passagiere aufnahm. Seinem Bestimmungsorte bereits nahe, wurde der Spanier von einem algierischen Seeräuber angegriffen und genommen.

Aimée de Riverey wurde in Begleitung einer alten Dienerin nach Algier gebracht. Der Dey sah sie, wurde von ihrer Schönheit ergriffen, und um sich bei seinem Herrscher, dem Sultan, beliebt zu machen, schickte er ihm das junge Mädchen zum Geschenk. Selim III., der damals über die hohe Pforte herrschte, war nicht fühllos gegen die Reize der Gefangenen. Die junge Creolin, welche sich wahrscheinlich nur mit Widerstreben in ihr Schicksal ergab, wurde Favorit. Sultanin, das heißt, wie ihr die Alte auf Martinique verkündet hatte, zugleich Herrscherin, aber als Sklavin den harten Gesetzen des Harems unterworfen.

Als im Jahre 1808 ihr Sohn, 1785 geboren, unter dem Namen Mahmud II., die Zügel der Regierung ergriff, wurde sie Sultanin-Valide. Das Blut, welches durch seine Mutter in den Adern Mahmud’s II. floß, mußte seinen Einfluß auf ihn üben, so daß er die Reformen vornahm, die seine Regierung berühmt machten. So wurde das unbedeutende junge Mädchen der Insel Martinique von großer Wichtigkeit für das Geschick des türkischen Reiches, und wer kann es wissen, ob nicht ohne Aimée Dubuc de Riverey die ganze orientalische Angelegenheit eine andere Gestalt gewonnen hätte.


Literarisches. Hanne. Zeitspiegelungen, heißt ein in Hannover erschienenes Schriftchen, das wir unsern Lesern als eine gar komische Lektüre dringend empfehlen, obwohl das Buch sehr ernst gemeint ist. Der Verfasser, ein Pastor in Betheln bei Hildesheim, führt darin einen gewaltigen Kampf gegen den Zeitgeist, gegen Kindergarten-Enthusiasmus, gegen den Materialismus und Rationalismus der Zeit, gegen Socialismus, Hegel etc. etc. Der Zorn dieses gestrengen Herrn hat etwas ungemein Komisches.


Der größte Kentucky-Jäger. Ein Deutscher, Eckmann, der 1830 Deutschland verließ, kam schon ein Jahr darauf nach dem wilden Theile Amerika’s, dem wegen der Grobheit und Stärke seiner Bewohner sprüchwörtlich gewordenen Kentucky. Hier lebte er seit 20 Jahren ununterbrochen als Jäger, oft Monate lang ohne ein anderes Nachtlager, als die Erde, zugedeckt mit der sterngestickten Himmelsdecke. Während der Zeit hat er 38 Bären, 984 Wölfe, 5847 wilde Tauben, 990 Füchse, 961 wilde Gänse, 2040 wilde Fasanen, 44 wilde Schweine, 80 wilde Katzen, 14 Iltisse, 200 wilde Kaninchen, außerdem ungezählte Eichhörnchen, Wachteln und Geflügel aller Art erlegt und damit ein baares Vermögen von 12,000 Dollars verdient.


Aristokratische Neigungen der pariser Lumpensammler. Die pariser Lumpensammler bilden eine eigene und ziemlich zahlreiche Zunft, welche durch ihre Beschäftigung zwar auf der niedrigsten Stufe der Gesellschaft steht, gleichwohl aber höchst merkwürdig auf Etikette und Beobachtung der Rangunterschiede unter sich hält. Die ganze ehrenwerthe Brüderschaft pflegt in einem besondern, nur von ihr allein besuchten Lokale zu verkehren. Dies liegt in der Nähe der Barrière von Fontainebleau und trägt den Namen: „Zu dem dreifarbigen Topfe“ (au pot tricolore). Findet man aber auch in diesem Wirthshause keine andern Gäste, als Lumpensammler, so glaube man deshalb nicht, daß die verschiedenen Klassen derselben ihrem Range etwas vergäben, und sich demokratisch untereinander mischten, vielmehr halten sie so strenge auf die Rangesunterschiede, daß jede Klasse ihr besonderes Lokal hat, und ein Individuum einer niederen den Saal einer höheren kaum zu betreten wagt. Wie überall im Leben, so giebt auch hier der Besitz Anspruch auf einen höhern Rang in der Gesellschaft. Pairs-Kammer steht daher mit Kreide über der Thür des Saales geschrieben, zu welcher nur den Vornehmen der Zutritt gestattet ist, die sich im Besitze einen ganzen Korbes befinden, und den Unrath und den Kehricht mit einem Stocke durchsuchen, der in einen kupfernen Haken ausläuft. Dieser Saal sieht ganz leidlich aus, und ist sogar ziemlich anständig eingerichtet. Viel weniger läßt sich dies von der Deputirten-Kammer sagen, welche von solchen Lumpensammlern besucht wird, die zwar auch Körbe und Hakenstöcke besitzen, bei denen sich aber dieses Handwerkszeug nicht eben in dem zeigenswerthesten Zustande befindet. Dieses Gemach ist viel ärmlicher und unreinlicher, als die Pairs-Kammer, aber noch immer glänzend im Vergleich zu dem Proletarier-Verein, der untersten Klasse der Lumpensammler, gebildet von denen, die weder Korb noch Hakenstock besitzen, sondern mit einem kurzen gekrümmten Eisen den Unrath durchsuchen und Alles, was sie finden, in einen schmutzigen Sack stecken.

Unsere Lumpensammler gehören beinahe sämmtlich dieser letzteren Klasse an, und nur Wenige haben es bis zur Deputirtenklasse gebracht.


Im Lager von Varna oder Dever herrscht eine solche Langeweile, wie ein englischer Correspondent meldet, daß der Tag 52 und die Nacht 63 Stunden hat und zwei Romane, die sich mit in’s Lager gefunden haben, blätterweise von Hand zu Hand circuliren, so daß man aus der Noth eine Leihbibliothekstugend machend, fünf Bände zu einer ganzen Bibliothek gemacht hat, aus der die ganze Armee versorgt wird. Man hat in England jetzt Leihbibliotheks-Proviant bestellt, damit die Protektoren der Türkei, die nichts von den Russen befürchten, nicht von ihrer eigenen Langeweile getödtet werden, und so als moderne Kriegshelden der Civilisation fallen.


Arbeit und Lohn in Canada. Das sich rasch in Cultur und Industrie erhebende Canada, worüber wir in den „Amerikanischen Briefen“ an Ort und Stelle den Lesern Näheres mitgetheilt haben und mittheilen werden, bezahlt die Arbeit so theuer, daß man vor der Hand kaum einen bessern Markt für gesunde Arme und heitere Kräfte, die nach Goethe „überall zu Hause sind,“ finden kann. Die Landbauern rauben beinahe die Arbeiter von den Eisenbahnen weg und geben ihnen, was sie nur verlangen, wenn sie nur arbeiten. In der Regel bekömmt ein gewöhnlicher Feldarbeiter 1 Dollar d. h. 1 Thlr. 10 Sgr. außer täglicher Kost und Wohnung. Jungen von 1[?] – 14 Jahren, Dienstmädchen bekommen außer Kost und Wohnung 7–8 Thlr. monatlich 16 bis 22 Schillinge). Was bei ihnen Kost ist, sah Jemand an dem Frühstück eines Pferdeknechts, welches aus folgenden Ingredienzien bestand: großes Stück Roostbeef, fünf ungeheuer große mehlige Kartoffeln, ein kleines Gebirge frische Butter, „zweimal dick ringsum“ Weißbrot und ein Nösel frische Milch von der Kuh.

Dieses Frühjahr kamrn 306 Irländerinnen von 14–15 Jahren in Tarrato an und waren in 1/2 Stunde alle weg wie warme Semmel für 6–7 Thaler monatlich, Kost und Wohnung. Eine Liste der Arbeitspreise aus den Vereinigten Staaten enthält für Tischler 6–9 Schillinge täglich d. h. bis 3 Thaler, ebenso Maurer und Zimmerleute, Maler bis 12 Schillinge, Handwerker aller Art von 4 bis 10 Schillinge und mehr täglich, je nach dem „Angebot“ und der „Nachfrage.“ Im Süden sind die Löhne zum Theil noch höher. Freilich richten sich die Ausgaben auch danach. Wohnungen sind im Durchschnitt das Theuerste, besonders kleinere. Kost und Logis wird oft wöchentlich mit 4–5 Thaler bezahlt. Ein Haus mit 6 Zimmern kostet in großen Städten bis 30 Thaler monatlich, hier und da mehr. Kleinere Häuser sind selten und deshalb fast eben so theuer. Dies gilt natürlich blos von den großen Städten. Auf dem Lande und weiter in’s Innere hinein ändert sich Alles. Wer dort auch die wohlfeile Miethe sparen will, hackt sich in kurzer Zeit aus Urwaldsholz eine gemüthliche Hütte zurecht und lebt glücklicher darin wie ein König in seinen Schlössern und Steinburgen.


Wallachische Schönheiten. Die Wallachei ist voller Schönheiten. Wir meinen natürlich nicht politische, die in verschiedenen Invasionen und Besetzungen von Außen, in Tyrannei und Erpressung aller Art im Innern bestehen, auch nicht die wilden Naturschönheiten nach den Karpathen herauf, die Gebirge mit Wasserfällen, Bären, weißen Adlern, Wölfen, Räubern und abenteuerlichen Kämpfe mit Natur und Menschen, sondern schöne Menschen, deren es unter den Männern sowohl, als besonders unter den Frauen und Mädchen wahre Ideale geben soll. Personen, die in Bucharest, der „Stadt der Freude“ gewesen sind, stimmen alle in dem Lobe des schönen Geschlechts überein. Hier findet man die schönen Töchter und Frauen des Adels am Dichtesten und Gebildetsten oft neben Männern, aus deren langen Bärten sich römische Kraft und griechische Schärfe im Gesichtsausdruck hervordrängen. Die Wallachen sind Ueberbleibsel der alten Roma und nicht wenig stolz auf diesen Stammbaum, so wenig Früchte die neuere Politik auch daran wachsen ließ.

Die schönsten Mädchen aber wohnen in der von der Corruption in Bucharest und der Politik noch nicht erreichten Gegend an der serbischen Gränze, zwischen Dregio und Tschernecz am rechten Ufer der Donau. Dr. Gerber aus Dresden, der sich auf seiner wissenschaftlichen Reise durch Ungarn, Serbien, die Türkei, den Libanon, Aegypten u. s. w. am Längsten in Serbien aufhielt, versichert, daß er dem waldigen, üppigen Gebirgszuge der klein-wallachischen Donau gegenüber, in und um Negotin, Rodajevatz, Sokol, Statina, Palanka bis Glodpova hinunter ein Menschenschlag tanze und singe und sich des Lebens freue, der in seiner Schönheit des schönen Geschlechts Alles übertreffe, was er je von griechischer antiker Schönheit gesehen und geträumt habe. Vormittags amusiren sich die Leute etwas mit Feldarbeit, da die Natur hier keine mühsame Hülfe bedarf, Nachmittags tanzen und singen und spielen sie unter grünen Bäumen in der würzigsten, duftigen Luft, und hochgeröthet von Tanz und Uebermuth sprangen die Schönsten der Schönen oft in sein Zimmer herein, rissen ihm Bücher und Feder weg und transportirten ihn gewaltsam, wie Nymphen, die den schönen Hylas entführen, auf ihren Tanzplatz, wo sie ihn zwangen, tüchtig seine Tanzkunst zu exerciren und nach ihrer Weise zu reformiren. Das Schönste in diesen täglichen Volksfesten sind ihre Gesänge in einer Sprache, die an Wohllaut eben so alle modernen Sprachen übertrifft, wie diese Serbierinnen alle Schönheiten der Welt. Die jetzt deutsch vorliegenden serbischen Volkslieder können natürlich keine Ahnung von dem zauberischen Wohllaute der Ursprache, noch weniger von der Schönheit und den Reizen der Sängerinnen geben, die dazu tanzen und sich necken und allen möglichen Uebermuth treiben. Ihr Anzug ist dabei eben so lebensfreudig, als malerisch und geschmackvoll.

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