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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 35. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der Seeräuber.

„Nein, nein, mein guter Herr Vormund! So haben wir nicht mit einander gewettet! Die Zeiten sind vorüber, wo die Vormünder ihre Mündel zu Heirathen zwingen durften, die im Interesse der Herren lagen; wenigstens bin ich die Person nicht dazu, die sich zu so etwas zwingen läßt. Wie kommen Sie mir vor? Ich einen Tabacksfabrikanten heirathen! Ich einen Tabacksfabrikanten! Es wäre empörend, wenn es nicht gar zu lächerlich wäre.“

Diese Worte wurden mit trotzigem Lachen von einem allerliebsten Mädchen von achtzehn Jahren einem ältlichen wohlhäbigen Herrn zugeschleudert, der im eleganten Zimmer vor ihr stand und sich über die Weigerung des kleinen Trotzkopfs sehr zu ereifern schien. Man sah es dem Kinde, wie dem Alten an, daß sie „bei guten Mitteln“ waren und sich Beide ärgerten.

„Aber ich bitte Sie, liebes Klärchen, nehmen Sie doch nur Vernunft an“, replicirte der grauköpfige Herr. „Wem in aller Welt ist denn nur eingefallen, Sie zu einer Heirath mit meinem Vetter Kaupert zwingen zu wollen? Ich habe mir weiter gar nichts erlaubt, als Ihnen denselben als eine sehr annehmbare Parthie vorzuschlagen, Fritz Kaupert ist ein junger, angenehmer Mann, ein tüchtiger Kaufmann, ein braver Mensch, hat gute Fonds und die von seinem Vater begründete Tabacksfabrik in Bremen, deren Erbe Fritz ist, zählt zu den rentabelsten Geschäften. Er ist kein Tabacksfabrikant, wie Sie ihn zu bezeichnen beliebten, sondern der Besitzer einer Tabacksfabrik, die einer großen Anzahl Fabrikanten Arbeit und Brot giebt.“

„Ich bitte Sie sehr dringend, sprechen Sie mir nicht so viel von Taback! Es wird mir übel und wehe, und ich fürchte Schlimmes für mich von dieser unangenehm duftenden Conversation. Der Herr Vetter ist und bleibt ein Tabacksfabrikant, man riecht ihn weiter, als man ihn sieht, und der bloße Gedanke mit einem stets nach Taback duftenden Manne zusammen und in einem von Tabacksdüften ganz eingeräucherten Hause leben zu müssen, bringt mich schon zur Verzweiflung.“

Und sie griff zur dunkelrothen, goldverzierten Krystallflasche mit dem Eau de mille fleurs und goß sich eine kleine Fluth auf Kleid und Hände.

„Sie benehmen sich sehr kindisch, Fräulein Klärchen“, sagte der Vormund etwas ärgerlich. „Ich habe weiter nichts von Ihnen gewollt, und bitte Sie auch jetzt um weiter nichts, als daß sie mir gestatten, Ihnen meinen jungen Vetter vorzustellen und seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Er wird hierher kommen und – was sich doch ganz von selbst versteht – bei uns wohnen.“

„Ich will nicht! Ich will durchaus nicht! Ich will und kann und darf ihn nicht riechen. Ich würde krank davon werden. So wie er kommt, verreise ich zu meiner Cousine Dröge. Nur keinen Taback! Um Gotteswillen keinen Taback! Es ist zu prosaisch.“

„Ach, lassen Sie doch diese Überspanntheit! Sie scheinen ganz zu vergessen, daß Ihr seliger Vater und Großvater sehr ehrenwerthe Lederfabrikanten, d. h. eigentlich Gerber waren, deren Geschäft doch wahrlich auch nicht wie Rosenöl und Ambra duftet und gar nichts von dem an sich hat, was Sie poetisch zu nennen belieben; aber die guten Männer haben Ihnen ein Vermögen von hunderttausend Thalern hinterlassen, welches Sie mit der sehr übelduftenden Lederfabrikation erworben haben.“

Nachdem er dieses gesprochen, verließ der Herr Vormund in einiger Aufregung das Zimmer; Klärchen schlug ein Schnippchen hinter ihm her und griff wieder nach dem unsaubern Buche aus der Leihbibliothek, in dessen emsiger Lectüre sie durch den gutgemeinten Vorschlag des Mannes gestört worden war, und vor dessen übelriechendem Korpus sie sich keineswegs ekelte.

Dieses Buch erklärte eigentlich Alles. Klara Commler hatte in den Jahren der Entwicklung die Aeltern durch den Tod verloren und war bei einer Tante erzogen worden. Als auch diese aus dem Leben geschieden, war die reiche Waise in das Haus ihres Vormunds, des Kauf- und Handelsherrn Peter Schöppach, gekommen. Die selige Tante hatte das hübsche und talentvolle Kind gründlich verzogen und zur Romanleserin gebildet. Aus der Leihbibliothek hatte sich Klärchen ihre Begriffe von Poesie und von einem reizenden romantischen Leben geholt, und sie hatte nicht nur die Ueberzeugung gewonnen, sie hatte sich auch den festen Entschluß in ihrem kleinen reizenden Lockenkopfe zurechtgestellt, sie könne und werde sich mittelst ihrer Schönheit – Spiegel und Eitelkeit hatten ihr davon eine hohe Meinung beigebracht – und mittelst ihres Geldes, dessen Werth sie sehr wohl kannte, ein Lebensglück gewinnen, wie es in ihren Lieblingsromanen schönstens beschrieben stand. In dieses farbenglühende und blumenduftende Phantasiebild paßte freilich ein Mensch durchaus nicht, welcher eigentlich auf der Welt nichts weiter that, als Tabacke fabriciren zu lassen und zu verkaufen. Sie hätte natürlich eben so wenig einen Lederfabrikanten geheirathet. Ein unbestimmtes Ideal schwebte ihrer aufgeregten Phantasie vor, ein kühner, göttlicher Jüngling, zum Theil Adonis, zum Theil Apoll, zum Theil Herkules, Perseus oder anderer Halbgott, ein Dichter, Maler, Künstler anderer Art, Kriegsheld oder dergleichen.

Es war ganz so in der Ordnung, daß ein so romantisches Gemüth, wie das Klärchen’s, eine Vertraute hatte, und daß diese bei den obwaltenden Umständen Niemand anderes sein konnte, als

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_405.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)