Seite:Die Gartenlaube (1854) 409.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Wägelchens und die Begegnenden sich erkannt hätten. Da schritt, wo der Weg um eine Ecke biegt und sich dem prunklosen Kirchlein des Dorfes und dem sauberen Pfarrhause nähert, die „gute Lene“ daher. Das Auge der Liebe ist scharf und wird nicht getäuscht von dem Schnee des Hauptes und den Furchen der Wangen. „Georg!“ rief es in freudigem Schrecken, „Lenchen!“ tönte es zurück – mit jugendlicher Kraft ward vom Wagen gesprungen und im letzten purpurglühenden Scheine der Sonne, unter dem friedlichen Geläute der Abendglocke, die eben zum Gebete mahnte, lagen sich die zwei Alten jungen Herzens in den Armen, Thränen der Wehmuth und des freudigen Wiedersehens vergießend. Der wackere Pfarrherr brachte die Beiden in’s Haus, wo Georg denn seine Begegnisse erzählen mußte. Mit Mühe und Noth hatte sich der arme Bursche, durch Lenchen’s Grausamkeit in Verzweiflung fortgetrieben, nach der neuen Welt gefunden. Doch die unverwüstliche Kraft der Jugend und seine starken, fleißigen Arme ließen ihn nicht zu Grunde gehen. Mehrmals hatte er in die Heimath an die Mutter geschrieben; in der Unruhe der Zeit waren wohl die Briefe verloren gegangen, und so mußte er endlich glauben, daß Niemand mehr zu Hause sei, der auch nur an ihn denke oder ihn wolle. Unter den Mühen und Anstrengungen seines neuen Lebens trat die Heimath zurück und ward nur zur wehmüthigen Erinnerung. Der Fleiß seiner Hände ward gesegnet im neuen Vaterlande, das Herz aber blieb allein stehen. So vergingen Jahre um Jahre und es kamen die Tage des Alters. Da litt es Georg nicht mehr drüben; in der alten Heimath wollte er wenigstens die letzte Ruhe finden, im Tode mit der Mutter und – vielleicht noch Einer vereint sein. Einem wackern Pflegesohn übergab er Haus und Güter, die er drüben erworben, nahm so viel als für den Rest seiner Tage bescheidenes Auskommen erforderte und schiffte über den Ocean zurück.

Ich habe nur wenig mehr hinzuzufügen. Das Häuschen, welches Georg’s Mutter bis zu ihrem Tode bewohnt hatte, stand eben wieder zum Verkaufe an. Georg brachte es an sich; das dazu gehörige Gärtchen und Lenen’s kleine Besitzung gränzten aneinander. Lene setzte ihre bisherige segensvolle Beschäftigung fort; die Verzeihung des Himmels, die sie noch am Schlusse ihrer Tage in Georg’s Wiedersehen erkannte, bestärkte sie nur in ihrem Eifer. Georg machte die reiche Erfahrung seines langen Lebens nutzbar für seine Nachbarn und Dorfgenossen, mochten sie nun seinen Erzählungen von dem jenseitigen Schaffen und Wirken lauschen oder seinem verständigen Rathe folgen. Sie sind nun beide längst von der Erde geschieden; der Himmel nahm sie sanft und stille zu sich, fast gleichzeitig, ohne neuen Trennungsschmerz. Wen sein Weg je auf den kleinen Friedhof des Dörfchens führen sollte, findet zwei einfache Gräber neben einander mit schwarzem Kreuze und der gemeinschaftlichen Inschrift: „Im Herzen nie getrennt, im Tode vereint!“ Es sind die Gräber Georg’s und der guten Lene.“

L. 




Die Kosciuszko-Säule am Hudson.

Die Kosciuszko-Säule am Hudson.

Wenn irgend ein Volk der Neuzeit durch aufopfernde Begeisterung und kühnen Heldensinn die Bewunderung der Welt errungen hat, so ist es Polen, das die Helden legionenweise zählte, und das, obschon immer und immer wieder besiegt, selbst seinen Feinden Achtung abzwang. Ob eine Nation, wie die polnische, aus der Reihe der übrigen gestrichen werden kann … wer wagt es zu behaupten? Ja wer steht dafür, daß sie auch nur den tiefen Schlaf schläft, wie viele sagen. Doch wäre dem auch so, lag Polens letzte Stunde wirklich schon hinter uns, so ging es wenigstens in lichtem Ruhmesglanze unter, aus welchem hervor der gefeierten Namen eine Menge leuchten!

Den ersten Platz unter ihnen macht Niemand dem Helden Kosciuszko streitig, dem Größten und Edelsten aller Polen, der nicht nur für die Freiheit seines unglücklichen Vaterlandes kämpfte, sondern sein Blut auch für das zu einem glücklichen Loose erwachende junge Amerika verspritzte, das seitdem zu einem Riesen herangewachsen ist. Als die nordamerikanischen Völker den heißen Unabhängigkeitskampf gegen das Mutterland schlugen, war Kosciuszko (1777) unter denen, die wie Lafayette, voller Begeisterung über’s Meer zogen, um unter dem gefeierten Washington für die Rechte der Menschheit zu kämpfen. Ein muthiger Krieger in allen Schlachten, wurde er vor New-York und bei Yorktown verwundet, stieg mit der Zeit bis zum Generalmajor, erhielt, außer Lafayette der einzige Europäer, den Cincinnatusorden, und kehrte, ein inniger

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_409.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)