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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

vollständige Anzug“ einer tahitischen Schönen, nämlich ein Halsband von rothen erbsgroßen Früchten neben einem kleinen chinesischen Puppentheater und dem Schädel des Tigers, dessen Fell wir schon sahen. Dann bemerken wir ein paar schöne Büchsen und daneben chinesische Puppen und Pfeifen, Tomahawks mit schöner Schnitzarbeit, chinesische Holzschnittbilder, einen Bomarang aus Australien, d. h. ein Instrument, das man von dem Gegenstande, den man treffen will, hinwegwerfen muß, weil es mit ungeheurer Wucht zurück springt; Bogen und Pfeile mannigfacher Art, Gläser mit Schlangen und ein Gläschen mit Goldstaub aus Californien; ein Ding, das aussieht wie ein Stück eines zerbrochenen Stacketes, das aber ein musikalisches Instrument der Malaien ist, mit dem sie einen Heidenlärm machen. Es besteht nämlich aus hohlen Bambusstäben, die zu sechs etwa, eine Hand breit von einander, an einander befestigt sind. In den Höhlungen befindet sich eine Art Knöppel, und wenn man das Ding schüttelt, giebt es einen lauten Ton. Die dicken und langen Stäbe vertreten den Baß, die kleinern, schmälern geben höhere Töne. Unter all den vielen andern Seltenheiten ist auch ein Paar Glacéhandschuhe aufgehangen und auf einem Tischchen liegt eine Zitter.

„Diese zwei Glacéhandschuhe sind die einzigen, die ich in meinem Leben getragen habe,“ berichtet Gerstäcker lächelnd, „und zu der Zitter da habe ich der Königin Pomare in Tahiti und deren ganzem Hofe deutsche Lieder vorgesungen. Aber zu etwas Anderem!“

„Ich weiß, daß Sie das Gegentheil von andern Reisenden sind und so wenig als möglich von Ihren Fahrten sprechen, aber diesmal kommen Sie nicht los. Zweierlei müssen Sie mir sagen.“

„Nun?“

„Was war für Sie auf allen Ihren Wanderungen das Merkwürdigste oder das Auffallendste?“

„Das Merkwürdigste?" antwortete der Reisende sinnend, aber schnell setzte er hinzu: „einer Dame, mit der ich kürzlich sprach, war das Unbegreiflichste bei meinen Reisen, woher ich immer – weiße Strümpfe bekommen habe; ich hätte doch unmöglich so viel mitnehmen können. Mir waren das Merkwürdigste und Komischste – die deutschen Schneider. Wohin ich auch gekommen bin, in Californien, auf den Inseln der Südsee, in Australien, auf Java, überall habe ich einen Deutschen gefunden, der – Schneider war, und irgend etwas Närrisches an sich hatte. Ich könnte ein ganzes Buch über diese komischen Schneider schreiben. – Und das Zweite?“

„Sie haben einen gar großen Theil der Erde gesehen, sagen Sie mir, wo ist sie am Schönsten?“

„O schön sind die Inseln der Südsee mit den Palmenwäldern, mit dem herrlichen Himmel darüber, mit der klaren Fluth umher, in welcher die Koralle ihre Zaubergrotten baut, noch schöner aber ist Java mit den grünen Bergen und der unbeschreiblichen Pracht und Ueppigkeit der Vegetation, aber –“

„Doch ein aber?“

„Es ist ewig grün und ewig gleich schön; es wird bald langweilig. Ueber einen Frühlingstag in Deutschland, wenn es wieder grünt, wenn die Vögel im Walde singen, geht in der Welt nichts. Wenn später auch der Winter kommt, wir haben doch immer die Hoffnung auf neuen Frühling.“

„Und Ihre Reiselust ist nun gestillt?“

„Vollständig.“

„Sie kann auch wiederkommen, wie der Frühling.“

„Ich fühle doch, daß ich Strapazen bestanden habe, namentlich die Fußpartie 300 Stunden weit durch die Wildniß von Australien, wo man Abends kein Wirthshaus zum Einkehren findet, sondern das Abendbrot erst schießen, am Feuer braten und sich dann, in die wollene Decke gewickelt, unter freiem Himmel hinlegen muß, hat gewirkt. Sehen Sie da“ – er bog den Kopf vor und deutete auf eine Stelle, wo der Haarwald sich zu lichten beginnt – „ich fange doch wenigstens an, mir eine kleine Platte stehen zu lassen.“

„Ich glaube doch nicht, daß Sie nun bis an Ihr Ende in Deutschland still sitzen.“

„Nun – zum Spaß einmal in einem Sommer eine Spazierfahrt mit einem Wallfischjäger in das Nordmeer will ich nicht verreden, obgleich ich genug gesehen habe. Wenn ich einmal recht ordentlich träume, sollten Sie den Wirwarr von Bildern und Gesichtern aus Deutschland, Amerika, Australien, Oceanien und Asien untereinander sehen können, die dann an mir vorüber ziehen!“

Das Gespräch wendete sich auf andere Dinge, und als ich mich verabschieden wollte, sagte er:

„Warten Sie noch einen Augenblick, ich gehe mit.“

Er warf den Schlafrock ab, zog den grauen Paletot an und nahm den breitkrämpigen runden Hut.

„Ich muß nach einer Familie sehen, die recht in Noth ist. Wir können aber helfen – Sie geben monatlich etwas, ich laufe zu andern Bekannten, die müssen auch geben; da bringen wir ein Sümmchen zusammen und die Leute brauchen wenigstens nicht zu hungern. Mir schmeckt kein Bissen, wenn ich weiß, daß Andere darben ohne Schuld. Jeder von uns kann noch einen Thaler entbehren, und wer’s nicht kann, nun, der braucht nur ein paar Töpfchen Bier weniger zu trinken.“

Sein Herz ist also so weich, wie sein Muth stark und sein Blick in’s Leben scharf. Aber wie wurde er, was er ist?

Friedrich Gerstäcker (geboren 1816 in Hamburg) ist der Sohn des ehemals sehr gefeierten Tenoristen Gerstäcker, Er verlor aber den Vater sehr früh, verlebte seine Jugend meist in Braunschweig und kam dann nach Cassel in die Lehre zu einem Kaufmann. Das sagte aber seinem unruhigen Geist nicht zu und er erlernte die Oeconomie zu Döben bei Grimma, Nach drei Jahren widerstand er der Wanderlust nicht länger und schiffte hinüber nach Amerika. In New-York schon begegnete ihm was vielen Einwanderern auch geschieht, ein freundlicher Landsmann brachte ihn um all sein Geld und er stand nun mittellos in der fremden Welt. Aber schon damals, wie seitdem immer, lautete sein Spruch: „Hilf dir selber, so wird dir Gott helfen.“

Er schämte sich keiner Arbeit und verrichtete die verschiedenartigsten, um sich den Unterhalt zu erwerben: er machte Pappschachteln zu den Pillen, die ein Anderer in gleicher Lage fabrizirte; er arbeitete auf dem Felde; er war Heizer auf einem der Dampfschiffe, die den Mississippi befahren und hätte einmal beinahe das Leben verloren, als er in den Dampfkessel kriechen mußte, um ihn zu reinigen, ehe er frisch voll Wasser gepumpt wurde zum neuen Heizen, denn man hatte ihn vergessen, schloß die Oeffnung des Kessels und fing bereits an Wasser einzulassen, als es ihm zufällig gelang sich bemerklich zu machen; er schnitt Rohr (zum Beziehen der Stühle u. s. w.) am Ufer des Mississippi, wobei er in glühender Sonnenhitze bis über den Gürtel im Wasser stehen mußte, während gar häufig Schlangen und anderes Geziefer um ihn herum wimmelte, worauf er das Rohr noch an die Haltestellen der Dampfer zu schaffen hatte und öfters von dem dort unvermeidlichen Fieber befallen wurde; er war Schnappsverkäufer bei einem immer betrunkenen Wirth tief im Westen, übernahm auch eine Zeit lang ein Hotel in St. Louis, und drei ganze Jahre lang zog er endlich als Jäger quer durch die Vereinigten Staaten, hauptsächlich aber in Arkansas in den Urwäldern umher, bald allein, bald mit einem gutmüthigen Wilden, bald mit verwetterten alten Jägern. Er schoß da Bäre, Hirsche, Jaguars u. s. w., natürlich nicht des Fleisches wegen, sondern um die Häute und Felle zu erhalten, die auf der Stelle gegerbt werden mußten, um sie später zu verkaufen. Gewiß hat der Gedanke viel Verlockendes, völlig frei, nur auf sich selbst bauend, mit der Büchse durch die Wälder und über die weiten Prairien zu schweifen; „aber,“ sagte der kühne Wanderer an einem regnigten Herbsttage einmal, „denken Sie sich, Sie sollen z. B. sechs Wochen lang, bei fortwährendem Regen, nur im Rosenthale (bei Leipzig) campiren und in die Decke gewickelt unter einer Eiche schlafen, wo nicht einmal gelegentliche Besuche eines Bären u. s. w. zu fürchten sind.“

Auch erwachte nach sechsjährigem Wandern in Amerika die Sehnsucht nach der Heimath unwiderstehlich in ihm. Er kam zurück und schrieb seine „Streif- und Jagdzüge,“ in denen er sein abenteuerliches Leben mit frischen Farben, wenn auch mit noch etwas ungeübter Hand beschrieb. Das Buch fand Beifall und der Jäger begann einzelnes Erlebtes ausführlicher zu schildern; er ließ sich in Leipzig nieder und hier entstanden seine zahlreichen Erzählungen, wie seine beiden so viel gelesenen Romane: „die Regulatoren“ und die „Flußpiraten.“ So unermüdlich er sonst die Büchse geführt hatte, so ausdauernd saß er nun am Schreibtisch. Nur gelegentlich erwachte die alte Wanderlust, aber man hielt sie für gänzlich beruhiget, als er sich verheirathete und einen eigenen Hausstand gründete.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_434.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)