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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 38. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Klementine.
(Fortsetzung.)

„Was wollen Sie wissen?“

„Sie waren vorgestern Abend in diesem Hause?“ fragte Ernst leise.

„Ich leugne es nicht.“

„Dann bekennen Sie nur, daß Sie eine Zusammenkunft mit Klementine von Falk gehabt haben.“

„Nein, lieber Herr,“ antwortete Fritz treuherzig; „ich schwöre Ihnen, daß ich an jenem Abende die junge Dame nicht gesehen habe, und daß ich auch nicht erwartete, sie hier zu sehen. Jener Brief, den ich gelesen, weil er offen war, läßt allerdings zu meinem Bedauern vermuthen – –“

„Zu Ihrem Bedauern?“ rief Ernst. „Sie scheinen ein großes Interesse an der Dame zu finden.“

„Das ist wohl sehr natürlich – ich habe ihr in dem Seebade Dobberan das Leben gerettet – sie war dem Ertrinken nahe – und wenn ich eine Minute später gekommen wäre – Sie müssen wissen, daß ich ein guter Schwimmer bin.“

„Ganz recht, Klementine war vorigen Sommer im Bade, sie hat mir die Unglücksgeschichte erzählt. Also Sie sind ihr Retter?“

„Ja, mein Herr, und aus diesem Grunde brachte ich den Brief zurück, den ich sonst würde unbeachtet gelassen haben. Ich glaubte, der liebenswürdigen Klementine einen zweiten Dienst zu erweisen, indem ich verhinderte, daß der Brief in unrechte Hände kommt.“

„Jetzt ist er gut aufgehoben!“ rief Ernst mit schmerzlicher Bitterkeit, .und ich danke Ihnen für den Dienst. Die zukünftige Gattin meines Onkels darf nicht compromittirt werden.“

„Klementine verheirathet sich?“ fragte Fritz bestürzt.

„Begleiten Sie mich, mein Herr, wir wollen Herrn Julian aufsuchen, der hier wohnt, wie Sie sagen.“

Die Undankbare! dachte Fritz, davon hat sie mir kein Wort gesagt. Da sie doch einmal für mich verloren ist, will ich sehen, wie das Abenteuer abläuft. Dieser Mensch scheint einer ihrer Verwandten zu sein, der ihre Schritte bewacht. „Kommen Sie,“ rief er laut, „ich werde Sie führen!“

Beide stiegen in den zweiten Stock hinan. Dort zog Fritz an einer Schelle. Gleich darauf ließen sich klappende Tritte vernehmen und die Alte mit der großen Haube öffnete die Thür.

„Wer ist da?“ fragte sie, ihr Licht emporhaltend. „Ach, Sie, Herr Fritz! Es ist gut, daß Sie mir den Talmamantel zurückbringen, denn ich habe ihn auf morgen vermiethet.“

„Schweigen Sie!“ flüsterte der bestürzte Fritz, „es ist Jemand bei mir!“

Ernst, der diese Worte gehört, errieth leicht den Zusammenhang, und die geheimnißvollen Besuche des jungen Mannes, der offenbar ein armer Teufel war, waren nun erklärt. Ein Blick in sein hübsches, aber einfältiges Gesicht belehrte ihn, daß die Annahme eines Verhältnisses zwischen ihm und Klementine, dem geistreichen Mädchen, ein Unsinn sei. Wäre die Person Julian’s, an den der zärtliche Brief gerichtet war, nicht noch zu erforschen gewesen, er würde seine freudige Ueberraschung laut ausgedrückt haben. Trotzdem fühlte er sich um die Hälfte seiner Herzensbürde erleichtert.

Die Alte ließ die Gäste auf einen freundlichen Vorsaal treten. Hier blieb sie stehen, und fragte Ernst:

„Hat Ihnen Herr Fritz mein kleines Kleidermagazin empfohlen? O, geniren Sie sich nicht, lieber Herr,“ fuhr sie geschwätzig fort, „ich habe schon manchen anständigen Mann, dem es gerade gefehlt, zu einem Balle oder zu einem vornehmen Besuche ausgestattet. Erst gestern Abend haben meine drei besten Fracks getanzt, und kein Mensch hat ihnen angesehen, daß sie gemiethet waren. Was steht zu Diensten? Herr Fritz ist mir ein guter Bürge – –“

„Genug, liebe Frau,“ sagte Ernst. „Mein Besuch gilt nicht Ihnen, sondern Herrn Julian.“

„Herrn Julian?“ fragte die Alte, indem sie den Offizier mit den Blicken maß. „Was weiß ich von Herrn Julian.“

„Ich habe ihm einen Brief durch Frau Hammerschmidt zu übergeben.“

„Steht das auf der Adresse?“

„Hier lesen Sie!“

Ernst hielt den Brief hin. Die Alte kniff die Augen zusammen und las die Adresse. Dann wandte sie das Papier, um das Siegel zu besehen.

„Ganz recht,“ murmelte sie. „Der Brief ist gestern schon einmal abgegeben. Ich begreife nicht, wie Sie dazu kommen? Herr Julian scheint mir ein sehr vorsichtiger Mann zu sein.“

„Er wohnt also bei Ihnen. Kann ich ihn sprechen?“

„Nein, lieber Herr, denn er hat diesen Morgen seinen Koffer gepackt und ist abgereist. Wohin, kann ich Ihnen nicht sagen. Uebrigens bin ich froh, daß der sonderbare Mensch fort ist, obgleich er mich pünktlich und ehrlich bezahlt hat. Es gefiel mir nicht, daß er sich den ganzen Tag einschloß, und nur die Thür öffnete, wenn ein reizend schönes junges Mädchen erschien, das ihm regelmäßig jeden Abend in der Dämmerung einen Besuch abstattete. Kam sie, so flog sie ihm an den Hals, und ging sie, so riß sie sich weinend von ihm los. Wie ich hier mit dem Lichte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_441.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)