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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 39. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Klementine.
(Schluß.)

Dem armen Ernst lief ein leises Frösteln durch alle Glieder. Was konnte er, der unbemittelte Mann, dem schönen Mädchen bieten? Dieses Zimmer war Klementine’s würdig. In der Brust des jungen Mannes stiegen wieder bittere Zweifel empor, und die Erinnerung an das Geheimniß, das Klementinen umgab, preßte sein Herz zusammen.

„Wird sie sich nicht von dem Glanze verblenden lassen?“ fragte er sich. „Kann einem lebensfrohen Mädchen die Wahl schwer werden zwischen Armuth und Reichthum, vorzüglich wenn es von einer spekulirenden alten Frau geleitet wird? Alle diese Vorbereitungen deuten an, daß man auf ihre Schwäche rechnet, vielleicht kennt der Junker diese Schwäche, vielleicht weiß er, was er bieten muß, um die Schöne zu fesseln.“

Unwillkürlich dachte er an die erste Ursache des ersten Argwohns zurück, und wäre seine Liebe nicht so heiß, so innig gewesen, er hätte bereuet, seine Abreise aufgeschoben zu haben. Die wahre Liebe ist stets bereit, zu entschuldigen und zu hoffen, und so unbestimmt die nächste Zukunft auch vor Ernst’s Blicken lag – ein seltsames, wunderbares Vertrauen auf Klementine’s Heiligkeit zwang ihn zu hoffen. Die trauernde Liebe, die den Glauben an ihren Gegenstand noch nicht verloren hat, gewährt einen wollüstigen Schmerz oder eine schmerzliche Freude, denn sie weiß sich von der Geliebten bemitleidet. Mit der Kraft des jugendlichen Gefühls klammerte sich Ernst an den hoffenden Gedanken, den die Aufforderung Klementine’s in ihm erregte.

„Sie will mich sehen,“ flüsterte er, „ich will mich ihr zeigen.“

Er öffnete die Thür, und trat in das angrenzende Zimmer. Klementine und ihre Großmutter erschienen von der entgegengesetzten Seite – sie hatten den Ballsaal verlassen, um hier den Junker zu erwarten. Klementine’s bleiches Gesicht überflog eine matte Röthe, und ein lebhafter Strahl blitzte aus ihren trüben Augen. Frau von Falk bebte erschreckt zusammen. Sie grüßte kalt und ceremoniell.

„Man bedauerte Ihre Abreise, Herr Baron!“ sagte sie in einem fast spöttischen Tone. „Da Sie ohne Zweifel die Absicht Ihres Onkels kennen, die dem heutigen Feste zum Grunde liegt, erlaube ich mir, Ihnen meine Freude über Ihre Anwesenheit auszudrücken.“

Ernst dankte schweigend durch eine Verbeugung.

„In diesen Worten liegt die Einladung zur Verlobungsfeier ihrer Enkelin,“ dachte er erbleichend. „Eine Aenderung der Dinge ist also noch nicht vorgegangen. Was Klementine wohl beabsichtigt?“

Er warf einen traurigen Blick auf das junge Mädchen, das sich zitternd neben der alten Dame niedergelassen hatte, und ersichtlich das Hervordringen der Thränen bekämpfte. Er erwartete, daß Klementine, da ihr die Ironie der Großmutter nicht entgangen sein konnte, einige Worte der Ermuthigung oder des Verständnisses hinzufügte; aber sie schwieg, indem sie ängstlich nach der Thür sah, als ob sie eine Person erwartete.

Ernst wollte Gewißheit haben, zugleich aber auch seinem Stolze eine kleine Genugthuung verschaffen. Obgleich sein Herz erbebte, so antwortete er dennoch mit scheinbarer Ruhe: „Hat auch ein Zufall meine Abreise um einige Stunden verzögert, den ich nicht voraussehen konnte, so ist mir diese Verzögerung dennoch nicht unangenehm, da ich meinem Onkel persönlich den Glückwunsch zu einer Verbindung darbringen kann, welche die sichersten Garantieen für das Glück des Brautpaares in sich trägt.“

„Ihrer Billigung durften wir gewiß sein!“ sagte Frau von Falck, ironisch lächelnd.

„Sie vindiciren mir ein Recht, gnädige Frau, das ich nicht beanspruche, denn ich erlaube mir kein Urtheil über eine so zarte Herzensangelegenheit. Eine Dame von Ihrer Erfahrung sieht weiter, als ein junger Mann ohne Anstellung und Vermögen. Die liebenswürdige Braut,“ fügte er mit bebender Stimme hinzu, „mag sich versichert halten, daß ich auch im fernen Lande den Segen des Himmels für sie erflehe.“

Er wollte sich entfernen. Klementine brach in lautes Weinen aus.

„Ernst! Ernst!“ schluchzte sie, ihr Gesicht verhüllend.

Entrüstet erhob sich Frau von Falk.

„Mein Herr, Sie sind indiscret genug, eine Scene herbeizuführen, die eben so überflüssig als lächerlich ist. Nicht die Theilnahme, eine kleinliche Rache hat Sie zurückgehalten!“

„Sie irren, gnädige Frau!“ rief der junge Mann, dessen Stolz erwachte. „Und damit ich Ihnen eine bessere Meinung über meine Person hinterlasse, werde ich sofort Berlin verlassen!“

„Ernst!“ rief Klementine verzweiflungsvoll, indem sie sich rasch erhob, und ihn bei der Hand zurückhielt. „Ernst,“ flüsterte sie bebend, „habe ich denn wirklich Ihr Vertrauen verloren?“

„Großer Gott – Klementine – ich habe ja kein Recht mehr, zu hoffen! Was kann ich thun?“

„Sie bleiben!“

„Was ist das?“ rief Frau von Falk mit vor Zorn erstickter Stimme. „Ich befehle Dir, Klementine, mir zu folgen! Noch stehst Du unter meiner Autorität, die ich selbst mit Hülfe der Gesetze aufrecht erhalten werde, wenn mir kein anderes Mittel bleibt. Folge mir, hier ist Dein Platz nicht!“

An der Hand ihrer Großmutter, die einen verachtenden Blick

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_453.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)