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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

so wie Humanität und eine edle Gesinnung, überhaupt Großartigkeit, zu den Vorzügen des melancholischen Temperaments zu rechnen sind, so müssen Weichlichkeit, Mangel an Energie, Sonderbarkeit und Bizarrerie als seine Fehler bezeichnet werden. Man findet unter Künstlern, Gelehrten und Denkern, als den mehr der Welt entfremdeten, wenigstens vom alltäglichen, praktischen Lebensgang Abgeschlossenen, das melancholische Temperament am Häufigsten. Aber so oft man hier interessante Menschen, noble Charaktere und tief angelegte, über das Niveau des Gewöhnlichen hoch erhabene dabei antrifft, so häufig stößt man in diesen Lebenskreisen auf Sonderlinge, für die Welt und das Leben unbrauchbare Menschen, Unverträgliche, Eigensinnige, mißtrauische Einsiedler, wunderliche Kauze, Querköpfe und Narren.

Ein ziemlich sicheres Kennzeichen des melancholischen Temperaments, welches bei weitem nicht so klar als das sanguinische und cholerische zu Tage liegt, da die Verschlossenheit und Insichgezogenheit nothwendige Eigenschaften desselben sind, ist die Sucht, sich selbst zu quälen. Man findet nämlich bei Kindern sowohl, als bei Erwachsenen nicht selten die Neigung, einen Schmerz, ein Leiden absichtlich zu schärfen, zu vergrößern, um ja recht unglücklich zu sein. Es ist eine gewisse Selbstgefälligkeit im Unglück, eine Art des Kokettirens mit dem Schmerz, da der Mensch beständig zu sagen scheint: natürlich, mir mußte dieser Unfall passiren, ich bin zum Leiden bestimmt, ich kann nicht mehr froh werden, es ist Alles vorbei, nur immer zu, ich bin auf Alles gefaßt, es wird noch ärger kommen, denn das Schicksal hat von der ersten Stunde meiner Geburt an mich stets auf’s Sinnreichste und Grausamste gequält u. s. w.

Diese Resignation der Selbstquäler voll kleinlicher Bitterkeit geberdet sich oft so komisch und kindisch, daß man bei dem besten Vorsatz der Theilnahme mit dem Leidenden, unwillkürlich lachen muß, was er denn natürlich als einen weitern Zusatz zu dem Uebermaß seiner Prüfungen mit ingrimmiger Dankbarkeit auf dem verzerrten Gesichte hinnimmt. Dies ist einer der Wege, auf dem sich der kalte Menschenhaß in das Herz des Melancholikers schleicht, ein beklagenswerther Seelenzustand, welchen der Gemüthskranke durch seine Weichlichkeit und Willenlosigkeit, die gleichsam mit Vorbedacht der Vernunft beide Augen zuhält, großentheils selbst verschuldete.

Kinder von weichem, vollem Gefühl, von zarter Körperconstitution, – bei denen die Reizempfänglichkeit oft außerordentlich gesteigert ist und die Spuren von der erwähnten Selbstquälerei zeigen, sind durch alle möglichen Mittel vor der Ausartung ihres Temperaments zu bewahren. Stärkung des Körpers durch Bewegung im Freien, Turnen, Baden etc., Umgang mit lebhaften, kräftigen Naturen, die sich mehr Muthwillen und tolle Streiche, als Andere erlauben, möglichst frühe Vermittlung mit der Welt und dem Leben und sorgsames Bewahren vor aller Isolirung und Vereinsamung, namentlich durch anhaltendes Lesen, werden in den meisten Fällen geeignet sein, eine Natur, welche zum melancholischen Temperamente hingeneigt ist, vor Ausartungen und Verirrungen zu bewahren, welche gerade hier zu den beklagenswerthesten Extremen führen.




Die neue Synagoge in Leipzig.

Aeußere Ansicht der neuen Synagoge in Leipzig.

Am 7. d. M. wurde in Leipzig der Grundstein zu einer Synagoge der israelitischen Gemeinde gelegt.

Es ist dies ein Ereigniß von höherer Bedeutung, als wäre zu einem Tempel eines andern Glaubensbekenntnisses oder zu einem Palaste der Grundstein gelegt worden. Am genannten Tage – so sehen wir es an – wurde der Grundstein zu dem hehren Tempel der confessionellen Gleichberechtigung gelegt. Der erste liegt in Dresden, und über ihm wölbt sich bereits seit Jahren der fertige Bau, die von Semper, dem genialen Baumeister, erbaute erste jüdische Synagoge in Sachsen. Die zweite erbaut nun in der zweiten Stadt des Landes ein würdiger Schüler jenes Meisters.

Es ist eine überall zu machende Erfahrung, daß das Urtheil über die Juden da am ungünstigsten lautet, wo man am Wenigsten mit ihnen in Berührung kommt; wie diejenigen am meisten Gespenster fürchten, welche oft davon erzählen hörten, ohne in Lagen gekommen zu sein, wo die Erzähler sie gesehen zu haben behaupteten. Trifft nun auch die Umkehrung dieser Erfahrung in Leipzig nur mit der Einschränkung zu, daß die geringe Anzahl seiner jüdischen Bewohner fast durchweg der wohlhabenden und gebildeten Klasse angehören, welche nicht die Pariaäußerlichkeit des armen „Schacher“-Juden an sich tragen, – bedarf es also in Leipzig nicht erst eines äußeren Mittels, um die jüdische Gemeinde zu heben, so finden wir dennoch in der Erbauung der Synagoge auch das Gute, daß sie jener in den Augen ihrer christlichen Mitbürger ein Achtung gebietender Stützpunkt sein wird.

Nirgends mußte so sehr wie gerade in Leipzig, wo zur Zeit der Messen Tausende von Juden aus allen Weltgegenden zusammenströmen, der Mangel einer Synagoge den Bekennern des Judenthums die drückende Mahnung an ihre bürgerliche Nichtgleichstellung fort und fort zum Bewußtsein bringen. In die Zeit der Leipziger Messen fallen die bedeutendsten jüdischen Festtage, welche in mehr als 20 einzelnen, in allen Straßen der Stadt vertheilten Zimmern begangen werden mußten. Die rastlosen Bemühungen, welche Dr. Ad. Jellinek, der hochbegabte Prediger der Gemeinde, aufbot, um die Erbauung einer Synagoge durchzusetzen, haben daher auch für die sächsische Gesetzgebung die dankenswerthe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_476.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)