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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Abtheilungen zerfallenden Raume sitzen Richter, Protokollführer und sonstige Beamte. Der eigentliche Richter (Einzelrichter, da hier nur Bagatellsachen verhandelt werden, gegen welche es keine Appellation giebt) thront aber in der Mitte auf einer besondern Kanzel und frägt, befiehlt und entscheidet in der gemüthlichsten, heitersten Weise, ohne je böse zu werden, so schlimm sich auch einzelne Leute oft geberden. Unser Richter hatte wirklich etwas Patriarchalisches, Väterliches, wovon er in meiner Gegenwart mehrere Beweise gab. Ein prächtiger, schwarzäugiger Savoyardenknabe[WS 1] mit einem häßlichen Affen im Arme, den er streichelte und hätschelte wie ein Kind, stand vor ihm, des Bettelns angeklagt. Der Junge vertheidigte sich mit: „Mio caro, cor mio“ und einigem Englisch, das er noch durch eine Pantomime deutlich machte. Er zeigte auf den Mund des Affen, dann öffnete er seinen Mund, steckte die ganze Hand hinein und lachte von einem Ohr bis zum andern. Dann zeigte er auf die Jacke des Affen und seine eigenen Lumpen und dann auf sich und den Affen, so daß man den deutlichen Eindruck bekam, er wolle sagen: „Ich und der Affe sind Herzensfreunde; ich ernähre ihn und er mich.“ Und dazu sah der Affe den Richter so fest und ernsthaft an, daß jeder Zweifel verschwinden und die Schuld des Bettelns gesühnt sein mußte. Und so war’s auch. Der Richter griff in die Westentasche, einige andere Herren griffen auch in die Westentasche. Kupfer, sogar kleines Silber und Stückchen Kuchen erschienen und concentrirten sich nach dem Savoyardenknaben und seinem Affen hin. Damit schloß diese Verhandlung.

Jetzt wurden alle Augen größer und alle Hälse länger. Ein tartarischer Chinese von riesiger Höhe und wahrhaft eckigem Knochenbau in grober, blauer Leinewand, die besonders in Form von Beinkleidern den unteren Theil seines Körpers so reichlich umwallte, daß man sie nicht leicht von einem weiten Frauenkleide unterschied, erhob sich auf dem Stehplatze der Angeklagten. Die glänzend braungelbe Farbe in seinem eckigen Gesicht mit den schiefen, stechenden Augen, dem breiten dicklippigen Munde und dem dicken Zopfe hinten, der zwar innerhalb der Jacke sich verkroch, aber grade mit dem dicksten Anfange ungemein stark aus dem Nacken heraustrat, endlich die Unmöglichkeit, ihm ein Wort zu verstehen oder verständlich zu machen, gaben der Erscheinung ein ungetheiltes Interesse, das sich zum wärmsten Mitleiden steigerte, als der Policeman erzählte, er habe einen Auflauf in der Straße erregt und den „Verkehr“ gestopft, weil er einem Jungen, der ihn am Zopfe gezerrt, etwas braun und blau geschlagen und er nun weinte und auf seinen Zopf zeigte und drohte und zu verstehen gab, daß seine Ehre auf’s Tiefste verletzt sei, und dann auf seinen Magen und dessen Leere und seine Unfähigkeit, sich verständlich zu machen und etwas zu verdienen, pantomimisch und in unverständlichen, singenden Tönen aufmerksam machte. Der Richter entschuldigte ihn wegen der Selbsthülfe, die er sich erlaubt habe, um die gekränkte Ehre seines Zopfes zu rächen, da dieser im Lande der Chinesen ein Heiligthum sei und auch in England Niemand ein Recht habe, seinen Nebenmenschen am Haar zu zausen. So ein hülfloses Wesen bedürfe des Mitleidens und des Schutzes. Spott sei hier doppelt strafbar. Offenbar sei er ein Matrose, hungrig und erschöpft. Hier sei Geld, der Policeman solle ihn nach der Themsepolizei führen und ihr aufgeben, zu erfragen, ob ein chinesisches Schiff oder sonst ein Unterkommen für ihn da sei. Andere Beamte und Publikum gaben auch Geld. Der Chinese machte schreckliche Pantomimen der Dankbarkeit mit gurgelnden, singenden Tönen und verschwand mit einem Policeman.

Nachdem eine zerlumpte Irländerin mit einem magern, bläulichen Kinde, die kein Englisch verstand, einem Arbeitshause empfohlen worden war, kam unsere Sache daran. Der Ankläger, ein verschmitzter Bursche von 15 Jahren, küßte das Testament und klagte dann über seine zerbrochenen Rippen, deren er erst drei angab, hernach aber auf zwei reducirte. Richter und Publikum lachten, je dunklere Farben seine Anklage annahm. Nachdem ich die Aussage der verschiedenen Zeugen und des Angeklagten verdolmetscht hatte, sagte der Richter, es bliebe nichts übrig als eine Ohrfeige, die er unter bewandten Umständen sehr wohl verdient habe, so daß er auf den Schutz des Gesetzes, das Ohrfeigen im Allgemeinen verbiete, keinen Anspruch machen könne. Der Wundarzt des Gerichts hatte natürlich die Stelle, wo die zerbrochenen Rippen sich aufhalten sollten, untersucht und nach seiner Aussage nichts gefunden, als kleine rothe, runde Fleckchen, um derenwillen er aber nicht den deutschen Tischler, sondern gewisse schwarze Thierchen hätte anklagen müssen. Ein sehr gemüthliches Gelächter schloß den kurzen Prozeß, um dessenwillen mein Tischler 14 Tage lang solche Heidenangst ausgestanden hatte, daß ihm der Appetit und viel von seinem Körperumfange verloren gegangen war.

Sonstige Verhandlungen drehten sich um Geld-, Injurien- und Prügelangelegenheilen von Krethi und Plethi. Anständige Leute bemerkte ich beide Male weder unter Klägern noch Verklagten. Auch ich wäre nicht zu diesem Artikel gekommen, hätte der Junge nicht seine Rache ausüben wollen. Er lauerte uns auf vor der Thür und sagte höhnisch zu dem Tischler: „Eeih, nu haben Sie doch 6 Stunden Arbeit verloren und müssen die Zeugen bezahlen.“ Dies war ihm genug. Das ganze Polizeigerichtswesen machte auf mich den Eindruck des Kunterbunten und Gemischten aus allen möglichen Nationen und von Unbeholfenheiten der untern Klassen, des Ungenirten, Patriarchalischen, Bequemen, Nachlässigen, dabei aber Humanen und Gutmüthigen von Seiten des Gerichts. Vielleicht findet der Leser hier ein kleines, aber wahres Spiegelbild davon.




Bilder aus der Thierwelt.
Der Biber.

Im Winter des Jahres 1852 erhielt ein Kaufmann in London von einem Freunde in Canada einen Biber. Derselbe war noch sehr jung, klein und wollig und ohne das lange Haar, an welchem man das völlig erwachsene Thier erkennt. Es war das einzige am Leben gebliebene von fünf oder sechs Exemplaren, die gleichzeitig in Amerika eingeschifft worden waren. Er befand sich bei seiner Ankunft in einem sehr kläglichen Zustande, war sehr abgemagert und das Fell über und über mit Pech und Theer beschmutzt. Durch gute Behandlung ward er bald wieder gesund gemacht; er wuchs zusehends, ward rund und fett und der Pelz sauber und glatt. Er ward sehr zahm und zutraulich. Wenn man ihn bei seinem Namen, Binny, rief, so antwortete er gewöhnlich mit einem leisen klagenden Tone und kam auf seinen Herrn zu. Der Teppich vor dem Herde war während der Winterabende sein Lieblingsaufenthalt und er lag auf demselben der Länge nach ausgestreckt, zuweilen auf dem Rücken, zuweilen auf der Seite, zuweilen auf dem Bauche, wobei er seine Zehen mit den Schwimmhäuten dazwischen ausbreitete, um die behagliche Wärme des Feuers darauf einwirken zu lassen.

Sein Trieb zum Bauen entwickelte sich sehr bald. Ehe er noch eine Woche in seinem neuen Quartiere war, machte er sich, sobald er aus seinem Käfig gelassen ward und Materialien in seiner Nähe fand, sofort an die Arbeit. Seine Kräfte waren schon, ehe er zur Hälfte ausgewachsen war, sehr bedeutend. Er schleppte einen großen schweren Borstbesen oder eine Wärmflasche, indem er den Griff derselben mit den Zähnen faßte und sich sie über die Schulter legte. So kroch er mit der Last in schiefer Richtung weiter, bis er die Stelle erreichte, wo er den Gegenstand hin haben wollte. Die größten und schwersten Dinge nahm er allemal zuerst in Angriff und zwei der längsten Gegenstände legte er gewöhnlich kreuzweis über einander, so daß das eine Ende die Wand berührte und das andere in das Zimmer hinausragte. Den durch die übereinandergelegten Besen und die Wand gebildeten Zwischenraum füllte er mit Bürsten, Büchern, Stiefeln, Stöcken, Kleidern, Torfstücken und andern dergleichen Dingen aus. Wenn der Bau eine gewisse Höhe erreicht hatte, stützte sich der Biber auf seinen Schwanz und machte öfters Pausen, während welcher er seine Arbeit zu betrachten und zu kritisiren

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Savovardenknabe
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_502.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)