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mir vor wie ein Edelstein, der nur für den Kenner Werth hat. Denkt daran, Eckhard, und sorgt dafür, daß sich Philipp nicht in die schöne Larve verliebt. Marianne achtet ihn wie einen theuern Bruder, aber heirathen kann sie ihn nie. Wollte man sie dazu zwingen, so würde man eine Grausamkeit gegen Beide begehen. So, Mutter, sprachen wir noch lange, und als ich nach Hause kam und unsern Sohn mit den Pferden in den Stall ziehen sah, gesund und fröhlich, da fühlte ich, daß der Oberst Recht hatte und daß ich Alles aufbieten müßte, um den Seelenfrieden des wackern Jungen zu erhalten.“

Vater Eckhard zog nun seinen blauen Sonntagsrock an, nahm den Hut von einem Nagel an der Wand, ergriff einen Kantschu, der an demselben Nagel hing, und ging in ernster Stimmung aus dem Zimmer, ohne von seiner alten Lebensgefährtin Abschied zu nehmen. Das Mütterchen stand nachdenkend am Fenster und sah durch die hellen Scheiben in den Hof hinaus, wo Marianne’s Bote zu Pferde stieg. Gleich darauf kündigten Hufschläge an, daß er durch das Thor in das Freie ritt. Das Mütterchen verließ kopfschüttelnd das Zimmer, sie konnte das Alles nicht begreifen, was sie so eben gehört hatte. Nach ihrer Ansicht mußten sich nothwendig zwei junge Leute heirathen, die sich so lange einander gut gewesen waren.

Noch denselben Morgen kam ein Bote von dem Schlosse und brachte sämmtliche Sachen, die Marianne in ihrem Zimmer zurückgelassen hatte. Am Mittag kehrte Vater Eckhard zurück.


VI.

Franziska sah sich am Ziele ihrer Wünsche, sie war die Herrin der reichsten Besitzung in der Provinz. Nachdem sie dem Gerichtshalter, der ihr volles Vertrauen besaß, die Leitung auch der außergerichtlichen Angelegenheiten übertragen, ging sie nach der Residenz zurück, um dort den Winter zu verleben. Der Triumph über Marianne, die man stets als die Pflegetochter des Barons von Adersheim mit ihr zusammengestellt hatte, erfüllte sie mit einer Art verzweiflungsvoller Freude, denn es gab immer noch eine Stimme in ihrem Innern, die ihr sagte, daß sie gegen das junge Mädchen zu weit gegangen sei. Um sich zu beruhigen, fragte sie sich:

„Was würde sie, die unbestreitbar meine ärgste Feindin ist, gegen mich unternommen haben, wenn sie die Siegerin gewesen wäre? Während ich der allgemeinen Lächerlichkeit anheimgefallen wäre und mit Noth und Entbehrung gekämpft hätte, würde sie, die reiche Erbin, die Bewerbungen Walther’s angenommen haben, der, weil er arm ist, nach Vermögen heirathen muß. Ich mußte sie ganz vernichten, um ganz mein Ziel zu erreichen. Aber was beginne ich, wenn er sich mir wieder nähert?“

Diese Frage wagte sie nicht sich zu beantworten. Der Stolz forderte sie auf, den treulosen Mann zu verschmähen, aber die heftigste Leidenschaft trieb sie an, auch die leiseste seiner Annäherungen zu einem neuen Anknüpfungspunkte zu benutzen. Ihr Kopf lag mit dem Herzen in einem Streite, der ihr selbst unter den eingetretenen glücklichen Verhältnissen das Leben zu einer Pein machte. Der Gedanke, wie glücklich sie jetzt sein könne, wenn Walther sich nicht von ihr abgewendet hätte, erfüllte sie mit einem unbeschreiblichen Grolle. Sie besaß alles, was das Leben freudenvoll machen konnte, aber das Herz, das leidenschaftlich liebte, fand keine Befriedigung. Die ganze Schwere ihres Hasses fiel auf die arme Marianne, und es gab Augenblicke, in denen sie mehr vor Zorn als vor Kummer weinte. Die Eifersucht trug das Ihrige dazu bei, den peinlichen Zustand der armen reichen Dame zu erhöhen. Daß Walther seit der für sie glücklichen Wendung der Dinge noch nicht wieder erschienen war, hielt sie für einen Beweis seiner aufrichtigen Liebe zu der Tochter des Bauers. Ihr zärtliches Verhältniß zu dem schönen jungen Manne war kein Geheimniß gewesen, auch wußte sie, daß Walther’s Aufmerksamkeiten sie nicht selten zum Gegenstande des Neides gemacht hatten – welch ein Triumph mußte es nun der Welt sein, wenn sie selbst als die Besitzerin eines großen Vermögens verschmäht würde.

Ihre erste Sorge in der Residenz war die, über Walther’s Leben Erkundigungen einzuziehen. Hierzu bedurfte sie einer vertrauten Person. Wen konnte sie dazu wählen? Nach einer schlaflos verbrachten Nacht, in der Stolz und Liebe einen heftigen Kampf gekämpft, hatte sie die Ansicht gewonnen, daß sie sich einer von ihr völlig abhängigen Person anvertrauen müsse. Sie erinnerte sich der Freude und Anhänglichkeit des alten Kammerdieners, die er bei ihrem Erscheinen auf Adersheim so unverhohlen geäußert – und die Wahl fiel auf ihn. Gottfried war mit ihr zur Stadt gekommen, um bei der Einrichtung des neuen Hauswesens behülflich zu sein. Sie ließ ihn rufen. Als der Greis in das prachtvolle Boudoir trat, streckte sie ihm, mit großer Herablassung lächelnd, die kleine weiße Hand entgegen.

„Gottfried,“ begann sie, „Ihr werdet in der Stadt bleiben müssen.“

Der Alte sah sie verwundert an. Die ungewöhnliche Freundlichkeit sowohl als dieser unerwartete Befehl fielen ihm auf.

„Sollte ich draußen zu entbehren sein?“ fragte er.

„Wenn auch das nicht, mein alter Freund,“ gab sie mild zur Antwort, „so ist es mir dennoch angenehm, wenn Ihr in meiner Nähe seid. Ich weiß nicht, woher es kommt – aber die Erinnerung an meine Jugend erwacht so heftig, daß ich den Wunsch nicht unterdrücken kann, alte befreundete Personen stets um mich zu sehen. Mit dem Antritte meines Besitzes finden sich auch so manche Sorgen ein, die ich gern mit bewährten Freunden theile. Und nicht wahr, ich darf Euch dazu rechnen?“

„O gewiß, mein gnädiges Fräulein,“ rief bewegt der Greis, „das können Sie! Es giebt wohl keinen Menschen in der Welt, der mehr an Ihrer Familie hängt, als ich. Bin ich doch unter den Augen der Barone von Adersheim grau geworden. Wäre ich nicht Ihr Diener, so möchte ich Ihr Vater sein.“

Der Greis küßte die Hand des jungen Mädchens.

„So bleibt Ihr also in der Stadt, Gottfried. Der Diener meines guten Onkels soll von jetzt an befehlen – Ich ernenne Euch zu meinem Intendanten. Ihr werdet die Aufsicht über Haus und Dienerschaft führen. Verlebt Euere alten Tage in Ruhe und Gemächlichkeit, denn ich betrachte Euch wie ein Vermächtniß, das man heilig halten muß.“

„Du lieber Gott, Was sollte ich fünfundsechzigjähriger Mann auch beginnen, wenn das liebe Fräulein sich meiner nicht annähme? Aber wahrlich, das habe ich erwartet,“ fügte er freudig bewegt hinzu, „denn schon das kleine Fränzchen, als ich es noch spielend auf meinen Armen trug, war ein lebhaftes, muthwilliges Kind und hat mich gar oft, wenn es bös wurde, dergestalt in dem Schnurrbarte gezwickt, daß mir die Thränen aus den Augen liefen – aber nie habe ich mich darüber beklagt, weil ich wußte, daß es schon in der nächsten Viertelstunde wiederkam, mir mit den kleinen zarten Händchen den Bart streichelte und mich den alten guten Gottfried nannte. Dann war Alles vergessen und wir waren wieder die besten Freunde.“

Franziska sah den Kammerdiener mit strengen Blicken an.

„Was wollt Ihr damit sagen?“ fragte sie in einem völlig veränderten Tone.

Der alte Mann nahm seinen ganzen Muth zusammen, um zu antworten.

„Daß das gnädige Fräulein ein gutes, weiches Herz hat und daß es Niemandem lange böse sein kann, auch wenn etwas vorgefallen ist – –“

„Das man eigentlich nie wieder vergessen sollte!“ fügte sie rasch und in einem scharfen Tone hinzu. „Ich verstehe Euch, Alter! Ihr wollt einer Person das Wort reden, die mich tödtlich beleidigt hat. Ich soll vergessen, daß Marianne, Euer Lieblingskind, mir so lange die Gunst meines Onkels gestohlen und daß heute das Vermögen der Familie Adersheim sich in ihren Händen befände, wenn sie den Lauf der Dinge hätte bestimmen können. Jene Marianne ist eine Schlange, obgleich sie äußerlich einer sanften, unschuldigen Taube gleicht. Daß ich sie vergesse, ist Alles, was ich für sie thun kann – hört Ihr, Alter, Alles, aus Rücksicht für das Andenken des Verstorbenen, der an ihr mit väterlicher Liebe hing.“

„Gnädiges Fräulein, Sie haben das arme Mädchen in einem um so schlimmern Verdachte, als er völlig ungegründet ist. Entweder kennen Sie Mariannen nicht, oder man hat sie bei Ihnen schmählich verläumdet. Es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß ich Ihrem seligen Onkel mehr ein Freund, als ein Diener war – in dieser Stellung erfuhr ich so Manches und bei meinem grauen Haupte schwöre ich es, daß Marianne nie – –“

„Genug!“ rief Franziska, deren Wangen die Purpurröthe des Zorns überflammte. „Wenn Ihr nicht wollt,“ fuhr sie hinfort,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_511.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2016)