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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Sie forderten mehr und mehr der Gaben und Gerechtsame für sich; ja, sie sandten eigends Priester hin an Stelle der Priester aus Stedinger Blut, vorgebend: diese lehrten nicht mehr das wahre Christenthum.

Die Stedinger knirschten und brüteten in fürchterlicher Stille; es ging durch das Land wie Kohlendampf vom Mailer, und nur noch ein Stoß – dann mußte der Dampf auseinanderschlagen zu fürchterlicher Lohe. So stand es um der Stedinger Land und Leute beim Beginne unserer Geschichte.




II.
Der Beichtpfennig.

Es war im Sommer des Jahres 1231, da zogen die Stedinger Männer mit ihren Frauen und Kindern nach Elsfleth zur Sonntagskirche; aber nicht so frisch und fröhlich und christlich-andächtig, wie sonsten, denn der Priester, der ihnen dort das heilige Abendmahl austheilen sollte, war ihnen gesetzt worden von Bremen aus, und mancherlei Klagen sprachen gegen seine Forderungen, die nicht nach Recht und Brauch. Es war ein stiller Kirchengang. Am Stillsten von Allen war die Margarethe, des Frohnboten Klaus vom Ipenhof Weib. Sie trug schon hoch ein Kind unter dem Herzen und wollte heute den letzten Kirchgang thun vor der schweren Stunde; wollte das Abendmahl nehmen als Stärkung, und als Sicherheit, wenn ihr ein Unglück begegnen sollte. Deshalb auch hatte sie gestern gebeichtet, recht andächtig und offenherzig, aber dem ungeliebten Priester einen kleinen Beichtpfennig gegeben; eben darum so klein, weil der Priester so viel gefordert hatte.

Nun war der Margarethe, sie wußte nicht wie; es schwante ihr ein Unglück. Aber sie sprach kein Wort davon, und als sie in die Kirche kam, wurd’s ihr wieder ruhig und erbaulich zu Sinne. Nun las der Priester die Messe, dann ladete er ein mit schönem, frommem Worte heranzutreten an heiliger Stätte und das Mahl zu empfangen. Da wurd’s dann Allen feierlich still zu Gemüthe und sie kamen heran, den lauten, wuchtigen Schritt dämpfend zum heiligen Rundgang. Feierlicher Gesang klang hernieder, Weihrauchwolken wallten hinauf und alle Herzen schlugen leise und andachtsvoll. Da auf einmal ein fürchterlicher Schrei aus einer Weiberbrust und ein Klingen auf dem steinernen Fußboden.

Der Schrei kam von der Margarethe und das Klingen von dem Pfennige, den sie gestern dem Priester gegeben, den dieser ihr jetzt statt der geweihten Hostie in den Mund gesteckt, und den sie mit jenem Schrei dem Priester in’s Antlitz gespuckt hatte.

Laut rief sie das hin durch die Stille der Kirche. Wie ein Tiger sprang Klaus, ihr Mann, hervor, hin auf den Priester; der floh entsetzt davon.

Jetzt brach der Aufstand fürchterlich los: der heilige Wein floß auf der Erde wie Blut, die Hostien flogen umher wie Flocken, donnernder Racheruf brach sich an den Wänden, die Fenster klirrten, zitterten, fielen zusammen, Kanzel und Altar nach, – und während die Frauen der todtkranken Margarethe Hülfe gaben, stürmten die Männer dem Priester nach, dem die Todesangst Flügel zu geben schien. Die Voigte der Grafenburgen waren mit Reisigen in der Nähe, griffen ihn und führten ihn hin zu den starken Burgen.

Aber das Klingen des Pfennigs schwoll an zu einem fürchterlichen Orkan. Der letzte Stoß war gegeben: der Kohlendampf schlug auseinander zu gewaltiger Lohe. In wenigen Tagen waren die Burgen Trümmer, unter denen der Priester, die Voigte und viele Reisige lagen; kein oldenburger Mann war im weiten Umkreis mehr zu sehen, und nach der bremischen Grenze, zwischen Ockthum und Lintow, erhob sich ein haushoher Steindamm neben einem breiten Graben, eine starke Brücke über die Acht, von wehrhafter Mannschaft stark gehütet. Einmal versuchten es die oldenburger Grafen hier rächend einzudringen, und büßten es mit Tausenden; dann blieben sie zurück, doch nur, um den rechten Augenblick zu erspähen.

Der Erzbischof von Bremen forderte Auslieferung der Mörder seines Priesters, doch vergebens. Da wurden die Stedinger in den Bann gethan; der einzige Priester ihres Stammes mußte dem strengen Gebote seiner Kirche folgen und die Gebannten verlassen. Vor Allen verflucht wurde die entweihte Kirche zu Elsfleth, und die Stedinger selbst sahen sie nur mit Grausen an, und bauten weit von ihr ab ihre Häuser. Sie blieb so verlassen, daß im Winter über das Eis herübergekommene Wölfe ihre Jungen darin warfen, und wenn die Alten dabei heulten, klang das schauerlich hin durch die öde kalte Nacht, schauerlich den Stedingern durch Kopf und Herz. Sie glaubten sich selbst dann zu hören, wie sie einst da geheult hatten in Wuth und Rache. So hat die Kirche noch zwei Jahrhunderte gestanden, da kamen auf einmal die Wogen der Weser, und nahmen das fürchterliche Wahrzeichen der Volkswuth in ihre vernichtenden Arme.




III.
Die Botschaft.

Unter einer riesigen Linde im Dorfe Bardenfleth hielt der Schultheiß Bolko von Bardenfleth sein freies Gericht. Im länglichen Rund saßen 14 Schöffen ihm zur Seite; Alle in kurzen Mänteln und bloßen Hauptes; nur der Schultheiß hatte das schneeweiße Haupt bedeckt und hielt in der braunen Faust den langen weißen Stab seiner Würde, der hier geehrt und gefürchtet wurde, mehr als da außen das Zepter des mächtigen Kaisers. Ein langer Mantel floß von seinen breiten Schultern herab um die mächtigen Glieder, und sein ernster, weiter Blick ging ehrfurchtgebietend von seinen Schöffen hinüber zur Menge, die sich vor dem mit Haselstäben und Schnüren gehegten, Rund des Gerichtsplatzes aufgestellt hatte. Zu seiner Rechten saß der Schöffe Detmar von Dieke, zu seiner Linken der Schöffe Thanno von Huntorp; neben an der Schöffe Enno von Waldhalden; das waren die gewaltigsten, weisesten und klügsten Männer des Stedinger Landes, die aber Alle er selbst an Gewalt, Weisheit und Klugheit überragte. Vor der Schranke stand Klaus vom Ipenhof, der Frohnbote; vor drei Jahren war er Vater geworden; in derselben Nacht, da die Burgen brannten und die Voigte mit dem bremischen Priester zu Tode fielen. Von der Stunde in der Kirche an, hatte er einen furchtbaren Haß geworfen auf Alles was Priester und Adel hieß, und die Leiden seines Weibes, die in Folge jener Stunde sehr schmerzlich geboren hatte, senkten ihm tief in’s Gemüth die Schwüre unversöhnbarer Rache. Aber kalt wie Marmor von außen, gleichgültig, trotzig wie ein abgesägter Eichenstamm, so stand er da vor den Menschen, so stand er jetzt vor der Schranke, so rief er jetzt nach altem Brauch:

„Herr Schultheiß! Draußen stehen zwei Männer, die begehren Recht.“

„Wer ist’s?“

„Pater Hieronymns, dereinst unser Landesmann und Priester, der uns verlassen mußte, als der Bann über uns erging. Ihn sendet der Erzbischof Gerhardt von Bremen.“

„Seltsam, seltsam!“ sprach der Schultheiß, und in sonderbarer Scheu, in einem Gemisch von alter Liebe und neuem Haß, ging dieses „Seltsam“ durch den Kreis der Schöffen und hinüber durch die Menge.

„Der Andere?“ fragte jetzt der Schultheiß.

„Junker Georg von Oldenburg-Schmidtstein, Neffe und Erbe den regierenden Grafen Burkhardt von Oldenburg und von diesem gesendet.“

Die letzten Worte konnte man kaum verstehen, denn so wie der Klaus den ersten Namen gesagt hatte, da war’s auch losgegangen, nah und weit, als wenn man fern das Meer branden hört oder ein Gewitter sich bricht in engen Thalwänden.

„Wollen die von Oldenburg wieder anfangen? Ich dächte, sie hätten genug:“ so rief es hier.

„Seit wir sie bei Himmelskamp trafen, hätten sie doch merken sollen, daß sie uns nichts anhaben können,“ so rief es dort.

„Es ist kein gut Zeichen, wenn die Boten von Adel und Kirche zusammengehen!“ rief’s aus der Mitte.

Der Schultheiß aber winkte Ruhe und sprach dann: „Wir wollen sie hören, ohne Sorge wie ohne Trotz. Frohnbote, führe sie zu uns.“

Der Frohnbote ging fort, während eine schwüle Ruhe entstand und doch Alle neugierig hinschauten, woher die Erwarteten kommen mußten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_534.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)