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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Wahre, gründliche für’s Leben brauchbare Frauenbildung kann, wie jede andere wahre Bildung, nur das Werk und die Frucht eines ganzen, mit Ernst und Eifer darauf gerichteten Lebens sein. Sie muß früh begonnen, mit Ausdauer fortgesetzt und niemals als abgeschlossen betrachtet werden; sie muß Körper und Geist gleichmäßig umfassen und jede Kraft dieses letzteren in der ihr eigenthümlichen Richtung entwickeln und stärken, das Gefühl läutern, den Willen festigen, den Verstand aufklären um so jene Harmonie des Lebens zu schaffen, welche, wie ich im Eingange sagte, die wahre geistige Gesundheit und die schönste Blüthe menschlicher Bildung ist.




Blätter und Blüthen.

Die Sechshundert von Balaklava. Die Dreihundert Helden von Termopylä, die Vierhundert von Pforzheim und die Sechshundert von Balaklava haben in der ganzen Geschichte nicht ihres Gleichen, denn ähnlichen Beispielen heroischen Todesmuthes begegnet man hier und da blos noch in einzelnen Helden, den Horatiern und Curatiern, Curtius, Arnold von Winkelried.

Versetzen wir uns gleich mitten in die tollkühnste, verwegenste, furchtbarste aller Kriegsscenen vom 25. October. Die Russen hatten bei ihrem großen Ausfalle auf die Belagerer Sebastopols den Engländern mehrere Kanonen genommen. Es galt sie wieder zu erobern. Türken und Engländer waren mit dem Versuche, sie dem in der Zahl und Position weit überlegenen Feinde wieder abzunehmen, gescheitert. Vor sich hatten die Alliirten ein Thal, dessen beide Höhen auf beiden Seiten mit Kanonen und dessen Ausgang nach Sebastopol hin, wo die eroberten Kanonen waren, mit langen Doppelreihen von Cavallerie und im Hintergrunde mit dichten Massen von Infanterie bedeckt wurden. Aber es galt doch, sie wieder zu holen. So wurden 627 Mann leichte Cavallerie beauftragt, den Versuch zu wagen, strategisch und menschlich genommen der tollkühnste Wahnsinn, aber in seinem kurzen und tragischen Verlaufe eine der erhabensten Erscheinungen persönlichen und vereinten Todesmuthes, für welchen man in der menschlichen Brust und in den gegebenen Verhältnissen bis jetzt vergebens nach einer genügenden Erklärung sucht.

Der furchtbare Kampf ruht im Thale und auch auf den Höhen umher zwischen unzähligen Verstümmelten und Leichen. Die Sechshundert sprengen in die Mitte herein. Die Trompeten schmettern, die Säbel blinken. Von beiden Seiten blicken die lauernden schwarzen Schlünde der feindlichen Kanonen und im Hintergrunde Fernröhre und Augenwaffen der Freunde auf sie herab, wie aus Theaterlogen. Vor ihnen dehnen sich zwei dichte lange Reihen russischer Cavallerie, die eroberten Kanonen zu schützen. Die Tollkühnen beschließen, diese Doppelreihe, jede einzeln ihnen bei Weitem überlegen, zu durchbrechen. Sie rücken vor, anfangs in gemäßigtem Schritt, dann unter Trompetengeschmetter, Hurrah rufend, Säbel schwingend immer schneller und schneller, bis sie gegen die erste russische Phalanx anprallen und die Säbel von beiden Seiten in Pferde- und Menschenfleisch wüthen. Nach einigen Minuten liegen Hunderte todt und verstümmelt zwischen und unter Pferden. Einzelne der letztern fliehen schnaubend, zitternd und rathlos im Thale. Aber die erste Reihe ist durchbrochen. Der Rest sprengt Hurrah rufend, Mützen und Säbel schwingend gegen die zweite Phalanx, während die erste sich wieder ordnet, um eine Phalanx hinter dessen Rücken zu bilden und ihn von beiden Seiten nieder zu mähen. Die zweite Phalanx, dreifach, vierfach überlegen haut die anprallenden Helden zur Hälfte nieder. Die andere Hälfte wird von der Gewalt der Massen zurückgedrängt, so daß sie auf die erste, vorher durchbrochene Colonne stößt, um sich hier abermals durchzuschlagen. Von den Kanonen auf den Höhen und Feindesmassen ringsum zu mehr Todten und Zerhauenen und Zertretenen, als Lebenden, nieder gemacht, werfen sich die noch Sattelfesten, obwohl auch vielfach blutend und mit dem Tode ringend, auf die neu gebildete Cavalleriemauer des Feindes. Man sieht, er will seine Schuldigkeit thun d. h. in diesem Falle, er will noch todtmachen, was todtgemacht werden kann. Das findet man im Kriege nicht nur in der Ordnung, sondern auch höchst tugendhaft. Dagegen läßt sich nicht rechten, ohne sich lächerlich zu machen. Der Krieg mit seinen Regeln und historischen Tugenden ist einmal eine „alte Gerechtigkeit,“ gegen welche die neue juristische, nach welcher die Feinde sehr feierlich, umständlich und einzeln erst zum Tode verurtheilt und dann später sehr ceremoniell abgethan werden, viel zu langweilig sein würde.

Aber aus den schwarzen Schlünden auf den Höhen blitzen ungeheuere Feuerbüschel und zischen ungeheuere Eisenkugeln herab und brüllen krachende Donner durch das Thal und füllen es mit dicken Pulverdampfwolken. Die Kugeln der Russen reißen hier mehrmals blind in Freund und Feind hinein, die sich im ehrlichen Schwerterkampfe gegenseitig zerhacken. Die Kugeln von den Höhen reißen ohne Wahl Freund und Feind massenweise in Stücken. Die 600 Reiter Englands und Schottlands finden einige Collegen in der Geschichte, diese Kanonendonner stehen wahrscheinlich ohne Beispiel da in der Historie aller Kriege, selbst der Religionskriege. Man sollte meinen, selbst das Kanonenmetall, selbst die blinden eisernen Kugeln hätten, erschreckt und erweicht von der Erhabenheit dieses wahnsinnigen Heldenmuthes und zurückbebend vor der Zumuthung, blindlings auch die Freunde mit massenweise niederzureißen, hier ihre Dienste versagen müssen. Nein, keine Regung der Menschlichkeit, weder in dem Metalle, noch in der Lunte, noch im Pulver, noch in den Händen und Herzen der russischen Artillerie. Die Kanonen schmettern Freund und Feind in brüderliche Haufen von todten, blutenden, zuckenden und stöhnenden Pferden und Menschen, aus denen blitzende und blutige Säbel, Pferde- und Menschenbeine erst zuckend und schlagend, dann bald starr und steif hervorragen. Von den 627 Reitern kehrten nur 189, auch zum Theil zerhauen und verstümmelt zurück. Die 438 Leichen (ohne die russischen) waren die martialische Schöpfung noch nicht einer vollen Morgenstunde.

Als die Namen der 627 nach dieser Morgenstunde verlesen und aufgerufen wurden, antwortete auf den Schall dieser noch kurz vorher volle frische Mannesblüthe bedeutenden Namen 438 Mal ein furchtbares, beredtes Schweigen. Dieses Schweigen klang entsetzlich bis herüber nach England und ruft in unzähligen Herzen die schreiendsten Klagen wach. Dieses Schweigen bekam Tausende von Stimmen in der Presse, in der Breite des Volks und drang bis in die geheimnißvollen Höhen des Friedensministeriums, das nun nach langem Diplomatisiren und Glauben und Hassen und Lieben desto unbarmherziger und tiefer in die wüthende Nemesis eines 40jährigen, still und lächelnd gegen seine eigene Gesetze und Grundrechte handelnden und schachernden und Völker und Städte und Länder kaufenden und verkaufenden diplomatischen Friedens hineingerissen wird. Die 438 im Tode Schweigenden rufen nach Verstärkungen, nach Ersatz, nach Ernst und Prinzip des Krieges und fordern, daß er wirklich ein ehrlicher Krieg werde, der diesen Todesmuth, diese erhabene Leidenschaft sich rücksichtslos opfernden Heroismus nicht beschimpfe.




Lebendig-Begrabene giebt es nach den angestellten Beobachtungen in Frankreich ohne Zweifel in großer Menge, denn im Laufe einiger Jahre wurden 52 Fälle bekannt, in denen Lebendig-Begrabene noch vor ihrem Tode wieder ausgegraben wurden, und 53, in denen man die Unglücklichen mit abgenagten Händen und Armen, mit zerkratztem Gesicht und zerschlagenem Schädel fand. Der unlängst verstorbene berühmte Chemiker Julia von Fontenella hat allein mehr als zweihundert der schaudererregendsten Fälle des Lebendig-Begrabenwerdens beobachtet. Allein man kann sich nicht wundern, daß diese Zahl so groß, sondern nur, daß sie nicht noch größer ist; denn die Beerdigung ist schon vierundzwanzig Stunden nach erfolgtem Absterben gestattet. Wenn auch ein Beamter den wirklich erfolgten Tod zuvor zu bestätigen hat, so giebt es doch, zumal auf dem Lande, so viele Unwissende, mit dieser Bescheinigung beauftragte Beamte, daß sich mit Gewißheit annehmen läßt, es werden in Frankreich alljährlich eine Menge Menschen lebendig begraben, zumal da, wo der muthmaßliche Tod durch solche Krankheiten herbeigeführt wurde, die oft eine längere Hemmung aller Lebensfunktionen zur Folge haben, und deren die Arzneikunst funfzehn verschiedene Arten zählt.






Allgemeiner Briefkasten.

K. in B–n. –. Schilderung einer Gesellschaft Frömmler. Eignet sich nicht für unser Blatt. Wir lassen Jeden nach seiner Façon selig werden. Wenn Sie am Schluß fragen, weshalb es jetzt so viele Kopfhänger gäbe, so ist die Antwort nicht schwer. – Weil wenig Menschen Geist, Kraft und gutes Gewissen genug besitzen, den Kopf aufrecht zu halten. Frömmelei (nicht zu verwechseln mit Frömmigkeit), Kopfhängerei und Mysticismus sind gegenwärtig die Modetrachten, in welchen sich eitle Thoren, Heuchler, Betrüger, Fanatiker und Narren in die gute Gesellschaft einschleichen – die Pinsel sich auf die leichteste Weise einen Anstrich von Verstand und die Schurken das Ansehen von Gemüthlichkeit geben. Und bedenken Sie vor Allem: der Glaube und der Geldbeutel sind leider bei vielen Leuten die nächsten Blutsverwandten. –

M. in Lpz. Sie wünschen Aufschluß über den Schenkel der Schwanthaler’schen Venus in Nr. 594 der Illustrirten Zeitung? Wahrscheinlich ist er gebrochen und von Dr. R. in L. geheilt worden.

F. in Wien. Raisonnirende Artikel über die Moral in der heutigen Politik. Für unser Familienblatt nicht passend, folgt deshalb nächstens zurück. Die Moral in der Politik hat übrigens stets den Consequenzen des Nützlichkeitsprincipes weichen müssen. Vergessen Sie nicht, daß Carl der Große mehr als hunderttausend Sachsen würgen ließ, weil sie keine Christen werden wollten, während sein Sohn Lothar denselben Sachsen wiederum das Heidenthum erlaubte, wenn sie ihm den Bruderkrieg ausfechten würden.

H. in Dresden. Sie ärgern sich, daß die Deutsche Allgemeine Zeitung Nachrichten aus der Krim unter der Rubrik: „Türkei“ bringt, als ob die Krim schon türkisch wäre. Warum soll unser harmloses Blatt diese unblutige Eroberung einer Leipziger Zeitung anfechten? Das ist Sache der Russen.

Die Redaktion. 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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