verschiedene: Die Gartenlaube (1854) | |
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No. 51. | 1854. |
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Weihnachtslied.
Weihnacht rufet wach die Freude,
Weihnacht ruft auch wach den Schmerz;
Tönt hier frohes Festgeläute,
Bricht dort manch’ bekümmert Herz.
Sich im Zimmer fühlt allein,
Wenn die Sonne, froh beglückend,
Alles lockt in ihren Schein –
So auch fühlt sich mehr verlassen –
Der im Elend durch die Gassen
In der Weihnacht wandern muß.
Leuchten Euch so viele Lichter,
Findet manches doch noch Raum:
Wo sonst glänzt kein Weihnachtsbaum.
Fließen Thränen – nicht aus Sorgen –
Freudenthränen sollen’s sein!
Thränen wie der Thau am Morgen
Wenn das Aug’, das freudig weinet,
Mit dem Aug’, das freudig lacht,
Sich zu einem Glanz vereinet,
Giebt’s die schönste Weihenacht.
Leuchtend schrieb’s des Himmels Hand:
Als ein Sternlein die drei Weisen
Führte aus dem Morgenland.
Laßt es niemals anders werden,
Ist das Elend groß auf Erden,
Soll die Freude größer sein.
Karl Schwarz.
Der Sommer war fast vorüber, und noch immer zeigte sich an der armen Cäcilie keine heilsame Veränderung; es schien vielmehr, als ob die Einsamkeit ihre schwärmerische Liebe vermehrte. Die Harfe, ihr Lieblingsinstrument, das sie mit meisterhafter Fertigkeit spielte, ergriff sie nur, um ihre Leiden und ihre Schwermuth in Tönen wiederzugeben. Das Herz der jungen Blinden barg unzählige unterdrückte Wünsche, so unbestimmte, so flüchtige, so unmerkliche Nüancen der Leidenschaft, daß man sie kaum mit dem Dufte der Blumen vergleichen kann, mit dem Gewölke, den Lichtstrahlen, den Schatten, mit Allem, was in der Natur einen Augenblick glänzt und verschwindet, sich wieder belebt und stirbt, indem es tiefe Bewegungen in der Seele zurückläßt. Wie das Auge eine schöne Gestalt erfaßt und dem Herzen einprägt, das das Bedürfniß nach Eindrücken empfindet, so erfaßte Cäcilien’s Ohr den Zauber der Stimme, um die in ihrer Brust erwachte Sehnsucht daran zu sättigen. Ihre Schwingungen, deren Reiz und Ursprung in der Seele selbst liegen, wirken doppelt auf das Herz eines armen blinden Wesens, und bei Cäcilie, der aufblühenden Jungfrau, hatte die Stimme des begeisterten Predigers so klare Gedanken erweckt, daß sie die Auflösung des ganzen Lebens bewirkte. Lange hatte Cäcilie ihre geistige Liebe bewahrt und in jenen ersten unendlichen, so furchtbaren Wonnen geseufzt, bis endlich die Hoffnungslosigkeit, diese Gefährtin unerwiederter Liebe, eine stille Melancholie erzeugte, welche die zärtliche Mutter mit Besorgniß erfüllte. Sie sah ihr Kind unter den Qualen einer so ausschließlichen Leidenschaft langsam dahinwelken. Es gab keinen Balsam für diese brennende
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_617.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)