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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Steppe der Krim, wo Hunderte von russischen Transportwägen mit ihren Lasten und Ochsen schon auf Tod und Leben mit Schmutz und Nacht kämpften. Hier packte er Wagen und Menschen und Vieh und schleuderte sie umher und in Sümpfe und begrub sie in Schnee und vernichtete so die ganze Karavane, vielleicht um zu zeigen, daß er es nicht blos auf die Alliirten abgesehen habe, und als Censor der christlichen Phrase, daß der liebe Gott Partei genommen und den Feind exemplarisch heimgesucht habe.




Blätter und Blüthen.

Ein Institut für blödsinnige Kinder. Während es zur Heilung für fast alle körperlichen Gebrechen wie zur passenden Unterrichtung der Unglücklichen, die damit behaftet sind, eine Menge Anstalten giebt, wie die große Zahl der Taubstummen-, Blinden- und orthopädischen Institute beweisen, sind die Anstalten für Geistesschwache und Blödsinnige äußerst selten, besonders solche, in denen solche Unglückliche nicht versorgt, sondern gebildet und geheilt werden. Darum eilen wir, die Gründung einer solchen Anstalt zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. Es ist dies ein Unternehmen des Dr. Heinrich Herz und seiner Gattin in Meißen. Nachdem ihm die sächsische Regierung die Concession dazu ertheilt, hat derselbe eine Anstalt für Geistesschwache und Blödsinnige eröffnet, in der Nähe Meißens, ohnweit Dresden in einer der anmuthigsten und gesündesten Gegenden, auf dem Plossen, wo er sich seit Kurzem niedergelassen. Die Aufgabe der Anstalt ist: Geistesschwache und Blödsinnige, sei ihr Zustand angeboren, zugefallen oder lediglich durch Fehler der Hauserziehung entstanden, – durch Körperpflege, Erziehung und Unterrichtung zu geistiger Gesundheit soweit thunlich heran- oder umzubilden. Die Anstalt nimmt sowohl Kinder als Erwachsene beiderlei Geschlechts auf, sobald ihr geistiger Zustand die Annahme der Besserung zuläßt und nicht mit unheilbar schwerer Krankheit oder zu großer Körpergebrechlichkeit verbunden ist. Sprachlosigkeit ist kein Hinderniß der Aufnahme, wohl aber Taubstummheit. – Der Eintritt kann zu jeder Zeit Statt finden, sobald durch vorhergegangene Prüfung die Bildungsfähigkeit des Aufzunehmenden festgestellt ist.

Wirkliche Besserung des Zöglings ist die Hauptaufgabe der Anstalt und wird darauf hin mit den verschiedensten Mitteln gewirkt, je nachdem sie der Zustand des Zöglings erheischt. Doktor Herz, der sich außer dem Studium der Philosophie besonders der Pädagogik und den Naturwissenschaften zugewendet hatte, hat sich auf diesen Gebieten einen seltenen Schatz von Erfahrungen erworben, die ihn vorzugsweise zu dem jetzigen Beruf geeignet machen. Auch seine Frau (bekannt als Verfasserin eines tüchtigen Buches: „Hauserziehung und Kindergärten“) besitzt eine eigenthümliche Begabung für denselben. Seit ihrer frühesten Jugend hat sie sich mit Kindern lehrend und erziehend beschäftigt und dabei die tiefsten Blicke in das Dasein der Kinderwelt gethan. Später hat sie in diesem Fach sowohl praktisch als theoretisch (lehrend zugleich durch Wort und Schrift) jahrelang mit der angestrengtesten Thätigkeit gewirkt und was früher aus Neigung und Kinderliebe, später humanes Streben und der Wunsch Gutes zu stiften und wohlzuthun, auch eine höhere Weihe zu unterstützen als in der pekuniären, ein bewußter Beruf geworden. In den letzten Jahren hat sie bei blödsinnigen Kindern, die sie im Hause ihrer eignen Familien unterrichtete, die ausgezeichnetsten Resultate erlangt. Besonders ist ihr dabei ihre gründliche musikalische Bildung zu Statten gekommen; sie ist eine Schülerin Wiek’s, bekanntlich des ersten Pianofortelehrers der Gegenwart und von ihm selbst zur Künstlerin wie Musiklehrerin vorbereitet worden. Durch die wohlberechnete Anwendung der Musik hat sie einem ganz stumpfsinnigen Kinde die ersten Thränen entlockt, in einem andern die erste Aeußerung des Selbstbewußtseins hervorgebracht – und der so einmal zum Glühen gebrachte göttliche Funke ist nicht wieder erloschen und durch andere geeignete Mittel weiter genährt worden. Ueber dergleichen Kuren befinden sich Zeugnisse hochgeachteter Aerzte und Privatpersonen in ihren Händen.

Auf jeden Fall ist die Eröffnung der erwähnten Anstalt als eine große Wohlthat zu betrachten, da es so viele unglückliche Geschöpfe giebt, welche bei sorgsamer Pflege sich zu nützlichen Menschen entwickeln können, während sie ohne dieselbe eine Last der menschlichen Gesellschaft und das Unglück der Familien sind, welchen sie angehören.


Die Cobra oder Augenschlange. Die Insel Ceylon, genannt die Mutter der Elephanten, ist auch sehr reich an verschiedenen Arten von Schlangen, unter Anderen auch der schönsten oder wenigstens der unhäßlichsten aller Schlangen, da es diese Art von Geschöpfen wohl unter keiner Bedingung bis zu irgend einem Grade von Schönheit bringen. Diese ist die Cobra oder Augenschlange, so genannt, weil sie grasendes Vieh in die Augen zu schlagen pflegt. Sie ist etwa 4 Fuß lang und von dem herrlichsten, hellsten Grün des Frühlingsgrases, dabei so dünn und schlank, daß sich die feinste Balldame keine dünnere und unschönere Taille wünschen kann. Auch in ihren Bewegungen entwickelt sie eben so viel Grazie als Behendigkeit und weiß sich dabei mit ihrer Farbe noch obendrein so geschickt den Bewegungen und Gestaltungen des Grases anzupassen, daß sie das schärfste Auge nicht verfolgen kann. Zuweilen, wenn sie es für klug und praktisch hält, bildet sie auch einen stehenden, emporragenden, grünen Halm mit keiner andern Bewegung, als der, welche Windstöße dem Grase mittheilen. Reicht das nicht schon allein hin, die Schlange zu dem Titel „Fuchs unter den Reptilen“ zu berechtigen? Ein Augenzeuge dieser Situation beschreibt den Anblick so: „Eines Tages sah ich auf meinem Wege nach Kondy ein ziemlich starkes Rohr mit einer grünen Blüthe aus dem übrigen Grase hervorragen. Die heitere, duftige, grüne Farbe desselben zog mich an, so daß ich näher ging, um es genau anzusehen. Es stand aufrecht etwa drei Fuß von der Erde und blieb so stehen, bis ich es mit der Hand berührte und zu meinem Schrecken fand, daß es eine Augenschlange war. Sie hatte sich unten gleichsam zu einem Postamente zusammengewickelt und ragte mit dem Oberkörper etwa zwölf Zoll gerade und steif hervor, als wäre sie von Eisen, da sich auch in der völligen Windstille das Gras nicht bewegte. Ihr Hut am Kopfe stand ausgespannt wie eine Blüthe, so daß die Täuschung vollkommen war. Da ich von der musikalischen Passion dieser Schlangen viel Wunderdinge gehört hatte, fing ich sofort an, auf meiner Flöte zu spielen. Nichts war schöner und bezaubernder, als das Entzücken des in der Schlange zum organischen, vom Boden erlösten Lebens zu beobachten. Ihr sonst so bleiernes und mattes Auge wurde leuchtend, freudestrahlend und groß. Wie goldene Sonnen starrten mich die lidlosen Augen an, und mit mehr Grazie, als die meisten Musikdirektoren mit ihrem Dirigentenstabe entwickeln, schlug, bog und knixte sie den Takt meiner Melodie mit dem ganzen, hervorragenden Oberkörper so graziös, so freudezückend, so hingerissen, daß ich glaube, ihr wohl ziemlich 1 Stunde lang alle meine Vorräthe auf der Flöte zum Besten gegeben zu haben. Das Auge der Cobra-Schlange, die grün, immer im Grünen wohnt, ist sehr empfindlich gegen starkes Licht, so daß man sie, wie es schon den Alten bekannt war, mit dem Lichtblitze eines Edelsteins plötzlich blind machen kann. Das Gift in den Fängen jeder Cobra wirkt wie Laudanum und hat in jeder Schlange die Kraft von etwa zwei Tropfen desselben. Die Buddhisten verehren die Cobra göttlich, doch hält sie dies nicht ab, sie nach Kräften zu vertilgen und auszurotten, da sie dem Vieh so viel Schaden thun. Die göttliche Verehrung des Schädlichen und Gefürchteten findet man mehr oder weniger in allen ersten, naiven, rohen Naturreligionen, wie ja auch in gebildeten und sogar oft sehr hohen Kreisen manche Menschen hauptsächlich aus Furcht, wenn nicht vor einigen Höllenstrafen, so doch vor zeitlichen Folgen ihrer eigenen Sündhaftigkeit fromm werden. Die Buddhisten verehren das objectio das außer ihnen Gefürchtete und sind deshalb weniger blinde Heiden, als die frommen Heuchler bei uns, welche den lieben Gott durch ihre Frömmigkeit aus Frucht vor ihrer eigenen Erbärmlichkeit zu veranlassen meinen, daß er ihretwegen Natur- und moralische Gesetze verletzen und ihnen Steuerfreiheit und Privilegien von gewöhnlichen Christen verschaffen solle.




Architekt und Baumeister. Der Architekt Alexander, von welchem die Rochester-Brücke und mehrere andere schöne Gebäude in der Grafschaft Kent herrühren, stand einst in einem Criminalprozeß als Zeuge vor dem Geschwornengericht. Der Staatsanwalt, welcher das Zeugniß des Vorgeladenen in den Augen der Geschworenen zu verdächtigen wünschte und zu diesem Zwecke nach dem bei englischen Gerichts-Verhandlungen üblichen Brauche ihn zu verwirren und zu verblüffen suchte, fuhr, nachdem er ihn gefragt, wie er heiße, folgendermaßen fort:

„Sie sind Baumeister, glaube ich?“

„Nein, Sir, ich bin nicht Baumeister, ich bin Architekt.“

„O, Architekt oder Baumeister, Baumeister oder Architekt, das läuft wohl auf eins hinaus?“

„Ich bitte um Verzeihung, das kann ich nicht zugeben; nach meiner Ansicht bezeichnen diese beiden Ausdrücke etwas ganz Verschiedenes.“

„Ach das wäre! Vielleicht haben Sie die Güte, uns zu sagen, worin dieser große Unterschied besteht?“

„O ja, recht gern. Der Architekt faßt die Idee, entwirft den Plan und schreibt vor, wie derselbe in seinen Einzelnheiten auszuführen sei – mit einem Worte, er ist das geistige Band. Der Baumeister dagegen theilt sich in den Maurermeister und den Zimmermeister und seinen Gehülfen. Diese sind die Maschine und der Architekt ist die Macht, welche die Maschine zusammensetzt und in Gang bringt.“

„Sehr schön, Herr Architekt; vielleicht können Sie nach dieser sehr sinnreichen Auseinandersetzuug, durch welche aber immer noch kein Unterschied klar geworden, dem Gerichtshofe sagen, wer der Architekt beim Thurmbau zu Babel war?“

„Bei dem Thurmbau zu Babel,“ entgegnete der Gefragte sehr ruhig, „war kein Architekt zugezogen worden und deshalb wurde auch nichts daraus!“




Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das 4te Quartal und der Jahrgang 1854, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das neue Quartal schleunigst aufzugeben. Wir können unsern Freunden zugleich die Versicherung geben, daß die Gartenlaube in Gehalt, Ausstattung und quantitativen Inhalt den letzten Jahrgang noch übertreffen wird.

Die Verlagshandlung. 



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_644.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)