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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

zu erzwingen, sondern vielmehr um Hebung der Ursache des Verstopftseins. Allerdings wird es auch sehr oft nöthig, wenigstens zu Anfange der Kur, von Zeit zu Zeit stuhltreibende Mittel anzuwenden, aber dies muß mit großer Vorsicht geschehen, wenn daraus nicht Nachtheil für die Verdauungsorgane erwachsen soll. Eben weil die Meisten glauben, sofort Stuhl durch Mittel zu schaffen sei die Hauptaufgabe bei Verstopfungen, darum nimmt bei Vielen gerade in Folge der Anwendung von Abführmitteln die Ursache der Verstopfung zu. Man wählt nämlich meistens solche Abführmittel, welche öfterer gebraucht die Schleim- und Fleischhaut des Magens und Darmes anstatt zu kräftigen, untauglicher zu ihrer Function machen. Am sichersten geht man deshalb, wenn man bei Verstopfung Klystiere in Gebrauch zieht, durch welche auch in den allermeisten Fällen auf die verstopfenden Speisereste im Dickdarme unmittelbar eingewirkt werden kann, während bei Anwendung von Abführmitteln der Magen und Dünndarm zunächst leiden und für Etwas büßen müssen, was sie gar nicht verbrochen haben. Verf. hält deshalb auch Abführmittel nicht nur für ganz entbehrlich und vollkommen durch Klystiere ersetzbar, sondern erklärt auch die meisten derselben bei öfterem Gebrauche geradezu für schädlich. Wenn man freilich nach der augenblicklichen Wirkung der Abführmittel, die besonders vielen der mit solchen Mitteln quacksalbernden Charlatanen sehr zu Gute kommt, urtheilen will und nicht die weitern Folgen abwarten, dann wird man den Abführmitteln ein Vertrauen schenken, welches sie gar nicht verdienen. Der Verf. hat Klystiere (entweder blos aufweichende von warmem Wasser oder reizende mit Seife, Salz oder Oel) in Fällen, wo überhaupt Stuhl herbeizuschaffen war, noch niemals so unwirksam gefunden, daß er zu abführenden Arzneien seine Zuflucht hätte nehmen müssen. Man bedenke übrigens auch, daß die durch Abführmittel erregten Stühle stets eine große Menge von noch guten Nahrungsstoffen und von guten Blutbestandtheilen, welche den Gefäßen der Darmwand abgezwungen worden sind, enthalten und daß sie deshalb zur Blutarmuth führen, die Ernährung herabsetzen und schwächen können.

Eine vernünftige Behandlung der Verstopfung und Stuhlträgheit, die nur zeitweilig zur momentanen Erleichterung Klystiere oder, wenn es denn nicht anders sein kann, ein mildes Abführmittel (Aepfelwein, Pflaumenbrühe, Buttermilch, Tamarindenmus, Ricinusöl, Bitterwasser), in Gebrauch zieht, strebt immer nach radicaler Heilung des Uebels und sucht deshalb die Ursache der Verstopfung zu ergründen und wegzuschaffen. Zunächst ist hierbei auf die Menge und Beschaffenheit der Nahrung Rücksicht zu nehmen. Diese muß anfangs eine leicht verdauliche, meist flüssige oder breiige, mehr thierische als pflanzliche sein und lieber öfterer und in geringer Menge, als in größerer Portion auf einmal genossen werden. Von großem Vortheile dabei ist der reichliche Genuß von

Flüssigkeit (Wasser, Bier). Nur allmälig, mit wachsender Verdauungskraft, gehe man dann zu festern und schwerer verdaulichen Speisen über, kaue dieselben aber recht ordentlich. Um die Zusammenziehungen der Fleischhaut der Darmwand zu unterstützen, gleichzeitig aber neben den Darmmuskeln auch die Bauchmuskeln zu kräftigen, müssen solche Bewegungen vorgenommen werden, welche die Bauchwand straff machen, sowie kräftiges Ein- und Ausathmen veranlassen. Zweckmäßiges Turnen hebt Stuhlträgheit in den meisten Fällen. Es versteht sich übrigens wohl von selbst, daß die Musculatur des Darmes und des Bauches zuvörderst, ehe man derselben Anstrengungen zumuthet, durch nahrhafte Nahrungsmittel ordentlich ernährt werden muß, wie dies besonders bei Bleichsüchtigen und Blutarmen nöthig ist. Wo die eigenmächtigen Zusammenziehungen der Bauchmuskeln noch zu kraftlos sind, da kann vorläufig Kneten, Reiben, Drücken und Pochen des Bauches die willkürlichen Zusammenziehungen unterstützen. Insofern nun sehr häufig ein Hauptgrund der Muskelschwäche der Darmwand ein träger Blutlauf in den Pfortaderwurzeln, also die sogen. Unterleibsanschoppung oder Pfortaderstockung, ist, so muß dieser natürlich, wie in Gartenlaube Jahrg. II. Nr. 18. S. 209 ausführlich angegeben wurde, mit Energie entgegen getreten werden. – Und was wären denn nun die naturgemäßen Heilmittel gegen Verstopfungen und Stuhlträgheit? Es sind passende Nahrung, reichliches Wassertrinken, zweckmäßige Bewegungen und kräftiges Athmen. Wer diese Mittel ordentlich anwendet, wird stets Ordnung, Ruhe und Frieden in seinem Unterleibe erhalten, wer denselben aber nur von Zeit zu Zeit einmal durch Abführungskuren aufregt, wird immer öfterer zur Pillenschachtel greifen müssen und schließlich durch und durch zum Scheusal.

(B.) 




Pariser Bilder und Geschichten.
Ein Besuch bei Thiers.

Auf dem Platze St. Georges wird dem Fremden ein elegantes Hotel gezeigt, dessen Vorhof mit einem vergoldeten Gitter eingefaßt, und dem hoch emporgewachsene Baume ein frisches anmuthiges Aussehen verleihen.

„Hier wohnt der kleine Thiers!“ verkündigt lakonisch der Cicerone, denn er weiß, daß dieses Wort hinreicht, die Aufmerksamkeit des Ausländers oder des Provinzialen auf das bezeichnete Haus zu lenken.

„Nicht übel für einen ehemaligen Proletarier,“ dachte ich bei mir, als mir diese kurze Andeutung zu Theil wurde.

„Ist es schwer, sich dem Herrn Thiers vorzustellen?“ frug ich.

„Unmöglich, wie Sie wohl denken können, ohne besondere Empfehlung,“ lautete die Auskunft meines Führers, der, wie ich später erfuhr, Vieles in seinem Leben versucht hatte, dem viele Pläne gescheitert waren, ehe er zu seinem gegenwärtigen Beruf gelangt war.

„Warum diese Unzugänglichkeit?“ frug ich weiter.

„Wäre die Thüre zu dem berühmten Manne immer und Jedem offen, so hätte er keinen Augenblick zu seiner Verfügung, in dem Maße wurde er von allerhand Zudringlichen überlaufen und bestürmt. Jeder Schüler brächte ein Manuscript und verlangte Rath, Urtheil, Empfehlung; jeder Zeitungsleser kramte ihm seine politische Weisheit aus, um sich vom Staatsmann loben zu lassen, jedes Stückchen Ehrgeiz würde Unterstützung verlangen. Neugierige, Enthusiasten und Enthusiastinnen würden die Zimmer des Hotels füllen, Autographenliebhaber die ganze schriftstellerische Thätigkeit des Berühmten in Anspruch nehmen. Sie sind ein Fremder und kennen unser Paris nicht, wo Jeder ausgebeutet wird, der sich nicht wehrt.“

Ich war belehrt und wir gingen weiter.

Nach einiger Zeit gelang es mir, ein Empfehlungsschreiben an den ehemaligen Minister zu erlangen und ich verfügte mich in das wohlbekannte Hotel. Der Corridor, das Vorzimmer oder vielmehr Wartesaal, die vielen Diener in Livrée, Bilder und Statuetten, die Marmortreppe mit dem prunkenden Teppich über dieselbe gebreitet, verkündeten den Reichthum eines Fürsten. Ein Diener meldete mich und zurückkehrend ließ er mich wissen, daß sein Gebieter in diesem Augenblick dringend beschäftigt, sich für den nächsten Tag um sieben Uhr Morgens meinen Besuch erbitte. Ich glaubte unrichtig gehört zu haben und frug: „Um sieben Uhr Morgens?“

„Ja wohl, mein Herr,“ erwiederte der Diener.

Und als ich mich zur angezeigten Stunde einfand, war Herr Thiers bereits in fertiger Toilette, im schwarzen Frack, dem Lieblingskleid des Staatsmannes, in seinem Arbeitssaale von Geschäften in Anspruch genommen. Der Luxus eines gebildeten, kunstsinnigen Mannes in dem Arbeitssaale wirkte viel wohlthuender auf mich, als der banale Ausdruck des Reichthums in den anderen Theilen des Hauses, durch die ich kam.

Herr Thiers empfing mich höflich mit einfacher Freundlichkeit und in einem Nu war ein lebhaftes Gespräch im Gange.

Sein Aeußeres ist wenig anziehend, aber es interessirt durch sein besonderes Gepräge. Eine hohe breite Stirn ist sichtlich der Schauplatz einer lebhaften, ununterbrochenen Gedankenjagd. Hinter Augenfasern glänzt ein Auge, sprühend von Geist und südlichem Feuer und von durchdringender Schärfe; die Gestalt ist klein, es fehlt ihr nicht an einem komischen Anstrich. In dem ganzen Wesen spricht sich etwas Koboldartiges aus. Man glaubt gar nicht,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_009.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)