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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

äußern, theils defensiven, theils offensiven Kämpfen des Dichters Aufmerksamkeit zu schenken.

Der Wohlstand des Vaters Beranger war nur ein vorübergehender gewesen. Der verwegene Mann hatte sich in den neunziger Jahren in royalistische Umtriebe eingelassen, die ihm Gewinn abwarfen. Doch war ihm diese Erwerbsquelle bald abgeschnitten, da die herrschende Gewalt von den geheimen Manövres Kenntniß erhielt; so daß er sich glücklich schätzen mußte, mit heiler Haut davon gekommen zu sein.

Die ganze Familie und mit ihr natürlich unser Dichter war mit einem Male dem drückendsten Mangel bloßgestellt.

Ohne Namen, ohne Anerkennung und dazu selber in Ungewißheit über seine Befähigung und vermöge seiner Bescheidenheit ohne Vertrauen zu derselben, faßte der junge Mann den verzweifelten Entschluß, nach Aegypten abzureisen, wohin die Eroberung des General Bonaparte viel Auswanderungen aus Frankreich zu jener Zeit veranlaßte. Er hoffte daselbst als Civilbeamter ein Unterkommen zu finden. Zum Glück berieth er sein Vorhaben mit Herr Parseval-Grandmaison, einem in diese Verhältnisse wohleingeweihten Mann, der ihn im Vaterlande zurückhielt.

Zwanzig Jahre alt, leichten Blutes spottete er seiner Armuth und sang lustig wie ein unbekümmerter Mensch seine Liebes- und Trinklieder und andere heitere Gesänge, die seitdem Frankreich auswendig gelernt, lustig in den Tag hinein. Er war glücklich und wohlgemuth in seiner Dachstube, wo sich viele gleichgesinnte Kameraden zu Spiel und Vergnügen bei Lied und Becher einfanden. Es wäre Alles ganz gut gegangen, wenn der Hunger nicht taube Ohren hätte und sich wegsingen oder weglachen ließe. Zufällig aber ist er stumpf und unerschütterlich wie das Geschick. Er stieg empor in die Dachstube des Dichters, machte die Lieder verstummen und zerstreute die fröhliche Schaar. Es half nichts. Beranger mußte sich gegen dieses drohende Gespenst ernstlich zur Wehre setzen. Er raffte seine Verse, wohlgeordnet und sauber abgeschrieben, zusammen, und sandte sie in einem versiegelten Packet an Lucian Bonaparte, dem kunstliebenden Bruder des ersten Konsuls, begleitet von einer Epistel, in welcher sich der Stolz des Mannes und des Poeten aussprach. Lucian berief den Verfasser der erhaltenen Verse zu sich in sein Hotel, munterte ihn zu fernern Arbeiten auf, frug nach dessen Verhältnissen und versprach, ohne darum angegangen worden zu sein, für die materielle Nothdurft des Dichters Sorge zu tragen. Eine Verpflichtung, welcher der würdige Mann auch dann noch nachkam, als er mit seinem mächtigen Bruder, der sich die Kaiserkrone auf’s Haupt setzte, zerfallen, sich selbst nach Rom verbannte.

Da sah denn der glückliche Beranger den Erbfeind aller Künstler ohnmächtig zu seinen Füßen hingestreckt. Nie erlosch in seinem Herzen die wärmste Erkenntlichkeit für seinen Gönner und Beschützer, doch ward es ihm erst nach dreißig Jahren, nachdem die jüngere Linie der Bourbons auf den Thron gelangt war, gestattet, seinen Dank laut und öffentlich auszusprechen. Die Censur unter dem Kaiserreich untersagte ausdrücklich die Verherrlichung des verbannten Prinzen, und während der Restauration durfte kein Bonaparte gerühmt werden.

Die großen politischen Bewegungen der Zeit regten ihn mächtig an, und auch diese wurden ihm Stoff zu Liedern, den er aber in einer Weise, wie Niemand vor ihm und Niemand nach ihm behandelte, dem er ein ganz besonderes Leben einzuhauchen verstand. Er machte den Spruch:

„Ein politisch Lied, ein häßlich Lied"

zu Schanden. Seine oppositionelle Wirksamkeit während der ganzen Dauer der Restauration ist eine so durchgreifende, wie sich ihrer kein Journalist und kein Redner, nicht Armand Carrel, nicht Manuel und nicht Colard rühmen können. Seine Gedichte: „Alte Kleider," „Gerichtliche Untersuchung durch die Hunde von Stand,“ „Die Censur," zeugen von der größten Unerschrockenheit, und letzteres hätte für den Dichter schlimme Folgen nach sich gezogen, wenn die Regierung nicht durch die Rückkunft Napoleon’s von der Insel Elba anderweitig beschäftigt worden wäre. Die wieder niedergesetzte kaiserliche Regierung trug ihm, um ihn zu befördern, eine Stelle bei der Censur an. „Wie!" rief er, „Sie wollen mich in den Stand einer „literarischen Kellerratte" erheben? Sehr verbunden." Er blib, was er war, mit einem mäßigen Einkommen unabhängig.

Als man im Jahre 1814 den Adjutanten des Kaisers Alexander ein Bankett gab, zu welchem unser Dichter geladen wurde, um die Unterhaltung durch seine Lieder zu beleben, sang er zum Erstaunen aller Anwesenden den Ruhm Frankreichs und gegen die Fremden. Im Jahre 1815 veröffentlichte er die erste Sammlung seiner Gedichte unter dem Titel. „Moralische und andere Lieder."

Wie ein Blitz schlug das Büchlein in die gesammte Nation, doch zog es ihm eine Zurechtweisung und eine Warnung von oben zu. Der zweite Band, welcher eine wo möglich noch größere Wirkung hervorbrachte, erschien im Jahre 1821. Das in demselben enthaltene Lied: Der Gott der guten Leute Le Dieu des bonnes gens wurde zum ersten Male von der Barrière „Mont Parnasse", in der Kneipe der „Mutter Saguet" gesungen, wo Thiers, Armand Carrel und Chenavard eine Gesellschaft versammelten, welche sich die „Gesellschaft du Moulin-vert" nannte. Beranger wurde zum Präsidenten gewählt, und der Zudrang war so außerordentlich, daß man an 100 Tische für die Gäste im Freien aufstellen mußte. Das Lied hatte schlimme Folgen für den Sänger und für die Gesellschaft. Martainville denuncirte den Dichter in seinem Blatte. „Die weiße Fahne,“ daß er das Volk zu gefährlichen Verbindungen hinreiße. Er wurde vor die Assisen gestellt, zur Geldbuße und zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt. Die Gesellschaft, ob sie gleich keinen politischen Zweck verfolgte, wurde von Polizei wegen aufgelöst. Der Dichter kam aus St. Pelagie, wie er hineingekommen; er fuhr fort zu singen, wie er vorher gesungen. Im Jahre 1825 erschien der dritte Band seiner Lieder, in welchem unglimpflich mit den Jesuiten verfahren wird. Der Sänger mußte diese Vermessenheit mit neun Monat Gefängniß und 1000 Franken Strafe bezahlen. Tausend Franken! Eine unerschwingliche Summe für den Künstler, der ausschließlich von seinem Talente lebte, und dieses auszubeuten zu edel war. Die Nation bezahlte das Geld für ihren Dichter. Der Banquier Jaques Lafitte eröffnete in seinem Bureau eine National-Subscription, und in einem Tage war die Summe beisammen. Es gab dazumal keine Berühmtheit in Paris, von der der verhaftete Sänger nicht einen Besuch erhalten hätte. Selbst seine politische Feinde hielten es für angemessen, diese zarte Pflicht zu erfüllen.

Um diesen allzu kurzen Abriß des reichen arbeitsamen und antastbaren Lebens zu vollenden, sei eine große That des Dichters erzählt, wie sich kein Held, weder des Alterthums noch der Neuzeit einer schönern rühmen kann.

Es war in den heißen Julitagen des Jahres 1830. Paris trat auf die Straße, und alle Zeichen kündigten einen Sturm an. Im Hotel Lafitte bei dem politischen Banquier saßen die hervorragendsten Oppositions-Glieder des aufgelösten Parlaments: Guizot, Thiers, Casimir Perrier, Dupin, Odilon Barrot und der Hausherr selbst, Jaques Lafitte und wie sie sonst hießen. Die Helden der Tribune waren beisammen, um zu berathen, was in der kritischen Lage, in welche das Land durch das Ministerium Polignac versetzt wurde, zu thun sei. Die Herren verstiegen sich bis zu einer Protestation, da trat Beranger in den Saal, schilderte die Stimmung des pariser Volkes und erklärte es für unerläßlich, daß die Parlamentsmitglieder von der Linken eine Proclamation an das Volk erlassen, in welcher sie es zur Vertheidigung der Gesetze auffordern; - da erblaßten sie, die Helden der Tribune und sprachen von Gefahren, von nothwendiger Vorsicht, von Ungewißheit, ob auf Paris zu zählen sei u. s. w.

Beranger, ohne sich auf Widerlegungen einzulassen, setzte die seither berühmt gewordene Proclamation auf und las sie den beunruhigten Abgeordneten vor, hinzufügend: „Ich unterschreibe Ihre Namen, meine Herren. Wird die Bewegung besiegt und Ihr vor ein Gericht gestellt, so schiebt Ihr alle Schuld auf mich. Ihr seid straflos, da Ihr den Aufruf nicht unterfertigt habt. Siegt die Bewegung, so wird Euch wohl Niemand zur Rede stellen." Er schrieb unter die entworfene Proclamatien die Namen der anwesenden Volksvertreter, trug das Document in die Druckerei, dessen Inhalt kurz darauf an den Mauern von Paris zu lesen war. Diese Handlung ist nur sehr wenig bekannt geworden, denn die Herren Abgeordneten waren wenig beflissen, sie offenkundig, und der große Bürger Beranger war nie bemüht gewesen von sich reden zu machen. -


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_023.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)