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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

aber auch bis zu 9 oder 10 Thalern ansteigen kann. Zieht man nun in Betracht, daß der Werth des Geldes gegen damals (im Vergleich zu den Preisen der andern Waaren) um etwa 50 p.Ct. gesunken ist, so erscheinen dennoch jene Lohnverhältnisse in der Gegenwart als die günstigeren. Dabei kommt noch wesentlich in Anrechnung, daß damals, wo diese Gewerbe im Hause betrieben wurden, der Arbeiter selbst für Licht, Feuer und Arbeitswerkzeuge zu sorgen hatte, während er jetzt alles dies in der Fabrik umsonst erhält.

Auch in den Handwerken hat man oft mit Unrecht die Folgen der Ueberbevölkerung angeklagt, als ob diese die Gewerbe übersetzt und so den Verdienst der einzelnen Gewerbtreibenden geschmälert hätte. Es liegen uns interessante statistische Vergleichungen über diese Verhältnisse vor, welche bis in den Anfang des 17. Jahrh. zurückgehen und das überraschende Ergebniß liefern, daß die Zahl der Gewerbsmeister im Verhältniß zu der Gesammteinwohnerzahl, während dieser langen Zeit theils sich gleich geblieben ist, theils sogar günstiger für die betreffenden Gewerbtreibenden geworden ist. So z. B. kamen in Kassel 1605 auf einen Schuhmacher 95 Menschen, auf einen Schneider 122, auf einen Schreiner 300; 1852 endlich auf einen Schuhmacher 119, auf einen Schneider 164, auf einen Schreiner 273. Noch weit günstiger gestaltete sich im Fortgange der Zeiten dieses Verhältniß für das Gewerbe der Bäcker und Fleischer. 1605 rechnete man in Kassel auf einen Bäcker 86 Personen, 1819 dagegen 334, 1852 aber gar 584; die durchschnittliche Zahl der Abnehmer auf einen Fleischer war 1605 ebenda 140, 1852 aber 525. Aehnliche Erscheinungen finden wir überall, wo nicht besondere Umstände, wie der fabrikmäßig eingerichtete Betrieb eines Gewerbes oder die Ausbreitung desselben über einen größern Kreis außerhalb des eigentlichen Betriebsortes einen überwiegenden Einfluß geübt haben.

Noch manche andre Thatsachen können wir anführen, aber es genügt wohl an den beigebrachten, um uns die Ueberzeugung zu verschaffen, daß die theilweise herrschende Noth und Dürftigkeit keineswegs etwa durch die neuesten Fortschritte unsrer Kultur und Industrie geschaffen, sondern lange vor diesen vorhanden gewesen, daß sie auch nicht im Verhältniß zu dem rascheren Wachsthum der Bevölkerung gewachsen, sondern hinter diesem zurückgeblieben, ja zum Theil trotz desselben geringer geworden ist. Wollen wir damit das vielfach vorhandene Mißverhältniß zwischen der Bevölkerungszahl und den zu Gebote stehenden Erwerbs- und Nahrungsmitteln leugnen? Keineswegs! Oder wollen wir denen widersprechen, welche eine theilweise Ableitung dieses Bevölkerungsüberschusses im Wege der Auswanderung, für wünschenswerth erklären? Ebensowenig! Nur warnen wollen wir, daß man sich nicht übertriebenen und oft unbegründeten Besorgnissen in Betreff der zunehmenden Bevölkerung hingebe, oder wohl gar, durch solche veranlaßt, der modernen Kultur und ihren rastlosen Fortschritten einen ebenso thörichten als erfolglosen Krieg erkläre.




Geld aus Thon und Lehm.

Jahrhunderte und Jahrtausende lang sind die Menschen, und selbst Gelehrte und Naturkundige, über und durch allerlei Schmutz gegangen, ohne zu ahnen, daß sie damit eins der edelsten Metalle mit Füßen treten. Die Stiefelwichser, welche für einen halben Silbergroschen und oft noch billiger Schuhe und Stiefeln abbürsten und wichsen, haben vielleicht dreimal so viel Geld von den Stiefeln in alle Winde gebürstet, als sie dort verdienten. Die Sache ist, daß nicht nur, wie der Engländer sagt, „Zeit Geld ist,“ sondern auch in Thon und Lehm Viergroschenstückchen und Thaler ziemlich dicht neben einander wohnen. Die Chemiker wußten zwar schon lange, daß in Thon ein Metall steckt, Alum oder Aluminum genannt, und Alumina einen der Hauptbestandtheile der Erde bilden. Humphry Davy, der berühmte englische Physiker, erkannte in Alumina, was im Allgemeinen blos ein gelehrter Name für „Thon“ war, ein metallisches Oxyd, d. h. einen elementarischen Stoff, ein Metall, durch Sauerstoff chemisch verändert, verrostetes Metall, das man, befreit von Sauerstoff und in seiner elementarischen Reinheit dargestellt, Aluminum nennt. Doch sah man dieses neue Metall, obgleich es wie ein reicher Vetter des Silbers aussieht, lange über die Achsel an. Erst als Delville, der geniale französische Chemiker, eine Art Industrie daraus machte, dieses neue Silber (nicht Neusilber) im Großen aus seiner schmutzigen Knechtsgestalt zu erlösen, und Wöhler, der deutsche Chemiker, ebenfalls[1] auf eigne Manier aus Thonklumpen den reinen Adel des Metalles hervorwusch; erst als die Naturkundigen aller drei Kulturvölker gemeinsam zeigten, daß, wie nicht Alles Gold ist, was glänzt, das Edelste und Werthvollste auch im unscheinbarsten Lehmschutte wohnen kann, erst dann fingen die Gelehrten und Naturfreunde an, sich ein Licht über dieses neue Metall aufgehen zu lassen und sich zu „aluminiren.“ Nun zeigte man unlängst gar in der Akademie der Wissenschaften zu Paris ganze Barren dieses edeln Metalls, daraus geschlagene Medaillen von mehreren Zollen Durchmesser (in der Regierungs-Münze geprägt) und andere Formen und Massen davon, alle nach der Delville’schen Methode, die ungemein leicht und wohlfeil sein soll, aus gemeinem Thon chemisch herausgeschieden. Den technischen Proceß dieses Ausscheidens können wir hier nicht klar machen, denn dazu gehören wirkliche Experimente; wir erwähnen nur, daß Delville den Thon mit gewöhnlichem Kochsalz in einem Porcellangefäße bis zu einer hohen Temperatur erhitzt, wodurch das metallische Aluminum sich vom Sauerstoff trennt und zunächst in einer kochsalzartigen Masse erscheint, die durch die Reaction einer Säure sich vollends reinigt und das Metall in kleinen weißen Kügelchen vollkommen rein zum Vorschein bringt. Dieses Metall ist so weiß wie Silber und eben so hämmer- als dehnbar. Doch zeigt es größern Widerstand und nähert sich mehr der Hartnäckigkeit des Eisens. Durch kaltes Hämmern wird es noch härter, doch in großer Glühhitze gewinnt es seine Dehnbarkeit und Nachgiebigkeit dauernd wieder, d. h. auch nach dem Erkalten. Sein Schmelzpunkt weicht von dem des Silbers etwas ab, es ist ein guter Wärmeleiter und kann der Luft ausgesetzt werden, ohne daß so leicht Oxydation (d. h. Rosten durch Verbindung mit Sauerstoff) sichtbar wird. Letzterer Umstand ist die eigentliche Probe des Edeln. Je mehr ein Metall dem Alles zerstörenden (und Alles belebenden) Sauerstoffe widersteht, desto edler ist es.

„Jeder,“ sagt Delville, „wird leicht einsehen, wie ein Metall weiß und unveränderlich, wie Silber, das durch gewöhnlichen Gebrauch im Leben seinen Glanz nicht verliert, hämmerbar, dehnbar und zähe mit der besondern Eigenschaft, daß es zugleich leichter ist als Glas und in unerschöpflichen Massen überall gewonnen werden kann, von der ungeheuersten Wichtigkeit für Industrie und Kunst werden muß, sobald man gelernt hat, es leicht und wohlfeil darzustellen. Ich habe Grund zu hoffen, daß dies möglich und ausführbar ist, denn Chlor-Aluminum läßt sich sehr leicht in hoher Temperatur durch die gemeinsten Metalle zersetzen. Experimente dieser Art, die ich jetzt im Großen ausführen werde, müssen bald alle bisher noch übrig gebliebenen Zweifel beseitigen.“

Die Zweifel sind gelöst, denn die Metallbarren, welche er schon vorigen August der Akademie der Wissenschaften vorlegte, nahmen in ächter edelmetallischer Solidität deren Stelle ein. Allerdings kommt es immer noch auf genaue Berechnung und Vergleichung der Auslagen und Arbeiten mit den Ergebnissen an. Und dann muß die Menschheit auch erst allmälig daran gewöhnt werden, denn im Allgemeinen ist sie gegen neue Erfindungen und deren praktische Anwendung immer noch nicht viel besser, als die Bauern, die Friedrich der Große mit dem Krückstocke zwingen mußte, Kartoffeln zu stecken.

Ebenfalls von großer Wichtigkeit ist der neue Zwillingsbruder des Aluminums, das Silicium, das bisher eine Rarität der Chemiker war. Delville fand, daß Silicium gewöhnlich in Aluminum stecke, wie etwa Mangan in Eisen, oder vielmehr, daß Silicium und Aluminum zusammen eine Art Graphit bilden, d. h. daß sich diese Verbindung zum reinen Metalle eben so verhalte, wie der Stoff, aus dem man Bleistifte macht, zum reinen Kohlenstoffe.

  1. Er war der eigentliche Entdecker des Aluminums in Thon vor bereits 30 Jahren; ein Factum, das von der Akademie der Wissenschaften geleugnet ward.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_065.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)