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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

er meinte, es sei genug, Bertram die beste Erziehung zu geben, und dann möge er selbst sehen, wie er durch die Welt komme. Er wollte ihn nicht wieder fortschicken – aber als einige Jahre vergangen waren, pflegte er ihn oft zu fragen, wenn er einmal weg wolle, um sein Glück in der Welt zu versuchen, worauf Bertram immer antwortete: „Morgen will ich weg!“ aber sobald Mächthilde das hörte, fiel sie ihm um den Hals, weinte und bat ihn, doch ja nicht von ihr fort zu gehen und da zu bleiben – daß Herr Meßmann lächelnd sagte, er möge nur bleiben, und Bertram selbst gern blieb, da es ihm auch schwer ward, sich von der kleinen Mächthilde und seinem Wohlthäter zu trennen, und er auch nicht wußte, wo er sich eigentlich zunächst hinwenden sollte. Da aber diese Scene sich so oft wiederholte, sagte Herr Meßmann einmal scherzend zu dem Knaben:

„Du magst mir wohl ein rechter Bertram Morgenweg heißen!“ Seitdem hieß er allgemein Bertram Morgenweg. – Oft verdroß ihn dieser Spitzname herzlich und er dachte nun immer darüber nach, wie er einmal seinen Vorsatz ausführen und plötzlich fortgehen wolle, ohne erst lange von seinem Herrn einen peinlichen Abschied zu nehmen und von Mächthilden’s Thränen sich selbst rühren und das Herz brechen zu lassen.

Unter den Handelsherren, welche das Haus des Herrn Meßmann besuchten, war auch ein Kaufmann aus Riga, der dem Knaben schon immer Wohlwollen gezeigt hatte, und da er jetzt zurückkam und dieser sich gegen ihn aussprach, gab er ihm Geld und redete ihm zu, eines Tages mit erster Schiffsgelegenheit zu kommen und Herrn Meßmann nicht länger zur Last zu fallen.

Einige Wochen waren vergangen und es waren wieder Kaufleute aus Riga gekommen, die mit günstigem Winde dahin zurücksegeln wollten. Da stand auch Bertram eines Tages am frühen Morgen auf, wo noch Alles im Hause im tiefen Schlaf lag, ging hinab in die Wohnstube, schlug die sammetne Tischdecke von dem großen Eichentisch ein wenig zurück und schrieb mit Kreide auf die Tischplatte: „Morgenweg ist allweg.“ Das war sein Abschied. Damit ging er hinaus nach dem Schiff und segelte davon. Er wußte, wenn er nicht einmal so schnell schied, käme er nimmer fort.


II.

Bertram war siebzehn Jahr alt gewesen, da er fortgegangen und Mächthilde nahe an zwölf Jahr. Am Morgen seiner Abreise hatte sie seine Abschiedsworte auf dem Tische mit wehvollem Erschrecken gelesen, hatte ihm nacheilen, ihn zurückhalten wollen – ihren Vater, alle Freunde und Diener des Hauses aufgeboten, ihm nachzueilen und ihn wieder zurückzubringen - aber es war vergebens! Morgenweg war und blieb „all’ weg,“ und Alle die nach ihm suchten, konnten nur die Kunde bringen, daß mehrere Handelsschiffe beim ersten Morgengrauen den Hafen von Lübeck verlassen hatten und daß Bertram sich wahrscheinlich auf einem derselben befand.

Mächthilde mußte sich darein ergeben, daß ihr Bertram, der ihr Alles war: Spielkamerad, Bruder und Lehrer, sie verlassen hatte. Nur schwer gab sie den Ermahnungen und vernünftigen Vorstellungen ihres Vaters Gehör, der ihr auseinander zu setzen suchte, daß es für Bertram ganz an der Zeit gewesen, aus dem gewohnten friedlichen Leben hinaus in die weite Welt zu gehen und da auf eigene Hand sein Glück zu versuchen. Sie söhnte sich nicht eher mit diesem Gedanken aus bis endlich - beinahe nach Jahresfrist ein Brief von Bertram aus Liefland kam. Er schrieb Herrn Meßmann, daß er dort bei einem großen Kaufmann Dienste genommen und dankte für alle die Wohlthaten, die ihm Herr Meßmann einst erzeigt, in den rührendsten Worten. Nicht aus Undank sei er fortgegangen, sondern weil er gesehen, daß dies seines Herrn eigner Wille und daß er ihm nicht länger habe zur Last fallen wollen. Mit dem was er gelernt gedenke er sich nun ehrlich durch die Welt zu schlagen - und er werde danach streben, einst wieder nach Lübeck zurückzukehren, und durch das, was er geworden, seinen edlen Wohlthäter selbst ehren zu können. Diesem Brief lagen auch einige Zeilen für Mächthilde bei. Bertram selbst hatte ihr zum Zeitvertreib und weil sie eine so gelehrige Schülerin war, die Kunst des Lesens und Schreibens gelehrt, die damals auch von sogenannten gebildeten Mädchen nur sehr wenig geübt ward. Wie glücklich war sie jetzt, daß er ihr lesen gelehrt, daß sie diese lieben Zeilen selbst entziffern, ja, auch beantworten konnte. Auch sie bat er um Verzeihung für sein schnelles Fortgehen – er habe eine solche Form dafür wählen müssen, weil er zu einem persönlichen Abschied von ihr nicht Kraft genug in sich gefühlt - wenn sie ihn gebeten habe, dazubleiben, würde er wieder geblieben sein, wie schon oft und ihren Thränen nicht widerstanden haben. Es habe sich aber nicht mehr geziemen wollen, die Wohlthaten ihres Vaters anzunehmen wie ein Kind des Hauses, da er nun bald ein Mann werde, der für sich selbst sorgen müsse. Sie solle sein nur nicht vergessen wie ihr Bild ihm immer zur Seite sei. Er strebe danach, einst wiederkommen zu dürfen – nicht als ein hülfloser Knabe, sondern als ein wackerer Mann, der die Welt gesehen und sich allein durch sie schlagen gelernt. - Mächthilde schrieb ihm wieder, erzählte ihm viel von daheim und schloß mit den Worten. „Ich vergebe Dir, daß du fortgegangen, wenn Du einst als ein großer Mann wiederkommen willst. Aber ich weiß es, Du wirst wiederkommen – und dann lasse ich dich niemals wieder fort.“

Damals war der Handel in der That ein gefahrvolles Geschäft, und der Kaufmann konnte kaum ein Handelsunternehmen von einiger Bedeutung wagen ohne dabei sein Leben und sein Vermögen, sein ganzes Hab’ und Gut auf’s Spiel zu setzen. Alle Bequemlichkeiten, deren der Handel sich gegenwärtig erfreut, Briefposten, Wechsel, Spediteure, Assecuranzen u. s. w. entbehrte er in jener Zeit. Der Kaufmann mußte mit seiner Waare selbst zu Markte ziehen oder sie zum Einkauf abholen, oder dies Geschäft doch nur seinen treuesten und erprobtesten Geschäftsführern und Dienern überlassen. Dabei waren auf den Straßen die Raubritter und Wegelagerer aller Art, auf dem Meere die Seeräuber zu fürchten; in fremden Ländern war der Kaufmann schutz- und rechtlos, und litt er Schiffbruch oder zerbrach ihm ein Wagen beim Landtransport, so waren seine Güter dem Strandrecht verfallen. Außerdem hatte er noch von der Willkür der Landesherren zu leiden, die ihn an den Zollstätten oder für ein Geleit, das ihm nur unzureichenden oder wohl gar keinen Schutz gewährte, nach Gutdünken brandschatzten. Wer sich also dem Handel widmete, der wählte darum nicht eben das friedlichste Gewerbe, noch den sichersten Weg Reichthümer zu erwerben und ein ruhiges Leben zu führen. Vielmehr setzte er oft sein Leben und sein ganzes Hab’ und Gut auf das Spiel. Besonders in Liefland gab es für den Kaufmann noch manche Gefahr. Der Handel zur See hatte überall seine gleichen Beschwerden, aber hier kamen noch die Gefahren auf dem Festlande hinzu. Die heidnischen Nachbarn beunruhigten noch oft die christlichen Ansiedler, und wenn auch drüben in Deutschland mancher Waarentransport von hochadelichen christlichen Raubrittern genommen – oder als zum Schutz gegen dieselben von gleich habgierigen Landesherren geplündert – oder die Führer in die Flucht geschlagen und übel zugerichtet wurden: so war dies Pech noch gering gegen das, was die deutschen Handelsleute von den heidnischen Barbaren zu ertragen hatten, wenn sie sich weiter in’s Innere wagten, geschah es auch nur um einen neuen Absatzweg für ihre Waaren zu finden, und waren noch keine „Schwertträger“ in ihrem Gefolge, die auf der Spitze ihrer Schwerter das Christenthum weiter trugen und die alten Heidengötzen stürzten. Als daher ein paar Jahre vergangen waren, in denen Herr Meßmann keine Nachricht mehr von Bertram Morgenweg erhalten hatte, auch seine Fragen nach ihm bei den rigaer Kaufleuten, die nach Lübeck kamen, vergeblich waren, so glaubte er nicht anders, als daß sein Pflegesohn auch wie mancher Andere durch die Hände jener Ungläubigen ein übles Ende genommen, oder daß es ihm sonst vielleicht durch eigene Schuld schlecht ergangen und er sich nun schäme, wieder eine Nachricht von sich zu geben. Herr Meßmann machte sich zuweilen Vorwürfe, daß er Bertram durch seinen Spitznamen und sein Betragen Veranlassung gegeben, so plötzlich von ihm zu scheiden – daß er ohne Mittel, ohne Freunde und Rathgeber aus seinem Hause gegangen sei – er dachte sein Gewissen am Leichtesten dadurch zum Schweigen zu bringen, daß er jede Erinnerung an Bertram mied und darum auch in seinem Hause nicht mehr von ihm die Rede sein durfte. Er dachte auch, daß ihn dann Mächthilde am Ehesten vergäße, die oft in sich gekehrt am Meeresufer spazieren ging, und wenn Schiffe aus Liefland zurückkamen, die ersten Matrosen, die an’s Land stiegen, fragte: ob sie Nichts von Bertram Morgenweg gehört, wo aber keiner ihr genügende Antwort zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_071.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2017)