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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

II.

Der Fremde hatte unterdessen den Thalgrund rasch durchschritten und war bald darauf im Innern des vorerwähnten Waldes verschwunden. Er hielt jedoch nicht den breiten Fahrweg ein, welcher denselben durchschnitt, sondern bog auf einem kleinen Seitenpfade ab, der sich in der Tiefe des Forstes verlor.

Rüstig und nicht ohne Gewandtheit folgte seine schlanke, wohlgebaute Gestalt den vielen Krümmungen des engen Weges, und leicht und sicher glitt sein Fuß über die Baumwurzeln und das Schlingkraut, worauf er in diesem abgelegenen Theile des Forstes nicht selten stieß. Seine Haltung war fest und gerade und zeigte einen Anstrich von Muth und Entschlossenheit, der durch ein großes schwarzes, blitzendes Auge noch mehr hervorgehoben wurde. Seine Gesichtsfarbe bildete ein dunkles männliches Kolorit, durch welches jedoch in leiser Färbung ein gesundes Roth drang. Die Oberlippe seines in weichen Linien endenden Mundes bedeckte ein sorgfältig gestutzter Bart, der, wie sein Haupthaar, dem dunkelen Glanze einer Kohle nichts nachgab.

Der Fremde verfolgte, wie gesagt, auf die eben beschriebene Weise ein Zeit lang seinen Weg, bis er plötzlich, die Zweige eines Haselnußstrauches auseinanderschlagend, auf einen großen viereckigen Platz gelangte, der mit hohem wuchernden Grase und mit einzelnen unter den Schlägen der Axt gefallenen Baumstämmen bedeckt war. Auf einem dieser Stämme saß eine Gestalt, die wir uns etwas näher zu beschreiben die Mühe nehmen müssen. Es war ein Mann, dessen Haar das Alter bereits völlig gebleicht hatte und dessen gekrümmter Rücken bewieß, daß die Last der Jahre über ihn gekommen war. Er trug eine alte blaue Uniform mit rothem Besatz, ganz nach dem Schnitt, wie solche zu Ende des vorigen und noch zu Anfang dieses Jahrhunderts bei unseren Armeen gebräuchlich war, dazu bis an die Knie reichende, mit Knöpfen besetzte Gamaschen von grobem, grauen Tuch und gelbe Lederbeinkleider, die aus der Haut eines Hirsches gegerbt waren. Zu seinen Füßen lagen mehrere Sprengel mit Schlingen und kleine Netze, mit deren Besichtigung er eifrig beschäftigt war.

„Der Nebel ist ausgeblieben,“ murmelte der alte Mann, indem ein gutmüthiges Lächeln seine verwitterten Züge erhellte, „und der alte Wilm hätte diesmal nicht nöthig gehabt, sich vor der Reveille zu erheben. O, die Thiere des Waldes haben auch ihren Verstand, obgleich die Menschen in ihrem Hochmuth es blos Instinkt nennen. Aber, wer so wie ich, dreißig Jahre unter ihnen gelebt und beobachtet hat, der weiß, daß ihnen von unserem Herrogtt auch eine Sprache verliehen war, obgleich dieselbe unverständlich erscheint, weil es nicht des Schöpfers Wille war, uns dieselbe zu offenbaren.“

Hier wurde der Greis durch einen leisen Schlag auf die Schulter unterbrochen und eine metallreiche Stimme sagte mit einer Weiche und Gutmüthigkeit, der man es anhörte, daß sie der Widerhall des Herzens war:

„Nun, Wilm, giebst Du Dich wieder Deinen philosophischen Träumereien hin?“

Der Alte wendete den Kopf und blickte in das jugendliche Antlitz des Fremden, welcher ihm die Hand lächelnd zum Gruß reichte.

„Ach, ich weiß wohl,“ sagte er, den Jüngling mit sichtbarem Wohlgefallen anblickend, welcher sich inzwischen ihm gegenüber auf einem Baumstamm niedergelassen hatte, „ich weiß wohl, daß die heutige Jugend mit dem Alter weniger als sonst in seinen Ansichten harmonirt, und daß das, was sonst klug und weise genannt wurde, jetzt häufig dem Spotte und der Verachtung unterliegt, aber sehen Sie, Herr – Herr – “

„Nun, Müller, Maler Müller,“ lachte der Andere.

„Wie’s beliebt. Ein Name thut zur Sache nichts, und ein alter Soldat, wie ich, hält sich stets streng an die gegebene Ordre. Nun, sehen Sie, Sie nennen das philosophische Träumereien, wenn ich mich hier in der Einsamkeit des Waldes, wo mich nur Gott hören kann, meinen einfachen Gedanken hingebe, aber glauben Sie, wenn man sieht, daß dieser Gott in der Welt immer mehr verleugnet wird, dann fühlt ein alter Mann, wie ich, der täglich da oben zur großen Armee abgerufen werden kann, doppelt das Bedürfniß, sich vor ihm in der Anschauung seiner Werke bewundernd zu beugen.“

„Gewiß, Wilm, und Du weißt wohl, daß ich selbst um keinen Preis diesen Glauben aufgeben möchte.“

„Ich weiß dies. Hierzu haben Sie auch eine viel zu fromme Mutter und einen viel zu edelen Vater gehabt.“

„Ach, Wilm, wenn sie noch lebten!“

Diese Worte wurden von dem jungen Manne mit einer tiefen Wehmuth ausgesprochen, so daß man es ihnen wohl anhörte, daß sie der unverfälschte Ausdruck eines von Schmerz erfüllten Herzens waren.

„Wir müssen Alle fort,“ sagte der Alte, an seinen Schlingen zupfend – „die Guten wie die Bösen, die Gerechten wie die Ungerechten.“

„Nur zu wahr. Doch laß mich Dich an die Verpflichtung erinnern, die mir auferlegt ward. Werde ich sie erfüllen können?“

Der Waldbewohner ließ die Schlinge, welche in seiner Hand ruhte, langsam niedergleiten und sagte:

„Es wird manchen harten Kampf kosten, ehe die Redoute genommen ist, da aber unserer Sache die Gerechtigkeit zur Seite steht, so wollen wir auf den Sieg unserer Waffen vertrauen.“

„Und sahst Du sie?“

„Ist Alles nach Ordre vollzogen.“

„Und was sagte sie?“ fragte der Fremde, sich rasch erhebend und mit dem Zeichen der gespanntesten Erwartung dicht vor den Greis tretend.

„Eine Stunde vor der Retraite würde sie Euch erwarten.“

„Wilm, – theurer, lieber Wilm!“

Der alte Mann lachte in seiner biedern, schlichten Weise halblaut und sagte nicht ohne eine gewiße Selbstbefriedigung:

„Wenn das Waldblümchen einwilligte, Sie zu sehen, so geschah es doch nur unter gewissen Bedingungen.“

„O, nenne sie! Ich unterwerfe mich denselben im Voraus in ihrer ganzen Ausdehnung.“

„Nun, für’s Erste, bleibt das Fenster bei der Unterredung geöffnet.“

„Nichts weiter als dies?“

„Für’s Zweite, wird in der Person des alten Wilm eine Schildwacht vor dieses Fenster gestellt.“

„Stelle Dich nur immer hin, Du weißt ja, daß mein Herz Dir gegenüber kein Geheimniß kennt.“

„Und das Herz Marien’s noch weniger,“ sagte der Greis. „Habe ich sie nicht auf meinen Armen gewiegt, als sie noch ein lallendes Kind war? – Hat sie an meiner Hand nicht Laufen gelernt? – War sie es nicht, welche mir in der Einsamkeit des Waldes mit frommer, kindlicher Aufmerksamkeit zuhörte, wenn ich ihr erzählte von der Liebe zu Gott und zu den Menschen?“

Ergriffen von diesen Erinnerungen stützte der alten Mann seine beiden Ellenbogen auf seine Knie und versank in ein augenblickliches Schweigen. Der herzliche und innige Druck einer Hand, die die seinige berührte, erweckte ihn aus diesen Träumereien. Der Jüngling hatte sich erhoben und stand vor ihm.

„Lebe wohl, Du treuer, uneigennütziger Freund,“ sagte er, „gleich treu dem Vater wie dem Sohne. Die Zeit drängt zu einer Entscheidung; der heutige Abend wird über mein zukünftiges Glück bestimmen.“

„Nur Muth,“ entgegnete der Soldat, „es muß versucht werden! Der Förster wird mich zwar als einen Complotteur behandeln, und wenn die Sache mißglückt, so dürfen die Füchse und Iltisse in diesem Walde die Schlingen und Netze des alten Wilm wohl nicht mehr zu fürchten haben, aber mag es immerhin sein – der da Oben, welcher die Jungen der Raben füttert, und ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt, wird auch für mich sorgen und mir ein anderes Fleckchen Erde anweisen, wo ich mein Haupt niederlegen kann.“

Diese letzten Worte sprach der Invalide so leise, daß sie seinem Gesellschafter unverständlich blieben. Er hatte sich erhoben und Letzterem ebenfalls seine Hand gereicht. Ein gegenseitiger herzlicher Druck bestätigte das innige Einverständniß Beider, dann theilten sich die Zweige und der Fremde verschwand auf demselben Pfade, auf welchem er gekommen war, während sein bejahrter Gefährte mit seinen Schlingen und Netzen sich auf einer andern Seite des Forstes im Dickicht verlor.

Einige Stunden später, als die eben beschriebene Unterredung Statt fand, bewegte sich die leichte, zierliche Gestalt eines jungen Mädchens mit ziemlich raschen Schritten auf einem schmalen Pfade fort, welcher die Schluchten der das Thal begrenzenden Berge in verschiedenen Krümmungen durchschnitt und gleichfalls nach dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_087.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)