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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Eine peinliche, durch keinen Laut unterbrochene Stille herrschte einen Augenblick. Endlich sagte der Vater Marien’s und mit Eiseskälte:

„Herr von Wildenhaupt!"

Der Jüngling zuckte überrascht zusammen und Marie erbebte. „Herr von Wildenhaupt, Sie spielen die Rolle eines Nichtswürdigen." -

Eine hohe Röthe übergoß des Fremden Gesicht und sein Auge begegnete funkelnd dem des Försters. Doch schon in der nächsten Sekunde nahm sein Blick wieder den Ausdruck der Sanftmuth an und mit weicher, obgleich tiefbewegter Stimme antwortete er:

„Meine Ehre ist eben so unbefleckt wie meine Absichten rein sind; ich weise eine solche Beschuldigung mit der Ruhe, die ein gutes Gewissen verleiht, zurück."

„Junge Schlange, glauben Sie einen alten Mann zu täuschen?"

„Mein Vater!" rief Marie, einige Schritte vortretend und ihre Hände bittend erhebend.

„Still! Laß mich mit ihm Abrechnung halten, unverständiges, verblendetes Kind."

„Endigen Sie diesen Auftritt, der uns Beiden keine Ehre macht," sagte Wiidenhaupt - „machen Sie mich mit der Anklage, die Sie gegen mich erheben, bekannt, und ich werde Ihnen als ehrlicher Mann darauf antworten."

„Herr von Wildenhaupt, wissen Sie, in wessen Hause Sie sich befinden?"

„In dem Hause eines Mannes, den ich so gern Vater nennen möchte."

„Ha, ha!" lachte der Förster wild, „und darum schlichen Sie sich unter fremden Namen hier ein? - Nein, junger Mann, der Todfeind Ihres Vaters kann nie zu Ihnen in ein solches Verhältniß treten."

Der Fremde erblaßte und Marie stieß einen Schrei der Verzweiflung aus.

„Ich bin," sagte der Baron, „allerdings der Sohn jenes Herrmann von Wildenhaupt, den Sie so hassen.“

Bei diesem Namen flammte das Auge des Försters von Neuem und seine Hand weit von sich streckend, rief er:

„Fort! Aus meinen Augen, junger Wolf! Gleich ihm hast Du Dich hier eingeschlichen, um wie er das unschuldige Lamm zu rauben!“

„Genug!“ sagte der Baron plötzlich sehr ernst. „Ich habe getragen, was ein Mann einem Andern gegenüber zu tragen vermag, aber auch die von der Verblendung angefachte Leidenschaft muß ihr Ziel finden. Sie haben einen edelen Vater einem Sohne gegenüber mit Schmähungen überhäuft, dessen Andenken demselben theuer und heilig ist. Ich kam hierher, um Ihr hartes, unbeugsames Herz mit ihm zu versöhnen.“

„Nimmermehr!“ sagte finster der Alte.

„So soll mich dies doch nicht abhalten, seine Rechtfertigung zu führen," fuhr schmerzlich bewegt der Jüngling fort.

„Geben Sie diesen Versuch auf," rief mit Bitterkeit Marien's Vater. „Was könnten Sie noch sagen, was nicht schon bekannt wäre. Eine traurige Geschichte, die freilich leider nicht neu in der Welt ist. Ihr Vater war Offizier und wurde schwerverwundet in das Haus meiner Aeltern gebracht. Zum Dank für die Pflege, die er genoß, stahl er denselben die Tochter."

„Er und Ihre Schwester, meine theure, verklärte Mutter, liebten sich. Vergebens bat er um ihre Hand; unbefragt hatte man dieselbe einem reichen Pächter zugesagt."

„Kinder müssen gehorchen,“ bemerkte rauh der alte Graubart.

„Aber der Gehorsam hört aus, wo die Liebe gebietet. Sie flohen. Vergebens suchten später die zärtlichsten Briefe die erzürnten Aeltern von dem Glücke des verbundenen Paares zu überzeugen. Sie waren es - o, daß ich diese Anklage erheben muß! - Sie waren es, welcher jedesmal einer Versöhnung hartnäckig in den Weg trat, weil Sie Haß gegen meinen Vater im Herzen trugen, der sich für eine von Ihnen empfangene Beleidigung in einem Augenblicke der Aufwallung auf eine Weise gerächt hatte, die seitdem von ihm stets auf das Schmerzlichste beklagt worden ist."

„O, mein Vater! Mein Vater!" rief Marie schluchzend. „welches dunkele Gemälde der Vergangenheit öffnet sich vor meinen Blicken!"

„Still!" sagte dieser finster, „soll ich hier als Angeklagter stehen, wo ich als strafender Richter erschienen bin? - und dennoch, wer wagt es, meine Liebe gegen die Schwester in Zweifel zu ziehen?" fügte er weich hinzu. „War es nicht eben diese Liebe, die ihre Rückkehr in’s väterliche Haus als Bedingung der Versöhnung stellte, habe ich nicht in der Einsamkeit zu Gott gebetet, daß er ihr verblendetes Herz lenken und sie in die Arme ihres Bruders, zu den Füßen der trauernden Aeltern zurückführen möge.“

„Aber, war dieses Gebet wohl auch ein reines?" entgegnete der Baron. „Wollten Sie nicht die Gattin von dem Herzen des Gatten reißen, um sich an einem Manne zu rächen, der das Ihnen zugefügte Unrecht so oft und so aufrichtig bereut hatte.“

„Genug der Worte!“ rief der Förster mit einer Kälte, die einen unwiderruflichen Entschluß bekundete. „Verlassen Sie dieses Haus, in welchem bisher der Friede und das Glück wohnten. Vermeiden Sie es, die Schwelle desselben jemals wieder zu betreten, denn zwischen uns kann niemals eine Verständigung stattfinden.“

„Und Sie, Marie?" sagte der Baron zu dem jungen Mädchen gewendet, „stimmen auch Sie in diesen Urtheilsspruch ein?“

Eine convulsivische Bewegung durchzuckte den Körper des lieblichen Kindes. Leichenblässe überzog ihr schönes Gesicht. Plötzlich richtete sie sich muthig und entschlossen auf. Sie eilte auf den Baron zu. Dieser umfing sie mit seinen Armen. Ihr Haupt sank langsam auf seine Schulter. Der Alte sprang auf und wollte sie von dem Jüngling trennen. Aber eine zwar sanfte, jedoch entschiedene Handbewegung seiner Tochter verhinderte ihn daran.

(Schluß folgt.)




Ostindische Spiegel-Bilder.
(Schluß.)


Die heiligen Tempel der Indier. – Eine Pagodenstadt. – Das Leben in Indien und die Brahminen-Ochsen. – Wie man in Indien Weihnachten feiert. – Sommerqualen. – Indische Briefträger. – Die Moplahs.

Jetzt einen Besuch dem alten Indien, das noch in Tausenden von Trümmern und Tempel-Ruinen seine verknöcherten Hände aus dem Grabe in die jetzige Kultur emporstreckt. Einen der am Besten erhaltenen Buddha-Tempel finden wir in den dickumgrünten Trümmern der alten Stadt Halwad, in der Provinz Gujerat. Es war ein Haupt-Kultusort des Mahadöh, der von seinem himmlischen Throne stieg, um mit Menschen menschlich zu leben, und „mitzufühlen Freud’ und Qual“ und (nach Goethe) selbst die sündige Bajadere mit feurigen Armen in den Himmel zu tragen. Der Tempel bildet ein schwerfälliges, überdomtes Viereck mit einer Reihenfolge kleinerer Dome, deren elephantenköpfige Simse und Colonaden mit dem massiven Körper des Gebäudes den Eindruck des Schauerlichen und Erhabenen hervorrufen, zumal da ringsherum die grüne, blüthenglühende Natur in eben so tiefes Schweigen versunken liegt, wie der Tempel und die umhergestreuten Ruinengebirge. Nur wenn die Sterne am Himmel feurig aufblitzen und der kühle Nachtwind vom Meere her über das Land hinschreitet, wird es hier lebendig. Fledermäuse und große Nachtfalter flattern hinter den Säulen hervor, Elephantenheerden rauschen und krachen mit plumpen Füßen durch das Gebüsch, hinter dem Altare des Mahadöh, der noch immer mit beiden emporgehobenen Händen da steht, springt der bengalische Tiger hervor und blitzt mit wilden, rothglühenden Augen durch die Nacht, aus welcher das krachende Gebrüll des Löwen herandonnert. Dazwischen heulen Schakale und kreischen und toben Legionen von Affen, und in den Gewässern plätschern und spritzen scheußliche Alligatoren.

Der Tempel mit seinen vielen Buddha-Symbolen und Elephantenköpfen erinnert durchaus an die urältesten Tempelruinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_104.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2020)