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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Der König des Humbug und der nordamerikanischen Republiken.

Barnum! Phineas Taylor Barnum, der ehemalige Kuhjunge und Schweinetreiber-Gehülfe, jetzt Millionär in Dollars, nicht gemeinen Thalern, hat seine glorreichste Heldenthat gethan, nämlich für ein Honorar von 100,000 Dollars ein Buch von 246 Seiten geschrieben, und zwar sein Leben, auf deutsch seine „Selbstbiographie“ unter dem anspruchslosen Titel: „Leben des P. T. Barnum. Geschrieben von ihm selbst.“ Das Büchlein ist schon als buchhändlerische Erscheinung das unerhörteste Ereigniß. Drei Tage nach der ersten Ankündigung, daß es erscheinen werde, waren in und der nächsten Nähe New-Yorks über 60,000 Exemplare bestellt worden. In England erschienen an einem Tage bei einem Verleger (Sampson Low, Sohn und Comp.) drei verschiedene Ausgaben, eine elegante, mittlere und wohlfeile (1 Schilling) und in einer Woche noch eine Menge Winkelausgaben, die alle weggingen, wie nichts vorher, so daß man nicht sagen kann, wie warme Semmel. Das Buch ist in den beiden freiesten Staaten der Welt das eigentliche literarische Ereigniß des Jahres. Wie wird uns gemüthlichen, soliden, gesinnungstüchtigen Deutschen bei diesem Triumphe des größten aller Schwindler zu Muthe? Können wir uns nicht auf den Markt stellen und beten: Ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute, wie dieser Amerikaner und Engländer, die den Schwindelkönig und sein Buch vergöttern, während die edelsten deutschen Dichter, Novellisten und Romanschreiber ihre schönsten Manuscripte nicht umsonst gedruckt bekommen können? Gemach, ich bin auch ein gemüthlicher Deutscher und ganz ohne Talent und Passion für Schwindel, und gönne dem amerikanischen König doch seine ganze Krone und die 100,000 Dollars Honorar für sein Buch und seine Million und seinen Palast Iranistan (Zransitan) und allen seien Ruhm. Barnum ist nicht blos ein großer, nicht blos der größte Schwindler, sondern auch der größte Betrüger. Nun ist aber das Sprüchwort bekannt, daß die Welt betrogen sein will. Eine gewisse Sorte von Betrug gehört zu dem Willen, d. h. zum Himmelreiche der Menschheit. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, seine Freiheit; Betrug ist Freiheit.

Das Geheimniß der ganzen Million Barnum’s liegt in seinem herrlichen Talente, die Welt so zu betrügen, wie sie betrogen sein wollte. Dieser Beweis ist auch ein Schwindel, aber ein anständiger, ein nobler, für welchen uns keine Polizei etwas anhaben kann, ein Schwindel, für den man kein besonderes Wort hat, das unübersetzbare englische Humbug. Humbug ist Schwindel, wie man ihn will, Betrug, der als komischer Selbstbetrug Trommelwirbel auf unserm eigenen Zwerchfell schlägt, wenn wir dahinter kommen, wie dumm wir waren, als wir uns selbst betrogen, und wie genial der Mann, der mit uns diesen „Humbug“ trieb. Der Mann rüttelt uns auf, er macht uns zu lachen, er macht uns frei. Humbug, gut, es sei Humbug, aber etwas muß man doch sagen, um sich die 100,000 Dollars für ein gewöhnliches Octavbändchen, um sich die Hunderttausende abgesetzter Exemplare, um sich die Million Barnum’s, um sich das Drängen der ehrlichsten, hochgestelltesten, solidesten Herrschaften um ihn zu erklären. Warum steckt man ihn nicht lieber ein? O, ihr sagt, weil er eine Million hat. Nun, er hatte bis hoch in seine Zwanziger gar nichts, und doch schon von Kindesbeinen an immer geschwindelt. Warum steckte man ihn nicht früher ein? Weil Niemand jemals umhin konnte, ihn lieber auf die Schulter zu klopfen und unser heller Lache auszurufen: ein prächtiger Junge! Ein allerliebster Vocativus! Unter seinen Jugendfreunden zeichnete sich besonders John Haight aus, der einmal für hundert Dollar Ochsenhörner für einen Kammmacher stahl. Als der Dieb ertappt war, klopfte ihm selbst der Richter ganz glücklich auf die Backe und sagte:

„Famoser Junge!“

Der Kammmacher hatte ihn nämlich bei Seite genommen und gesagt:

„John, du bist ein Genie, stiehl mir aus dem großen Ochsenhörnerwaarenlager Hörner, daß ich Kämme daraus mache. Ich bezahle Dir für jedes einen Schilling.“

„Gut,“ sagte John, „danke für den geehrten Auftrag: woll’n wir besorgen.“

Und so stahl er für den Kammmacher jede Nacht eine hübsche Portion Hörner, für hundert Dollars Hörner à Stück einen Schilling, also eine gehörige Portion, stahl so lange, ohne sich fassen zu lassen, bis der Kammmacher endlich merkte, daß John die Hörner immer aus dessen eigenem Waarenlager hinten geholt und sie vorn ihm verkauft hatte. Als solider Bürger muß man sagen, das war ein niederträchtiger Betrug, aber dem Kammmacher schon ganz recht, setzen wir mit amerikanischem Leichtsinn hinzu, warum wollte er den Jungen zum Diebe machen? Solchen Betrug lieben wir, so solid wir auch sonst denken mögen. Das ist Barnum aus der Freundschaft. Barnum selbst ward in einer Schenke ungemein oft gequält, er solle doch einmal auf etwas wetten. Der Quäler war ein Kerl, der sich, wie diese in Amerika förmlich feiner Ton ist, ungemein viel darauf einbildete, die Leute am Besten „humbugen“ zu können. Barnum sucht ihm lange auszuweichen, da er den Meister in ihm erkenne. Ach was, sagt der Meister, es ist nur Geiz oder Feigheit. Und dabei geht er immer so fein, der Barnum, und, ich möchte fünf Flaschen Champagner darauf wetten, daß er kein ganzes Hemde auf dem Rücken hat. Da ist nichts zu wetten, sagt Barnum, denn ich weiß, daß mein Hemd ganz ist. Und ich wette fünf, nein, ich wette zehn Flaschen Champagner, daß Sie kein ganzes Hemd auf dem Rücken haben. Barnum versichert, daß seine Leibwäsche ganz gut im Stande sei. Zerrissen! Fetzen! Schein! Renommisterei, schreit der Meister. Barnum ärgerlich, nimmt endlich die Wette an und fängt an, die Weste aufzuknöpfen (Bitte um Entschuldigung, meine Damen, aber Sie können getrost hier bleiben). Nun bemühen Sie sich nur weiter nicht, schreit der Meister triumphirend, denn Jeder weiß, daß Sie nicht ein ganzes Hemd blos auf dem Rücken haben. Die ganze Gesellschaft überschüttet den gehumbugten Barnum mit Hohngelächter, während er langsam und bedächtig ein ganzes, fein-geglättetes und sauber zusammengelegtes Hemd just von seinem Rücken hervorzieht.

Ich bin ein großer Verehrer des schlechten Witzes, wenn er nämlich gut ist, und so gestehe ich offen, daß ich dem Barnum wegen dieses einzigen Hemdes die Hälfte seiner Million gönne. Für die andere Hälte steht in dem Buche so viel blühender Humbug, daß ihm anständiger Weise Niemand etwas abhandeln kann. Es ist Alles höherer, liebenswürdiger Humbug, Humbug für den das Volk noch Entree bezahlt, um zu erfahren, wie es gehumbugt ward und dann in ein dreimaliges Hoch! ausjubelt.

Barnum ist das freie, in seiner Freiheit übermüthig und lebenslustig-schalkhaft sprudelnde Amerika, das wahrhafte Volksleben Amerikas, wo nichts über einen „praktische Jok“ (practical joke) geht. Es ist Spiritus, Wein, Bier und Branntwein der wassertrinkenden Amerikaner. Wo man hinsieht, Alles foppt, neckt, humbugt sich gegenseitig, und in dem Augenblicke, wenn der Blitz der Einsicht durch den Gefoppten zuckt, lacht Alles gesund auf und der Gefoppte macht dem Meister, sich über sich selbst herauslachend, freudig sein Compliment. Es sind Alles „gesunde Jungen,“ lauter Schwindel, nichts als Humbug, aber frische, flüssige, stets frisch zugreifende und so ehrliche Leute, daß Barnum ein gutes Geschäft machte, als der endlich einmal einen auf dem Jahrmarkte ertappten Taschendieb (einen gebornen Engländer) hinter einen Vorhang stellt und für Geld sehen ließ. Ausstellen, für Geld zeigen, war das eigentliche Pathos, die Profession des Genius Barnum. Er hat in seinem Leben alle Curiositäten der Erde ausgestellt, und was nicht Curiosität war war, machte der dazu als großer Dichter und Künstler. Zuletzt hat er sich bekanntlich für 100,000 Dollars selbst als die größte seiner Curiositäten ausgestellt und zwar mit seltener Ehrlichkeit und Meisterschaft, freilich auch mit „Humbug,“ aber so, daß ich das Buch, wenn ich Arzt wäre, gegen die hartnäckigsten Fälle der Hypochondrie verschreiben würde.

Der Humbug-König wird uns Deutschen noch lange unübersetzbar bleiben, wie der Humbug selbst. Er ist eine allerliebste Schmarotzerpflanze der Freiheit. Wo Jeder handthieren, denken und thun kann, was er will, treibt das Leben Blumen und Früchte, die unter der Sonne der Polizei und des Gewerberathes sich niemals nur mit eiem Blatte hervorwagen, so daß die Lebensbäume hübsch rein bleiben. Botaniker wissen aber, daß die wunderbarsten und schönsten Blumenlaunen der Natur, die Orchideen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_110.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)