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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

So giebt er den zweiten Streichriemen umsonst und die ganze Gesellschaft lacht laut auf.

„Nicht wahr, scharfe Kerle hier in Bethel?“

„O ja, leidlich,“ sagt der Gefoppte, „aber diesmal sehr leidlich. Ich habe immer noch 75 Cents bei dem Schwindel verdient. Mir kostet jeder Streichriemen 121/2 Cent: einen verkauft’ ich für einen Dollar, den andern für’n Humbug, macht 75 Cents Profit.“

Er hätte zwei Streichriemen à 50 Cents per Stück verkaufen können mit demselben Profite, aber wo blieb dann der Humor und Humbug davon? Die Amerikaner wollen nicht blos handeln, sondern auch ihren Spaß dabei haben, und so bezahlen sie lieber den einen Streichriemen doppelt, um den andern umsonst für einen Spaß zu gewinnen. Das ist ein Beispiel für ein ganzes Museum voll in dem Buche Barnum.

Bald war dem Humbug-König diese kleine Schule zu eng. Er etablirte sich selbst Humbugereien, machte Verloosungen, Lotterien ohne Nieten, wobei außer ihm, Alle verloren, ward Lotterie-Agent für große Geschäfte der Art, Diener in einem Rosinenladen zu New-York, führte dann ein eigenes Kramgeschäft in Bethel, spielte in einem Prozesse den Vertheidiger, gründete und redigirte gegen die damals furchtbar wüthende Sucht der Priester, die Kirche über den Staat zu stellen, eine Zeitung (Herald of Freedom), ward eingesteckt und mit Pauken, Trompeten, Fahnen und Flaggen, Equipagen und Volksversammlungen aus dem Gefängnisse in die Freiheit geführt (12. December 1832), zog 1834 mit Familie nach New-York, nährte sich kümmerlich von Brocken verschiedener Geschäfte, kaufte die angebliche Amme des Befreiers von Amerika, George Washington’s, die angeblich 161 Jahr alte Negersklavin Irice Heth und ließ sie für durchschnittlich 1500 Dollars Entree wöchentlich sehen (eins der besten Barnum-Capitel), ließ den Balancirkünstler Vivalla (den er engagirt, weil er sah, daß „Geld“ in dem Manne stecke), spielen, und zog dann lange mit einer Kunstreitergesellschaft umher, bis er selbst Direktor einer solchen ward. Manchmal war er auch ganz abgebrannt und allein. In solchen Fällen nährte er sich als Taschenspieler. Auch predigte er eines Sonntags, um Abends als gefärbter Negersänger auf dem Theater Lorbeeren zu erwerben (der ungefärbte war davongelaufen und das Publikum auf die Gesänge desselben besonders eingeladen worden). Später machte er in New-York wieder mit einem deutschen Compagnon, Proler, in Eau de Cologne, Bären-Pomade, Stiefelwichse und wasserdichtem Kleister, wurde aber von unserm biedern Landsmanne um all sein Geld betrogen. Er engagierte sich wieder Künstler und vermiethete sie an Theater, sehnte sich aber endlich nach soliderem Einkommen, obgleich er stets seiner Abneigung gegen bestimmte Arbeit mit fixem Gehalt folgte. Er handelte stets als der Genius freier Spekulation. Er schrieb inzwischen für Zeitungen, durch die er seine Ernten so golden zu machen verstand. Das Geheimniß seiner Million liegt hauptsächlich in seiner genialen Benutzung der Macht des Anzeigens in den Zeitungen. Endlich 1841 kaufte er sich – ohne einen Pfenning Geld – das amerikanische Raritäten-Museum in New-York für 12,000 Dollars, alle Concurrenten, die Geld hatten, todt machend. Er bezahlte pünktlich aus dem Ertrages des Museums und vergrößerte es während seiner weltfamosen Direktion auf mehr als 500,000 Sehenswürdigkeiten, unter denen das zusammengeflickte Meerwunder, halb Affe, halb Fisch, als der größte Humbug am Berühmtesten ward. Das Museum hatte in den drei letzten Jahren vor Barnum (1839–41) 33,811, in den ersten drei Jahren Barnum’s (1842–44) 100,429 Dollars eingebracht, 1853 stieg der Ertrag auf 136,250 Dollars, in dem einen Jahre mehr, als vor ihm in sechs Jahren. Nächstdem ist sein General-Tom-Thumb-Humbug die eigentliche Weltberühmtheit, der kosmopolitische Humbug, dem der ganze Adel Englands, die Königin an der Spitze, sich freudig beugte, eben so Louis Philippe, der König von Belgien, der Kaiser Nikolaus und alle Großen der Erde. Barnum’s europäische Tom-Thumb-Tour ist der welthistorisch strahlende Beweis, wie die Welt betrogen sein will. Als er mit dem kleinen gemietheten Jungen ankam, rieth man ihm, ihn für 1 Penny Entree, dem üblichen Preise für Zwerge, sehen zu lassen. Er nahm aber vom 20. März bis 20. Juli 1843 in London durchschnittlich täglich 700 Thaler ein und machte dabei noch Privatvisiten bei allen Großen des Landes, bei der Königin dreimal, für 10 Guineen, 70 Thaler, per Stück. Er wußte dem Penny-Zwerg den nöthigen Schein zu geben, wie ihn die Welt gegen baar einzulösen liebt. Nächstdem ist das Jenny-Lind-Engagement mit mehr als einer Million Thaltern Einnahme das interessanteste Capitel im Buche Barnum.

Er wohnt jetzt in seinem Schlosse Iranistan, Mittelpunkt von unzähligen fixirten und wandernden Ausstellungen und Unternehmungen und schließt sein Werk mit den goldenen Regeln für den Erfolg aller geschäftlichen Unternehmungen:

1) Wähle das Geschäft, das Deinen natürlichen Neigungen und Anlagen am Besten entspricht (kaufe Alles und bleib beim Besten, ist in Amerika Geschäftsstyl, so daß unter völliger Gewerbefreiheit die Leute oft ein halbes Leben lang unglücklich versuchen, um das rechte Geschäft zu finden, und dann plötzlich reich werden).
2) Dein gegebenes Wort sei Dir stes heilig (Barnum ist Muster davon).
3) Alles was Du thust, thue mit ganzer Lust und Kraft.
4) Und zersplittere nie Deine Kraft.
5) Trink keine Art von Spirituosen (Barnum ist beiläufig jetzt leidenschaftlicher Apostel Absoluter Enthaltsamkeit von spirituosen Getränken).
6) Hoffe, ohne Dich Visionen hinzugeben.
7) Strebe nach guten Agenten und Dienern.
8) Zeige an in den Zeitungen (hierin war Barnum das größte Genie).
9) Lebe stets bedeutend unterhalb Deiner Mittel.
10) Verlaß Dich nicht auf Andere. Jeder muß seines Glückes Schmied sein. Halte diese zehn Gebote streng und Du wirst in ältern Tagen mit Familie, Kindern und Kindeskindern glücklich leben und sterben.

Das klingt ganz wie Benjamin Franklin, der in der That auch an Barnum erinnert, nur daß er nie so lustig, wenn auch so listig war.



Literarisches Anliegen.




Bei Gelegenheit des Erscheinens meines culturgeschichtlichen Werkes:

„Deutschland im 18. Jahrhundert“, I. Band,

sind mir von mehreren Seiten dankenswerthe Ergänzungen und Berichtigungen zu diesem I. Bande, aus handschriftlichen und sonstigen unmittelbaren Quellen geschöpft, zugegangen. Indem ich nun den zum Theil mir persönlich unbekannten, ja ungenannten Einsendern hierdurch für ihre Freundlichkeit meinen Dank abstatte, fühle ich mich zu dem Wunsche gedrungen: es möchten auch Andere, die im Besitze ähnlicher Quellen (z.B. Ortschroniken, Criminal-, Polizei- oder Verwaltungsakten, Familienpapiere, Tagebücher, Correspondenzen, endlich auch verbürgte mündliche Ueberlieferungen) sich befinden, mit dergleichen Zuvorkommenheit mich bei meiner Arbeit unterstützen. Besonders willkommen würden mir sein: Mittheilungen über inneres Familienleben, gesellschaftliche Sitten und Gebräuche, häusliche Erziehung, religiöse und moralische Gemüthsstimmungen, freundschaftlichen und sonstigen Geistesverkehr einzelner (wenn auch nicht gerade namhafter) Personen, Sittlichkeitsverhältnisse einzelner Orte oder einzelner Gesellschaftsklassen, und andere dergleichen, gewöhnlich zum größern Theil der Oeffentlichkeit und der Aufbewahrung in gedruckten Geschichtsurkunden sich entziehende Seiten des Culturlebens aus dem 18. oder auch der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Auf diesem Wege würde es möglich sein, eine Masse des werthvollsten culturgeschichtlichen Materials, zu welchem auf andere Weise kaum zu gelangen ist, für die Darstellung jener Zeit zu verwerthen und diese selbst dadurch um Vieles anschaulicher und inhaltvoller zu gestalten. Wünschenswerth wäre eine genaue Bezeichnung der benutzten Quellen behufs der erforderlichen Bürgschaft für die Zuverlässigkeit der Angaben. Die Verlagshandlung des Werkes (J. J. Weber in Leipzig) ist bereit, derartige Einsendungen (auf buchhändlerischem oder einem ähnlichen Wege ihr zugestellt) an mich zu übermitteln.

 Leipzig, im Februar 1855.

Karl Biedermann. 

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_112.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2023)