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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)


Freiherr vom und zum Stein.




erkennen lassen, was ich längst hätte einsehen sollen: daß sich dies für einen alten Mann, welcher jederzeit von der Erde abberufen werden kann, am Allerwenigsten paßt, und daß, wer Vergebung verlangt, auch vergeben können muß. Herrmann von Wildenhaupt, eben dieser Haß, von welchem ich spreche, hatte mein Herz so weit verhärtet, daß ich den Sohn empfinden ließ, was nach meiner Meinung der Vater an mir verschuldet hatte. Ich habe Ihnen gegenüber ein großes Unrecht wieder gut zu machen – bestand noch irgend eine Kluft zwischen unseren Herzen, so haben die Ereignisse dieser Nacht sie ausgefüllt. Treten Sie näher, mein geliebter Sohn, hier steht das Mädchen Ihrer Wahl, meine theure, meine gute Tochter, die Freude meines Lebens, die Hoffnung meiner alten Tage. Wohlan, ich gebe Ihnen das Höchste, was ich besitze! – sie werde Ihr Weib! – Streben Sie darnach, sie so glücklich zu machen, wie sie es verdient!“

Weiter reichte die Stimme des Greises nicht und Thränen entrollten seinen Augen, während er segnend seine Hände auf die Häupter seiner vor ihm knieenden Kinder legte; – auch der Invalide bedeckte mit seiner schwieligen Hand sein gefurchtes Gesicht und schluchzte laut.

Eine Viertelstunde nachher saß die kleine Familie heiter und glücklich im traulichen Kreise zusammen. Man besprach die Maßregeln, welche man für die nächste Zukunft zu ergreifen beabsichtigte. Das Forsthaus sollte verlassen und dagegen ein kleines dem Herrn von Wildenhaupt zugehörendes Gut bezogen werden. Dort wollte man einfach und genügsam im stillen Frieden seine Tage vollbringen.

Mitten in diesen Gesprächen wurde die Aufmerksamkeit der Familie plötzlich auf einen anderen Gegenstand gelenkt. Im schwarzen Frack, weißer Weste und seinen Glacehandschuhen schritt nämlich der Gemeindeschreiber in sehr feierlicher Haltung dem Forsthause zu.

„Siehe da!“ rief der Förster, „unser Held Eduard! Hören wir, was er will.“

In diesem Augenblick öffnete sich auch schon mit ziemlichem Geräusch das Zimmer, und die uns bereits hinlänglich bekannte Persönlichkeit trat ein.

„Herr Gruner – Fräulein Marie,“ – sagte der Gemeindeschreiber, indem er sich rechts und links verbeugte, „ich habe die Ehre, Ihnen mein Kompliment zu machen.“

„Nehmen Sie Platz, Herr Eduard. Welcher Ursache verdanken wir die Ehre Ihres Besuches?“

Der Angeredete zupfte etwas verlegen an seinen Handschuhen und schob sich seinen weitvorstehenden Halskragen zurecht.

„In der That – Sie werden begreifen. – Ein so zarter Gegenstand.“

„Nun heraus mit der Sprache,“ sagte gemüthlich der Förster.

„Hm! – Ja! – Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß Fräulein Marie keinen Grund findet, mich von ihrem Wohlwollen auszuschließen.“

„Keineswegs, Herr Eduard,“ sagte diese, dem Gemeindeschreiber schalkhaft in’s Gesicht blickend.

„Es giebt Augenblicke im Leben, die sehr inhaltsschwer sind.“

„Sehr richtig,“ bemerkte trocken der alte Gruner.

„Ein solcher Augenblick dürfte für mich der gegenwärtige sein.“

„Aber, Herr Eduard, Sie spannen uns so auf die Folter!“

„Wohlan!“ sagte der Gemeindeschreiber, plötzlich Muth fassend, und sich auf ein Knie niederlassend, „wenn Fräulein Marie sich entschließen könnte, mir ihre Hand zu reichen.“

„Da müssen Sie sich an Herrn von Wildenhaupt wenden,“ sagte gemüthlich der Förster, „der hat hierüber zu bestimmen.“

Herr Eduard zog bei dieser Nachricht ein Gesicht, als wenn er in eine Citrone gebissen hätte und erhob sich zögernd.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_117.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)